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Prof. Dr. Wolfgang H. Schulz studierte Wirtschaftswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum. Nach seiner Habilitation zum Thema „Industrieökonomik und Transportsektor – Marktdynamik und Marktanpassungen im Güterverkehr" an der Universität zu Köln und seiner Tätigkeit als Studiendekan für Logistik und Handel an der Hochschule Fresenius, ist er seit März 2014 Inhaber des Lehrstuhls für Mobilität, Handel und Logistik sowie Direktor des Center for Mobility Studies | CfM an der Zeppelin Universität.
Im Zentrum der Forschung und der Arbeit des Lehrstuhls für Mobilität, Handel und Logistik stehen neue Mobilitätskonzepte und -lösungen. Hierbei werden unter der Anwendung neuer theoretischer Ansätze lohnende Konzepte für die betriebswirtschaftliche Praxis abgeleitet, welche darüber hinaus vor allem einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen stiften.
Welche Vorteile bieten Lastenfahrräder im Wirtschaftsverkehr?
Prof. Dr. Wolfgang H. Schulz und Lea Heinrich: Durch den Einsatz von (Lasten-)Fährrädern im Wirtschaftsverkehr können sowohl einzel- als auch gesamtwirtschaftliche Vorteile gegenüber konventionellen Kraftfahrzeugen deutlich überwiegen: Unternehmen können Anschaffungs- und Fahrzeugbetriebskosten sparen, die Treibstoffkosten reduzieren sowie Zeitvorteile durch den Wegfall des Parkplatzsuchverkehrs erreichen. Zusätzlich kommt es durch die Reduktion der Kfz-Fahrleistung besonders im Innenstadtbereich zu einer deutlichen und nachhaltigen Verringerung der Schadstoff- und der CO2-Emissionen.
Wie gehen Sie in Ihren Forschungen vor?
Schulz und Heinrich: Zunächst einmal ist es wichtig, Potenziale besser zu antizipieren und ökologische Auswirkungen abzuschätzen. Denn es geht schließlich darum, das Potenzial der Lastenfahrradnutzung für den Wirtschaftsverkehr besser zu beschreiben und zu berechnen sowie Hürden für den Einsatz zu identifizieren, damit sie überwunden werden können. Die Untersuchung neuer Geschäftsmodelle erfordert allerdings einen hohen Grad an interdisziplinärer Zusammenarbeit, die sowohl ökonomische, ökologische, juristische sowie sozialwissenschaftliche Aspekte einbezieht – eine Einzelbetrachtung der unterschiedlichen Perspektiven würde nur ein sehr eingeschränktes Bild ergeben. Hinzu kommt, dass es sich beim Einsatz von Lastenfahrrädern im Wirtschaftsverkehr um eine branchenübergreifende Untersuchung handeln muss: So müssen die eingesetzten Lastenfahrräder zu den Bedürfnissen der potentiellen Anwender passen, und die Einsetzbarkeit hängt zu einem großen Teil von den lokalen Bedingungen vor Ort ab. Diese Annahmen wurden im Rahmen unseres Projektes „HELFI – Herner LastenFahrrad Innovation“ bestätigt.
Was hat es mit dem Projekt auf sich?
Schulz und Heinrich: Woher kommen auf einmal die ganzen Lastenfahrräder? Diese Frage stellten sich bestimmt die Bewohner des Ruhrgebietes, als im Jahr 2015 auf einmal sieben E-Lastenfahrräder durch die Straßen von Herne rollten. Als eines von fünf Umsetzungsprojekten des von der Mercator Stiftung geförderten Rahmenprogramms „Energiewende Ruhr“ initiierten wir einen Lastenfahrradtest, um den Beitrag der alternativen Verkehrsmittel in Bezug auf die Ziele der Energiewende zu identifizieren. Sieben Monate lang testeten lokale Unternehmer wie Handwerker, Blumenhändler und Apotheker die speziell für den kommerziellen Warentransport konzipierten E-Lastenrad-Prototypen im Geschäftsalltag – mehr oder minder erfolgreich.
Welche Erkenntnisse hat das Projekt HELFI geliefert?
Schulz und Heinrich: Die im Projekt HELFI gewonnenen Erkenntnisse bilden eine solide Grundlage für die Ableitung entscheidender Maßnahmen zur Förderung nachhaltiger urbaner Mobilität über den Einsatz von Lastenfahrrädern im Wirtschaftsverkehr hinaus. Uns war es bereits möglich, diese Erkenntnisse zur Anwendung in weiteren Kommunen zu übertragen und dadurch weitere Initiativen zum Einsatz von Lastenfahrrädern sowie Folgeprojekte im Bereich der Urbanen Mobilität und City Logistik mit einer Vielzahl von Akteuren aus dem kommunalen sowie Wirtschafts- und Forschungsbereich anzustoßen. Diese Entwicklungen zeigen, dass die Potenziale des Lastenfahrrads sowohl im Wirtschafsverkehr als auch für die private und kommerzielle Nutzung als bedeutender Aspekt der Umsetzung der Energiewende auf lokaler Ebene wahrgenommen werden. Es bedarf dabei jedoch noch ein hohes Maß an Unterstützung hinsichtlich Informationsbereitstellung für die Akteure auf kommunaler Ebene, Kommunikation der Potenziale auf privater und politischer Ebene sowie der Konzeption geeigneter Maßnahmen.
