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Der Iran-Experte mit ökonomisch-journalistischem Hintergrund redet auf Augenhöhe mit seinen Zuhörern, die den Raum auf dem ZF Campus der Zeppelin Universität bis auf die letzten Sitzplätze füllen. Gleich zu Beginn charakterisiert Amir Alizadeh die junge Generation im Iran und räumt dabei Klischees aus dem Weg. „Auch wenn es im Iran weiter zu schweren Wasser- und Wirtschaftskrisen und Unruhen kommt, was auch an dem Gebilde eines Vielvölkerstaates liegt: Die junge Generation ist ganz anders als ihre Vorgängergenerationen.“ Früher hätte es zu wenige Schulen gegeben, eine hohe Jugendarbeitslosigkeit und oftmals Unruhen. Aber die Iraner seien jetzt auf einem guten Weg.
„Der Iran hat großes Potential. Heute verfügen wir über ein sehr hohes Ausbildungsniveau und renommierte Universitäten. Außerdem haben wir die größten Gasreserven und die viertgrößten Ölreserven nach Venezuela, Saudi-Arabien und dem Irak. Mit unseren Mineralienminen sind wir unter den Top Ten weltweit“, berichtet Amir Alizadeh. Die junge iranische Bevölkerung, die nichts von der Islamischen Revolution 1978 mitbekommen habe, sei sehr westlich orientiert. Deutsche Firmen und Deutsche im Allgemeinen seien sehr beliebt bei den Iranern. „Würden Sie Urlaub im Iran machen, würden sie merken, dass die Religion im Alltag eine geringe Rolle spielt. Die Moscheen sind fast leer und im Ramadan fasten nur noch wenige“, so der Iran-Experte. Weiter macht er deutlich: „Dass Frauen ihre Haare bedecken müssen, ist eher eine formelle Sache – es ist vielmehr zu einem modischen Accessoire geworden.“
Nach den Stärken und Chancen kommt Amir Alizadeh auf die Schwächen und Risiken des Landes zu sprechen. Die US-Sanktionen würden internationale Handelsbeziehungen sowie Auslandsdirektinvestitionen behindern, zudem seien ein anhaltender Reformstau und eine komplizierte staatliche Bürokratie „die vielleicht größten Probleme des Irans“. Außerdem müsse noch die Schwäche der Währung erwähnt werden, die ein Hindernis darstelle. Auf die Frage, welche Risiken daraus resultieren könnten, antwortet Alizadeh mit dem theoretisch möglichen Ausstieg des Irans aus dem Atomabkommen. Dann würden nach alten UN-Sanktionen andere Regeln gelten, „aber viel schlimmer kann es ehrlich gesagt nicht mehr werden“, muss er bedauerlicherweise einräumen.
Damit kommt Alizadeh auf das eigentliche Thema des Abends zu sprechen. Der Atomdeal – formeller ausgedrückt der Joint Comprehensive Plan Of Action (JCPOA) – blickt auf eine rund 15-jährige Geschichte zurück. Im Grunde genommen handelt es sich bei dem Abkommen um die Beschränkung des Nuklearprogramms des Irans. Ein einschneidendes Ereignis sei dabei die Wahl des aktuellen amerikanischen Präsidenten gewesen und in diesem Zuge der Ausstieg der Vereinigten Staaten aus dem Atomabkommen. Mit den USA verbindet der Iran schon eine lange Geschichte. Bereits Präsident George W. Bush habe eine Hetzkampagne geführt und den Iran zusammen mit Nordkorea und dem Irak zur „Achse des Bösen“ ernannt. Auch die EU habe in der Vergangenheit harte Sanktionen gegen den iranischen Öl- und Finanzsektor verhängt, die schließlich eingestellt wurden. Auf die Frage, wie sich die Beziehungen zwischen den beiden Akteuren seit dem Austritt der USA verändert haben, gibt Alizadeh zwar Differenzen zu, doch habe sich die Bundesregierung im Grunde genommen auch im eigenen Interesse an die Regeln gehalten.
Trotz des Austrittes der USA aus dem Abkommen sinkt die Beliebtheit des eigenen Präsidenten Hassan Rohani weiter. Vor allem in seiner zweiten Amtszeit und durch das nicht eingelöste Versprechen des Wirtschaftswachstums habe er seine Anhänger enttäuscht. Umgekehrt sei die iranische Bevölkerung seit dem Ausstieg kritischer gegenüber den amerikanischen Bürgern. „Präsident Trump ist überhaupt nicht beliebt“, unterstreicht der Experte. Hier schließt die Erwartungshaltung der Iraner an die Europäer an: Sie wüssten, dass diese sehr bemüht seien, aber nur begrenzte Möglichkeiten hätten. „Wir erwarten aber, dass zumindest die Europäer am JCPOA festhalten.“
Gründe, warum Amerika diesen Schritt überhaupt gegangen ist, sieht Alizadeh kritisch: „Trump wiederholt seine Argumente immer wieder, aber wirklich sachlich nachweisbar sind diese leider nicht.“ Ein konkretes Problem habe der US-Präsident mit der Sunset Clause: Diese besagt, dass sich der Iran verpflichtet, bis 2025 sein Nuklearprogramm einzustellen. Donald Trump fordert aber, dass diese Maßnahme für immer gelten solle. Hinzu komme die Forderung an den Iran, sein Raketenprogramm einzustellen. „Wir können aber kein Land dazu zwingen. Jedes Land hat ein Raketenprogramm, gerade in einer Region wie dem Großraum Mittlerer Osten“, gibt Alizadeh zu bedenken.
Ein Zuhörer stellt die Frage, welche möglichen Handlungsschritte dem Iran zur Verfügung stünden, um die Sanktionen der USA zu beenden. „Das ist sehr schwierig. Entweder muss die Regierung Zugeständnisse machen, die sie nicht machen will, oder sie muss auf eine bessere Regierung in Washington hoffen, was langfristig nichts bringt“, antwortet Alizadeh. Ein Problem seien interne Kräfte, die mit aller Macht verhindern wollen, dass sich der Iran öffnet. Nach Ansicht des Experten müsse sich der Iran in seiner Regular- und Außenpolitik allerdings öffnen und einen Weg finden, auf den Westen zuzugehen.“
Am Tag vor seinem Gastauftritt habe die Gedenkfeier zum 40. Jahrestag der Revolution stattgefunden. Über 100.000 Menschen hätten sich im Rahmen einer Kundgebung auf die Seite der iranischen Regierung gestellt, auch wenn es viele Gegenrevolutionen gäbe. Eine große Mehrheit aber verurteile die Einmischung anderer Länder in ihr System. Dazu müsse man die Geschichte des Irans kennen. „Die Iraner sind eine stolze Bevölkerung. Wir sind stolz auf unsere Geschichte: Wir hatten schon sehr früh eine Zivilisation und waren noch nie eine Kolonie. Deshalb sind wir gegen einen Eingriff von Seiten der USA oder welchen Ländern auch immer. Wir halten zusammen“, gewährt Alizadeh einen Blick in die Köpfe der iranischen Bevölkerung. Die Meinung der Bürger äußere sich vor allem in den sozialen Medien, in den Printmedien dagegen gäbe es dafür nur eine beschränkte Möglichkeit. „Es gibt zwar auch renommierte Medien, die bestimmte rote Linien überschreiten können, aber das meiste passiert auf den Kanälen in den sozialen Netzwerken“, so der Experte.
Daraufhin kommt im Publikum die Frage auf, wie Alizadeh denn nun das politische System des Irans beschreiben würde. „Es ist eine Halbdemokratie: Das Staatsoberhaupt hat zwar viel Einfluss, aber auch unterhalb gibt es gewisse demokratische Strukturen. Fest steht aber auch: Einige Kandidaten, die zur Wahl zugelassen werden, werden vom Wächterrat aussortiert; die Kandidaten des Rates wiederum sind direkt oder indirekt vom Staatsoberhaupt gewählt“, stellt Amir Alizadeh seine Sicht der Dinge klar.
Er sehe die Schwierigkeiten, doch er wisse auch: „Demokratie braucht Zeit. Das geht nicht von heute auf morgen. Die neue Generation ist nicht vergleichbar mit der Generation von vor 15 Jahren.“ Sie mache Fortschritte, es gebe inzwischen eine starke Frauenbewegung sowie eine Studentenbewegung. Und an den Universitäten seien nun auch in technischen Studiengängen viele Frauen vertreten. Alizadeh erkennt darin eine Wendung zum Positiven: „Im vergangenen Jahr waren etwa 80 Prozent Frauen unter denen, die neu in den Arbeitsmarkt eingetreten sind. Auch dadurch hat sich – was das politische Wissen und das Know-how angeht – im Iran sehr viel verändert.“
Zum Abschluss kommt der ehemalige stellvertretende Geschäftsführer der Deutsch-Iranischen Industrie- und Handelskammer zu einer Bilanz. „Ist der Iran-Deal nun gescheitert oder nicht?“, will eine Zuschauerin wissen. „Ich glaube nicht, dass der Deal gescheitert ist. Wir befinden uns jetzt im vierten Jahr des Atomabkommens und es existiert immer noch. Dennoch: Wenn man das Ganze aus rein wirtschaftlicher Perspektive betrachtet – die erhofften wirtschaftlichen Vorteile seien nicht eingetreten –, dann könnte man kritisch hinterfragen, inwiefern der Deal seine Versprechen erfüllt hat“, antwortet Alizadeh entschieden. „Man muss aber eines verstehen: Der Atomdeal hat nicht ausschließlich eine ökonomische Dimension, denn er hat zugleich eine Basis geschaffen für enorm wichtige Verhandlungen und einen offenen Dialog“, resümiert Alizadeh am Ende des Abends.
Mit seinen Ausführungen hat Amir Alizadeh vor allem eines getan: Er hat den Studierenden und den Häflern einen anderen Blick auf den Iran gegeben. Er hat über Stärken und Chancen, aber auch über Schwächen und Risiken geredet. Er hat über Wirtschaftsbeziehungen und politische Systeme referiert. Vor allem aber hat er Klischees aus dem Weg geräumt.
Titelbild:
| Samuel Groesch / Zeppelin Universität (alle Rechte vorbehalten)
Bilder im Text:
| Samuel Groesch / Zeppelin Universität (alle Rechte vorbehalten)
| Phillip Maiwald (Nikopol) / Eigenes Werk (CC BY-SA 3.0) | Link
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm