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Professor Dr. Stephan A. Jansen wurde im Mai 2003 zum Gründungspräsidenten und Geschäftsführer der Zeppelin Universität berufen. Im gleichen Jahr wurde er durch das Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg als Professor auf den Lehrstuhl für „Strategische Organisation & Finanzierung | SOFI“ ernannt. Mit 31 Jahren war er der jüngste deutsche Universitätspräsident. Nach einer Banklehre als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes absolvierte er ein Studium der Wirtschaftswissenschaft in Witten/Herdecke, an der New York University sowie Tokyo Keizai University mit Auszeichnung. 1997 bis 2003 schlossen sich weitere wissenschaftliche Stationen an der Stanford University sowie der Harvard Business School mit der Promotion (summa cum laude) an.
M. Cohen / J. March / J. Olsen (1972): A Garbage Can Model of Organizational Choice. In: Administrative Science Quarterly, 17; S. 1-25
D. H. Freedman (2010): Wrong - Why Experts Keep Failing Us and How to Know When Not to Trust Them. London: Little, Brown Book Group N. Luhmann (1989): Kommunikationssperren in der Unternehmensberatung.
In: N. Luhmann / P. Fuchs (Hrsg.): Reden und Schweigen, Frankfurt am Main; Suhrkamp; S. 209-227 M. Mohe / D. Höner (2010): Managementberatung in der Legitimationskrise - Eine historische Rekonstruktion aus neo-institutionalistischer Perspektive. In: S. Kühl / M. Moldaschl (Hrsg.): Organisation und Intervention. München und Mering; Hampp; S. 31-62
R. Wimmer / C. Kolbeck / M. Mohe (2003): Beratung: Quo Vadis? Thesen zur Entwicklung der Unternehmensberatung. In: Organisationsentwicklung, Heft 3/03; S. 61-64
Kerngeschäft des Managements ist es, Entscheidungen zu treffen. Unentschiedenes Management erzeugt das Kerngeschäft der Beratung: positiv interpretiert die Professionalisierung des Klienten und - kritisch formuliert - anders nicht Legitimierbares zu legitimieren.
Nun sind allerdings Organisationsberatungen seit Gründung der ersten im Jahr 1886 selbst in einem dauernden Professionalisierungsdilemma, denn es handelt sich nicht um eine Profession wie die der Ärzte, Anwälte oder Architekten. Trotzdem beziehungsweise deswegen - beschreiben Beratungen auch sich selbst als "Professional Service Firms" und sind eng mit dem (auch nicht wissenschaftlichen) Scientific Management von Frederick W. Taylor verknüpft. Mit Beginn der Nuller-Jahre wird diese Professionalisierungs- und auch Legitimitätsdebatte medial wie wissenschaftlich intensiv geführt. Wer aber berät die Berater?
Beratungen sind ein Wachstumsmarkt. Deutschland ist dabei mit mehr als 87 000 Unternehmensberatern (+ 3,2 Prozent zum Vorjahr) und mehr als 117 000 Mitarbeitern in rund 13 850 Beratungsfirmen (+ 4,4 Prozent) der größte Einzelmarkt. Nach dem Krisenjahr 2009 stieg der Branchenumsatz um 6,9 Prozent auf 18,9 Milliarden Euro - nur zum Vergleich: 1993 waren es umgerechnet 5,9 Milliarden Euro. Das Wachstum der Beratungsindustrie war 2010 fast doppelt so hoch wie das des Bruttoinlandsproduktes.
In den Medien und auch in der Öffentlichkeit spiegelt sich dieser Erfolg nicht wider. Vielmehr ist die mediale Darstellung von Eliten und ihrer Expertise unter Beschuss geraten. Beratung findet sich damit in einer personellen wie inhaltlichen Legitimationskrise. Hatte sich in den achtziger und neunziger Jahren ein mystisch-elitäres Bild vom Expertentum entwickelt, brachten spektakuläre Pleiten wie Enron, der Untergang der Swissair oder von Arthur Andersen selbst sowie die Beantragung des Gläubigerschutzes durch Arthur D. Little den Mythos ins Wanken.
"Mit dem Autoritätsverlust fällt nun aber eine wesentliche Funktion von Beratung weg, die einen erheblichen Anteil des Umsatzes ausmachte: die Legitimationsfunktion", schrieb der Berater Rudolf Wimmer 2003. Die Expertise erodiert -und das ist nicht nur eine Begleiterscheinung der Demokratisierung des Wissens durch die Digitalisierung: Es zeigt sich eine grundsätzlichere und systematischere Entzauberung, die auch die Wissenschaft betrifft, die Beratung in der Regel legitimiert.
David Freedman hat im Jahr 2010 die Expertise-Erosion unterhaltsam beschrieben - indem er aufzeigt, wie es um die Wahrheit in der Wissenschaft steht. So seien mehr als zwei Drittel aller Studien in den bestgerankten Journalen der Medizin oder der Wirtschaftswissenschaften nur wenige Jahre später widerlegt worden, acht Prozent der Diagnosen für den Patienten lebensgefährlich falsch erstellt, Steuerberater gäben falsche Ratschläge, und ein Drittel der Forscher sei in Befragungen geständig, dass Unregelmäßigkeiten bei ihren Studien der vergangenen drei Jahre zu verzeichnen waren. Das gilt auch für Beratung: Vielfältige Studien belegen Misserfolgsquoten zwischen 32 und 80 Prozent - wie auch immer gemessen.
Was aber ist Organisationsberatung? Sie könnte - zugegebenermaßen etwas akademisch - als ein professioneller, vertraglich beauftragter Dienstleistungs- und Transformationsprozess der intervenierenden Begleitung durch ein Beratungssystem bei der Analyse, Beschreibung und Lösung eines Problems des Klienten - im Sinne einer Arbeit an Entscheidungsprämissen mit dem Ziel der Transformation verstanden werden.
Diese Definition zieht den Trennungsstrich zu anders gearteten Ratgebern und macht dem Klienten deutlich, dass es um sein ganz spezielles Problem und seine Entscheidung geht.
Welche Paradoxien sind für professionalisierende Beratungen zu beobachten?
1 Problemversorgung als Lösung: Bei dem "Garbage Can Model" von Cohen, March und Olsen (1972) landen die Lösungen, für die die passenden Probleme noch beim Kunden gesucht werden müssen, im Mülleimer. Die Beratungslösung der nächsten Generation wäre die Versorgung mit Problemen.
2 Selbsttransformation des Klienten als Beratungsarbeit: Transformationsgüter verändern den Konsumenten während des Konsums. Alvin Toffler spricht von "prosumerism". Bildung, Therapie, Fitness-Studios, Wellness-Produkte und eben Beratung sind Beispiele für diese Güterkategorie. Beratung wäre dann der Impuls zur Irritation der Selbstbeschreibung des Klienten.
3 Dauernde Notwendigkeit des Überflüssigmachens: "Will der Berater vermeiden, als Dauereinrichtung in den Handlungszusammenhang des Unternehmens inkorporiert [...] zu werden", schreibt Niklas Luhmann, "muss er so viel Information übertragen, dass die Firma nicht nur aufgrund seiner Vorschläge, sondern aufgrund der Theorie handeln kann, die ihnen zugrunde liegt." Beratung ist dann nicht mehr die Abwehr von Unsicherheit durch die Reduktion von Komplexität, sondern im Gegenteil komplexitätserhöhend: Sie steigert das Selbstbeobachtungs- und das theoretische Unterscheidungsvermögen der zu beratenden Organisation.
4 Professionalisierung des Klienten: Kluge Organisationsberatungen wissen um ihre eigenen Paradoxien und die ihrer Klienten und sehen es deshalb als ihre Aufgabe an, ihre Kunden zu professionalisieren.
1 Authentizität: Klienten haben ein eigenes (internes) Legitimationsproblem, wenn sie Berater beauftragen. Dies führt zu besonderer Sorgfalt bei Einkauf, Begleitung und Controlling. Misstrauensspiralen kennen nur einen Ausweg: Vertrauen. Das entsteht am ehesten durch Mundpropaganda, also durch die positive Einschätzung durch andere Kunden. Der Co-Vertrieb von Klient und Berater bei neuen Klienten wird zunehmen, ebenso wie das sogenannte Meta-Consulting, also die Beratung bei der Konsultation von Beratern.
2 Individualisierung des Produktes: Wichtigstes Beratungsprodukt war lange die Legitimierung unangenehmer Entscheidungen, das aber ist immer weniger gefragt. Stattdessen werden die Produkte kundenspezifischer und nicht von der generalisierten Lösung, sondern vom individuellen Problem definiert. Die Beratung dient nicht mehr vorrangig der Abwehr von Unsicherheit, sondern der Vermittlung von Theorie.
3 Profilierung der Berater: Die Erfolge der mittleren und kleineren Berater signalisieren, dass die Zeiten der Vollsortimenter vorbei zu sein scheinen. Beratung spezialisiert sich entlang der Funktionsbereiche - IT-Outsourcing, Supply-Chain-Management, Asset Management - und verbessert die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Und die großen Häuser? Entweder trennen sie sich klar nach Segmenten, bis hin zur Desinvestition. Oder sie führen verschiedene Segmente immer wieder neu und speziell nach den Bedürfnissen eines Kunden zusammen.
4 Ökonomisierung des Produktes: Klienten und Einkäufer haben ein Reflexionsniveau erreicht, das von der Beratung nicht unterschritten werden darf. Der Beratungsprozess beginnt deshalb mit der Beschreibung von Dilemmata und Paradoxien auf Augenhöhe. Gelingende Beratung wäre dann zunächst nur Irritation der Selbstbeschreibung des Klienten und konkreter Transformationsimpuls. Beratung wird zur Kulturvermittlung - die Rolle allerdings kann nur übernehmen, wer politisch-regulatorische, kommunikative, kulturelle, technologische und marktspezifische Sprachspiele beherrscht und nicht nur über die noch immer dominierenden Rationalisierungsthemen reden kann.
5 Open Innovation: Beratung erhält Konkurrenz. Nicht mehr länger bloß Beratungen sagen, wie Kunden oder Zulieferer organisiert werden sollen - Kunden und Zulieferer lösen viele Probleme durch Zusammenarbeit selbst. Hochschulen und Beiräte aus anderen Branchen liefern ebenfalls, wofür man früher Berater engagierte.
Zusammengefasst: Das Beratungsverhältnis wird zur Entwicklungspartnerschaft - ohne Expertenhierarchie, aber mit unterschiedlichen Rollen. Analog zur Entwicklungspartnerschaft in der Software-Entwicklung wird zunehmend akzeptiert, dass der Klient sich selbst doch immer noch ein wenig besser kennen sollte. Und entscheiden muss er auch allein - schließlich ist er Manager.
Der Artikel erschien im Wirtschaftsmagazin brand eins im Februar 2012, sowie als Jansen, Stephan A. (2013): Professionalisierung der Paradoxie: Re-Legitimationschancen von Beratung, in: Schumacher, Thomas (Hrsg.): Professionalisierung als Passion – Aktualität und Zukunftsperspektiven der systemischen Organisationsberatung, Heidelberg: Carl Auer Verlag, S. 224 – 239
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