ZU|Daily wurde in die Hauptseite in den Newsroom unter https://www.zu.de/newsroom/daily/ integriert. Die neuesten Artikel seit August 2024 werden dort veröffentlicht. Hier finden Sie das vollständige Archiv aller älteren Artikel.
Alexa Heyn studiert seit September 2014 den Bachelorstudiengang „Communication, Culture and Management“ an der Zeppelin Universität. Bisherige Praktika führten sie unter anderem in die AIC Gallery nach Wien und zu Innergy Consulting nach Frankfurt. An der Zeppelin Universität arbeitete Heyn als studentische Kraft im Student Project Office. Zusätzlich engagierte sich Heyn in der Organisation des studentischen Festivals „Seekult“ und am Youth Center Karben in Frankfurt.
Wo liegen die Anfänge des seriellen Erzählens?
Alexa Heyn: Auch wenn der Begriff „Serie“ im heutigen Sprachgebrauch oftmals als eine Eigenmarke fungiert und sich so meist auf die Serienproduktion von Fernsehen oder Internetportalen bezieht, bedienen sich schon die antiken Epen (Homers „Odyssee“), die Märchensammlung „Märchen aus 1001 Nacht“ oder aber die Fortsetzungsromane der Frühen Neuzeit (Friedrich Schillers „Geisterseher“, Eugenes Sues „Die Geheimnisse von Paris“) allesamt der Technik der Spannungssteigerung und werfen so ihren Rezipienten die Geschichte in Bruchstücken zum Fraß vor. Schreiten wir in der Geschichte des seriellen Erzählens voran, so kann behauptet werden, dass vor allem das Format der Radioserie ein Vorreiter der Fernsehserie ist. Amerikanische Produktionen wie „Dragnet“ (Polizeibericht) erlebten in den 1950ern-Jahren ihre Hochphase und setzten so die ersten wichtigen Impulse auch für nachfolgende Serienproduktionen.
Wann und wo sind die ersten Fernsehserien aufgetaucht und welchen Inhalt und welche Form hatten sie?
Heyn: Die ersten Fernsehserien gehören zur Gattung der „series“ und kommen wie der Name vermuten lässt aus Amerika. Diese series (auch Episodenserien genannt) entsprechen einer Abfolge von in sich abgeschlossenen Episoden, wodurch der Rezipient die Freiheit besitzt, einzelne Folgen auch in einer anachronistischen Reihenfolge rezipieren zu können. Diese Episodenserien bestehen demzufolge meist aus einem festen Hauptcast (inklusive Nebenfiguren, den sogenannten „Sidekicks“) und verfügen über ein wiederkehrendes Erzählschema (Harmonie – Störung – Wiederherstellung der Harmonie), wodurch die Grundsituation in jeder Folge die gleiche ist: Egal was Homer Simpson in einer Episode zustößt, in der nächsten wird er wieder ganz der Alte sein.
Die ersten Fernsehserien tauchten in den 1950er-Jahren in Amerika auf und wurden schnell zu einer beliebten Unterhaltungsthematik. Hierbei stand zu Beginn vor allem das Gerne der Familienserie im Fokus (zum Beispiel „Father Knows Best“, „Bonanza“ oder „Dallas“), dicht gefolgt vom Genre der Krimiserie (zum Beispiel „77 Sunset Strip“, „The Streets of San Francisco“ oder „The Rockford Files“).
Könntest du in groben Zügen skizzieren, wie sich das Format bis zum Aufkommen des Internets gewandelt hat?
Heyn: Grundsätzlich entstanden neben Serien mit abgeschlossener Folgenhandlung („series“) auch Serien mit fortlaufenden Handlungssträngen („serials“). Letzteres meint also, dass die einzelnen Handlungsbögen mit dem Ende einer Episode nicht zu Ende erzählt werden, sondern einzelne Folgen überschreiten und so über mehrere Episoden oder sogar über eine ganze Staffel verlaufen. Schreitet man in der Geschichte von Serien fort, so entstanden mit der Zeit auch Mischformen, die sogenannten Flexi-Narrative. Diese Hybridform verknüpft Elemente der series und serials miteinander und ist beim Fernsehen so wohl das beliebteste Format.
Wie hat sich die Serienlandschaft und die Serienindustrie seit der Digitalisierung verändert?
Heyn: Seit dem Aufkommen der Streamingdienste Netflix, Amazon Instant Video und Co. verliert das Fernsehen seine Monopolstellung und muss sich nun seine Zuschauerschaft mit den Internetanbietern teilen – hieraus resultiert ein immer vielfältiger und globaler werdender Serienmarkt. Die Inhalte dieses Serienuniversums können durch die Streaminganbieter nun auch zeit- und ortsunabhängig rezipiert werden, wodurch der Zuschauer nicht mehr an die starren Programmpläne des Fernsehens gebunden ist.
Diese neu entstandene Konkurrenzsituation hat für den Rezipienten auch den Vorteil, dass die Macher von Serien immer wieder höchst innovatives Material liefern. Bisherige Genre-Grenzen werden so immer wieder gebrochen und die Plots komplexer – und generell entsteht das Gefühl, die Produzenten wollen sich gegenseitig immer wieder übertreffen. Gerade Serien wie „Westworld“, „Game of Thrones“ oder „Billions“ fordern den Zuschauer mit unzähligen Zeitsprüngen, Perspektivwechseln und Cliffhangern immer wieder heraus und verschaffen ihm gerade so ein einmaliges Seherlebnis.
Was sind die Zutaten einer guten Serie?
Heyn: Ich denke nicht, dass es die eine Erfolgsformel für Serien gibt. Unterhaltungsgüter sind immer etwas Subjektives, da sie für den einen etwas Gutes und für den anderen etwas Schlechtes sein können: Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten! Müsste ich die Frage allerdings konkreter beantworten, so würde ich sagen, dass der Realismuscharakter in jeder Serie eine elementare Zutat sein sollte. Hierbei geht es nicht darum, lediglich reale Welten abzubilden, sondern entscheidend bei dem Ganzen ist, dass die Zuschauer die seriellen Wirklichkeitskonstruktionen als eine glaubhafte Variante von Realität betrachten. In sich muss die Serie einfach stimmig sein und das Dargestellte eben nicht inszeniert wirken, sondern schon fast einen dokumentarischen Touch versprühen. Beispiele für Serien, die in einer unbekannten, aber kohärent kreierten Welt spielen, sind „Lost“, „4400 – Die Rückkehr“, „Buffy the Vampire Slayer“ und „Smallville“.
Warum sind es gerade die US-Amerikaner, die am laufenden Band preisgekrönte Serien produzieren?
Heyn: In Deutschland beäugten die Programmmacher das Format der Fernsehserie lange mit kritischen Augen und waren der Meinung, es könne dem Bildungsauftrag des Fernsehens einfach nicht gerecht werden. In Amerika hingegen sind Serien seit Anbeginn des Fernsehens ein beliebtes Fernsehformat. Der dort schon immer privatwirtschaftlich organisierte Fernsehmarkt unterlag beziehungsweise unterliegt eben keinem Bildungsauftrag, sondern man wollte einfach nur die breite Masse begeistern und die amerikanischen Fernsehmacher realisierten schnell, dass dies vor allem durch serielle Unterhaltungsangebote gelang.
Während also das amerikanische Fernsehen seine Zuschauer tagtäglich mit seriellen Inhalten fütterte, waren sie in Deutschland lange Zeit kein fester Bestandteil. Summa summarum: Die amerikanischen Serienproduzenten sind uns einfach einen Schritt voraus und es ist schwer, ja fast schon unmöglich, diesen Vorsprung aufzuholen. Wesentlich ist hierbei natürlich auch der finanzielle Aspekt. Es ist unumstritten, dass die US-amerikanischen Produktionshäuser weitaus größere Budgets zur Verfügung haben als die deutschen, was zum Beispiel auch daran liegt, dass sich die amerikanischen Serien aufgrund der englischen Sprache weitaus einfacher verkaufen lassen als deutschsprachige Produktionen. Mit dem dadurch erwirtschafteten Geld wird dann eben wieder die nächste Serie gedreht und so weiter und so weiter.
Was tut sich dagegen auf dem deutschen Serienmarkt?
Heyn: Auch wenn die US-amerikanischen Serienformate unumstritten die Nummer 1 bleiben, holen auch die deutschen Serienmacher mit besonderen Produktionen ein Stück weit auf. Es wurde also auch auf Seiten der deutschen Fernseh- und Programmmacher erkannt, dass die Zukunft von Serien sich nicht mehr nur auf massentaugliche Formate wie „GSZS“, „Lindenstraße“ oder „Alarm für Cobra 11“ beschränkt, sondern innovativ und qualitativ hochwertige Serien das sind, was der moderne Zuschauer rezipieren will. Beispiele für solche Serien sind zum einen die ARD-Produktionen „Türkisch für Anfänger“ und „Charité“ wie auch die deutsche Netflix-Eigenproduktion „Dark“.
Jede Woche laufen zahlreiche Krimisendungen im deutschen Fernsehen: Weshalb scheinen die Deutschen dieses Serienformat so zu lieben?
Heyn: Ich denke nicht, dass dies ein deutsches Phänomen ist, sondern diese Begeisterung für Krimisendungen definitiv weltweit vorherrscht. Eines vorab: Grundsätzlich besitzt die Thematik des Verbrechens und seine Bekämpfung eine zeitlose Aktualität, Krimis sind daher Selbstläufer. Heute ist das Crime-Genre ein großer Zuschauerliebling, der sich munter vermehrt, und das aus gutem Grund: Kriminalserien veranschaulichen einen Prozess, der sich von der Ausübung eines Gesetzesbruchs über die Aufklärung des Geschehens bis hin zur Verurteilung des Angeklagten vollstreckt, wodurch die Sicherung des Status quo der Gesellschaft auf unterhaltende Weise widerspiegelt wird. Hierbei wird dem Zuschauer die Möglichkeit geboten, die Ästhetik des Bösen zu erfahren und sich durch eine voyeuristische Perspektive zugleich von dieser beruhigend zu distanzieren.
Neben dieser unterhaltenden Wirkung besitzt das Kriminalgenre die Funktionalität der Interaktivität: Der Prozess von Verbrechen und Bekämpfung regt die meisten Rezipienten zu einem Mitraten und Mitermitteln an und bietet so neben der Zerstreuung auch die Möglichkeit des Denkspiels.
Blicken wir in die Zukunft – neben Netflix, Amazon und Sky wollen Disney und Apple mit eigenen Serienproduktionen an den Start gehen, wir können also mit einer weiteren Fülle an Serien rechnen: Welche positiven wie negativen Begleiterscheinungen bringt das mit sich?
Heyn: Ich denke, dass die positiven Begleiterscheinungen mehr oder weniger auf der Hand liegen. Durch den Eintritt weiterer Streaminganbieter in den Serienmarkt wird die Kanalvielfalt nochmals erweitert, wodurch sich natürlich auch das Serienangebot erhöht. Sprich: Wir bekommen mehr und mehr zu sehen. Es kann ebenfalls davon ausgegangen werden, dass die Qualität dieser neuen Serien eher steigt als sinkt, denn auch die Notwendigkeit, sich auf einem ausdifferenzierten Unterhaltungsmarkt zu profitieren, steigt. Der Kampf um den Zuschauer ist eröffnet! Ein möglicher Outcome: Noch extremere Genrehybridisierungen, tiefenpsychologische Figurenkonstellationen, die einem fast schon Angst machen, oder aber noch komplexere Narrationsstrukturen werden letztendlich die Mittelchen sein, mit denen der Serienanbieter um die Gunst des Zuschauers buhlen wird.
Die Kehrseite der Medaille schreit ganz laut nach „Mehr, bitte mehr!“ und „Ja, nach Netflix, Amazon und Sky brauche ich auch noch ein viertes Abonnement!“ Ein Szenario, was dem einen oder anderen Serienliebhaber nur als zu bekannt vorkommen wird, denn oftmals bietet gerade nur ein ganz bestimmter Anbieter die eine ganz bestimmte Serie an. Und so häufen sich die Abonnements und damit auch die Datenbank der jeweiligen Video-on-Demand Plattform. An dieser Stelle sollten wir uns ins Bewusstsein rufen, dass die Streaminganbieter schon lange nicht mehr nur Dienstleister sind, sondern durch ihre algorithmische Arbeitsweise unser Rezeptionsverhalten auswerten, in Informationen transformieren und so meist schon vor uns wissen, was wir schauen wollen. Eine skurrile Vorstellung, wenn man bedenkt, dass uns das Streaming doch eigentlich von den Zwängen der starren Programmpläne befreien sollte.
Schauen wir noch auf den Rezipienten: Welche Bedürfnisse befriedigen Serien und welche Rolle kommt dem Rezipienten gegenwärtig wie zukünftig zu?
Heyn: Serien können eine Vielfalt an Bedürfnissen befriedigen. Ich selber habe mich bei meiner Abschlussarbeit auf sechs Rezipientenbedürfnisse beschränkt: 1) Unterhaltung; 2) Entspannung; 3) Realitätsflucht (Eskapismus); 4) Lebenshilfe; 5) sozialer Gebrauchswert (z.B. parasoziale Interaktion); und 6) Stresstest (selbst in die Rolle des Ermittlers schlüpfen).
Bei all diesen positiven Erträgen soll beziehungsweise muss ein moderner Serienrezipient immer auch eine aktive Rolle einnehmen, um so einen bewussten und reflektierten Umgang mit Netflix, Amazon Instant Video und Co. zu pflegen. Hiermit meine ich nicht nur eine bewusste Rezeption von Serieninhalten, sondern vor allem auch den Entscheidungsprozess bei der Serienwahl. Bequemlichkeit, Mangel an Zeit oder das einschleichende Gefühl, „man müsse doch alles sehen“, darf am Ende des Tages nicht der Grund für die Rezeption einer Serie sein, sondern viel eher sollte der Verstand und die eigene Erkenntnis über das, was man mag und nicht mag, siegen. Es ist ein leichtes, immer nur einem „Derzeit beliebt“ oder „Vorschläge für dich“ zu folgen. Macht man sich aber die Mühe und durchsucht einmal die ganze Mediathek, so kann sich der Rezipient von heute als einen kritischen Zeitgeist verstehen, sich aus der Befreiung befreien und so immuner gegen das Empfehlungssystem von Netflix, Amazon und Co. werden.
Abschließend denke ich, dass ein bewusster Umgang – sei es mit Facebook oder eben mit den Video-on-Demand-Anbietern – dazu führt, zumindest ein bisschen der „Beeinflussungswelle“ zu entkommen.
Was ist deine persönliche Lieblingsserie und warum?
Heyn: Sehr schwierige Frage, da ich das mittlerweile nicht mehr nur mit einem Titel beantworten kann. Aber ich denke, wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich mich zurzeit immer wieder für „Breaking Bad“ entscheiden. Dies ist vor allem auf ein hervorragendes Drehbuch – wo nichts ohne Grund geschieht, sondern alle Handlungen und Ereignisse sowohl motiviert sind als auch eine gewisse Reichweite tragen – zurückzuführen. Auch beim vierten Mal entdeckt man immer wieder neue Inhalte der impliziten Dramaturgie und so wird einem irgendwie – auch wenn man die Geschichte kennt – nie so wirklich langweilig.
Hinzu kommt, dass die Figuren der Serie mit so viel Tiefe angelegt sind, dass sie einen authentischen und realistischen Eindruck beim Betrachter hinterlassen. Vor allem die ambivalente Figur des Walter White und seine Verwandlung vom durchschnittlichen Lehrer hin zu einem kaltblütigen Drogenbaron machen die Serie für mich so einzigartig. Ich konnte ihm trotz seiner Fehltritte – und ich denke Fehltritte ist in diesem Fall noch milde ausgedrückt – irgendwie nie so ganz böse sein und empfand immer noch Mitgefühl. Und das muss man drehbuch- und schauspieltechnisch erst einmal schaffen.
Wie viel Seriensucht steckt in dir?
Heyn: Ich würde mein Rezeptionsverhalten durchaus mit einem suchtartigen Verhalten vergleichen, denn auch mir fällt es oft nicht leicht abzuschalten. Darüber hinaus halte ich es nicht aus, nicht zu wissen, wie es weitergeht. Ich denke allerdings, dass sich dieses Verhalten bei sehr vielen Serienfans wiederfinden lässt und irgendwo auch dazugehört. Denn grundsätzlich ist das Binge Watching (Sehorgie) keine Besonderheit mehr und vor allem von den Serienmachern absolut gewollt: Die Aktstruktur von Serien wird meist eben mit Absicht so konzipiert, dass vor allem durch den Cliffhanger am Ende einer Episode der Rezipient unbedingt wissen will, wie eine Situation ausgeht beziehungsweise wie es mit der Seriengeschichte weitergeht.
Einige Forscher vergleichen dieses suchtartige Verhalten sogar mit einer Drogensucht und sprechen hierbei auch immer wieder von den gleichen Entzugserscheinungen. Ich und auch andere Wissenschaftler stimmen mit der Ansicht allerdings nicht überein und halten diese Ansicht für zu übertrieben, was allerdings nicht heißt, dass jeder Serienkonsument sich bei der Flucht in andere Realitätswelten immer bewusst sein sollte, dass es hierbei eben um Alternativwelten geht, die das reale Leben inszenieren und nicht abbilden. Solange dieses Bewusstsein gegeben ist und man sein reales Leben nicht vernachlässigt, kann absolut von einem Seriengebrauch und nicht -missbrauch gesprochen werden.
Alexa Heyn hat sich in ihrer Humboldtarbeit unter dem Titel „Vom klassischen Fernsehen zu Netflix“ und in ihrer Bachelorarbeit unter dem Titel „Der (un-)freie Rezipient – Inwiefern beeinflussen die modernen Sehgewohnheiten des Zuschauers ihn selbst und den Produktionsprozess von Serien?“ mit der Veränderung des linearen Fernsehens und den Einflüssen von modernen Sehgewohnheiten auf die Produktionsprozesse von Serien beschäftigt.
Titelbild:
| JESHOOTS.COM / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Bilder im Text:
| freestocks.org / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
| Sven Scheuermeier / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm