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Professor Dr. Peter Kenning ist seit 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Marketing an der Zeppelin Universität. Kenning promovierte und habilitierte an der Universität Münster und ist einer der Begründer der neuroökonomischen Forschung. Als erster deutscher Ökonom schaffte es Kenning, Artikel in sowohl wirtschafts- als auch neurowissenschaftlichen Zeitschriften zu veröffentlichen. Seine grundlegenden Kenntnisse der Hirnforschung erarbeitete sich Kenning unter anderem an der Harvard Medical School.
Stellen wir uns einmal vor: Sie haben 3000 Euro Schulden gemacht. Dafür zahlen Sie einen Sollzins von 12 Prozent pro Jahr. Jeden Monat tragen Sie 30 Euro ab. Wann werden Sie die Schulden getilgt haben? Das Ergebnis ist – um es gleich vorweg zu nehmen – ebenso ernüchternd wie das, was Peter Kenning, Mirja Hubert und Inga Wobker im Rahmen ihrer neuerlichen Studie 2013 über das minimale ökonomische Wissen (Minimal Economic Knowlegde) erlebten, die in Kooperation vom Forschungszentrum Verbraucher, Markt und Politik an der ZU, dem Lehrstuhl für Marketing, der TU Dresden und dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin durchgeführt wurde.
Mit 24 Fragen wollten die Forscher herausfinden, wie es um die grundlegenden Kenntnisse in Sachen Ökonomie bei den Bundesbürgern steht. Das Ergebnis: erschreckend schlecht. Erstmals wurden dabei Vergleichswerte einer Erhebung von vor zwei Jahren herangezogen wie auch geschlechterspezifische Unterschiede und ein Vergleich zwischen dem bundesdeutschen Durchschnitt und dem des Landes Baden-Württemberg angestellt. Die Ergebnisse fassen die Forscher so zusammen: „Das minimale Wirtschaftswissen ist in Deutschland immer noch sehr lückenhaft. Man sollte dringend nach Wegen suchen, die Menschen stärker für das Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge zu motivieren und sie so zu befähigen, Fehlentscheidungen zu vermeiden.“
Es beginnt schon damit, dass etwas über 30 Prozent der Bundesbürger nicht wissen, wer der aktuelle Bundeswirtschaftsminister ist. Oder fast ein Viertel noch nie davon gehört hat, dass er in einer sozialen Marktwirtschaft lebt. Oder fast die Hälfte nicht einmal in etwa angeben konnte, wie hoch die Arbeitslosenquote derzeit ist. Bei den Fragen ging es aber nicht nur um aktuelles wirtschaftliches Wissen, sondern auch um schlichtes, handfestes Konsumentenwissen wie bei der Frage: Wenn Sie als Verbraucher in einem Laden ein Produkt gekauft haben und es Ihnen nicht mehr gefällt, wie lange haben Sie dann normalerweise ein Rückgaberecht? Nicht einmal ein Drittel wusste die richtige Antwort: Es gibt gar keinen Anspruch auf Rückgabe. Der Rest schwankte mit Angaben zwischen einer und drei Wochen angeblichen Rückgaberechts.
Insgesamt wurden 1014 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet befragt. Erhoben wurden dabei zudem Daten zu Alter, Geschlecht, Haushaltsnettoeinkommen und Bildungsabschluss. Jedem Teilnehmer wurden jeweils 24 Fragen zu den Themen Finanzen, Arbeitsmarkt, Konsum und Staat gestellt. Dabei war ein maximaler Wert des minimalen ökonomischen Wissens von 100 zu erreichen. Der Durchschnitt der Befragten kam am Ende auf einen Wert von 57,4 – gerade etwas mehr als die Hälfte dessen an Wirtschaftskenntnissen, die jeder Bürger im täglichen Leben eigentlich braucht. Im Vergleich zur früheren Erhebung von vor zwei Jahren bedeutete dieser Wert sogar noch eine Verschlechterung: Damals kam der Durchschnitt auf 59,4 Punkte. Mögliche Gründe für diese leicht negative Entwicklung sieht das Forscherteam in einer oftmals „mangelhaften Berücksichtigung ökonomischer Themen in den Schulen sowie einem bisweilen problematischen Medienkonsum“.
„Nicht nur in der Verbraucherbildung wird auf die Bedeutung des Verständnisses grundlegender wirtschaftlicher/ökonomischer Prozesse für die Qualität von Konsumentscheidungen hingewiesen: Konsumenten sollten sich nicht nur in Themenbereichen auskennen, die für sie unmittelbar relevant sind, sondern auch über minimale notwendige Kenntnisse in Bezug auf ökonomische Prozesse im Allgemeinen verfügen“, erläutern Hubert, Wobker und Kenning den Hintergrund der Studie. „Eine solche hinreichende ökonomische Bildung erhöht die Teilhabe und Konsumkompetenz und stärkt damit nicht nur das Individuum, sondern ebenso Gesellschaft und Politik.“
Verteilt ist das ökonomische Wissen – auch das ergab die Studie – geschlechterspezifisch übrigens eher ungleich. Frauen schnitten deutlich schlechter ab Männer. Sie schätzten überdies selbst ihr Wissen in Sachen Wirtschaft als wesentlich schlechter ein und erzielten zudem einen im Durchschnitt um sieben Punkte schlechteren Wert. Den Grund dafür sehen die Wissenschaftler vornehmlich darin, dass sich Frauen beim Thema Geld häufig noch weniger in der Verantwortung sähen als Männer und dem Thema Ökonomie auch weniger Interesse entgegenbrächten. Weitere Ergebnisse der Studie: Mit Alter und Einkommen nimmt das minimale ökonomische Wissen ebenso zu wie mit dem Bildungsabschluss.
Erstmals erhoben wurden zudem Vergleichswerte zwischen der Bundesrepublik gesamt und dem Land Baden-Württemberg. Dabei zeigte sich, dass die Menschen im Land der Häuslebauer und Tüftler signifikant besser abschnitten als der Bundesdurchschnitt. Kam dieser am Ende auf einen Wert von 57,38, so erreichten die Baden-Württemberger einen Wert von 60,95. Warum ist das so? „Die Gründe dafür sind noch nicht abschließend erforscht. Unsere Daten zeigen aber, dass Unterschiede in den beruflichen Werdegängen, also Studium/Ausbildung und im Beruf ursächlich dafür sein könnten“, vermutet das Forscherteam.
Und im Land der Häuslebauer dürfte denn auch die Lösung der Eingangsfrage nach den Schulden und deren Rückzahlung weniger ein Problem gewesen sein. Die richtige Antwort, wann denn nun unter den genannten Bedingungen die Schulden getilgt seien, lautet natürlich: nie!
Titelbild: Polycart (CC BY 2.0)