Doch es musste auch nachjustiert werden?
Schulz und Heinrich: In der Tat. Bedingt durch die technischen Defizite der eingesetzten Prototypen und die dadurch entstandenen Nutzungsbarrieren waren Anpassungsmaßnahmen des Untersuchungsrahmens notwendig. Da das Fehlerbild der sieben Prototypen einheitlich war, konnten Rückschlüsse auf subjektive Entscheidungskriterien, Präferenzen und Toleranzschwellen der unterschiedlichen Nutzerkategorien ermittelt werden. Die Projektleitung hat daher den Beschluss gefasst, das Projektvorhaben im ursprünglichen Sinne nicht als gescheitert anzusehen, sondern mit einer Richtungsänderung die Verwertung der Erkenntnisse als für Nutzer, Industrie und Politik wertvollen Forschungsschwerpunkt weiter zu vertiefen.
Was brachte die Neuausrichtung des Projektfokus?
Schulz und Heinrich: Die Neuausrichtung des Projektfokus auf die Identifikation kritischer Faktoren, welche maßgeblich für die erfolgreiche Implementierung von Lastenfahrradkonzepten aus Nutzersicht sind, brachte über die rein quantitative Bewertung der Potenziale ebenso Aufschlüsse über die entscheidenden Erfolgsfaktoren – nur so ließen sich wertvolle Erkenntnisse generieren und Handlungsempfehlungen für die involvierten Akteure ableiten. Mit den Erfahrungen aus dem Herner Lastenfahrradprojekt wurde nicht nur die Bedeutung der „Vorreiter“ als Innovationstreiber identifiziert. Durch die Identifikation der unterschiedlichen Einsatzbereiche, der notwendigen Akteure und Abstimmungsprozesse konnten auch konkrete Umsetzungskonzepte erarbeitet werden, welche es den Kommunen erleichtern, das Vorhaben „Lastenfahrrad als alternatives Transportmittel“ effizient in die Tat umzusetzen.
Doch wie kamen die Lastenfahrräder an den Bodensee?
Schulz und Heinrich: Da müssen wir ein wenig ausholen. Trotz erheblicher Hürden gelang es uns, genau die Erkenntnisse zu sammeln, welche für den Erfolg des Konzeptes „Lastenfahrrad im Wirtschaftsverkehr“ entscheidend sind. Diese wurden nicht nur durch die Auszeichnung des Projektes als „Qualifiziertes Projekt der KlimaExpo.NRW“ durch den damaligen NRW-Verkehrsminister Michael Groschek als wertvoll erachtet. Die Projektergebnisse waren auch auf europäischer Ebene von Bedeutung, was der Konferenzbeitrag sowie das Feedback der Teilnehmer der „Cargobikes for Urban Logistics Session“ auf der European Transport Conference 2017 in Barcelona widerspiegelt. Und so mussten wir erst einen kleinen Umweg über das Ruhrgebiet und Spanien in Kauf nehmen, um das Thema Lastenfahrrad in die Heimat – nämlich an den Bodensee – zu holen.
Den Vorsitz der Konferenz-Session bei der European Transport Conference hatte Dr.-Ing. Verena Charlotte Ehrler (wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V.) inne, wodurch nach einem spannenden Austausch der Grundstein zur Kooperation im Rahmen des Projektes „Ich entlaste Städte“ gelegt wurde. Schon bei der Eurobike Academy 2015 sagte Dr. Randy Rzewnicki, Projektmanager der European Cycling Federation: „Let them try!“ Das ist es, was potenziellen Lastenfahrradnutzern angeboten werden muss. Die Investition in dieses Transportmittel wird nicht einfach so auf Basis errechneter oder hypothetischer Potenziale getätigt. Jeder Nutzer hat andere Ansprüche an die Transportmittel, und überzeugt werden können nur die, die den individuellen Nutzen erfahren: Und genau diese Möglichkeit bietet das Projekt „Ich entlaste Städte“. Unternehmer können für einen symbolischen Wert von 1 Euro pro Tag ein Lastenfahrrad über den Zeitraum von drei Monaten testen.
Wir sehen diese Möglichkeit als einmalige Chance, nachhaltige Mobilitätskonzepte vor Ort in Friedrichshafen beziehungsweiseiIn der Bodenseeregion zu etablieren und somit einen entscheidenden Beitrag zur verkehrlichen Entlastung und zu einer besseren Lebensqualität zu leisten.
Titelbild und Bilder im Text:
| Menschenfotografin Lena Rainer (alle Rechte vorbehalten)
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm