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Alexander Eisenkopf studierte Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Nach seiner Promotion über Just-in-Time-orientierte Fertigungs- und Logistikstrategien arbeitete und lehrte Eisenkopf in Gießen und Frankfurt.
Seit 2003 ist Eisenkopf Professor an der Zeppelin Universität und Gastdozent an der Wiener Wirtschaftsuniversität. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem auf Mobilität und Transportunternehmen.
Seit vielen Jahren beklagen Wirtschaftsunternehmen, Verbände und Lobbyorganisationen, dass die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland „auf Verschleiß gefahren werde“. Wie der Bundestagswahlkampf 2013 zeigte, ist das Thema mittlerweile auch in der Politik angekommen. Die politischen Parteien überboten sich mit Forderungen nach mehr Infrastrukturinvestitionen und entsprechenden Finanzierungsvorschlägen – bis hin zur Pkw-Maut für Ausländer. Es stellt sich allerdings die Frage, warum es so lange gedauert hat, bis Verkehrsinfrastruktur als zentrale Voraussetzung für Mobilität, Wohlstand und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes wieder in den Fokus der politischen Diskussion gerückt ist.
Eine Antwort hierauf lässt sich finden, wenn wir Politiker primär als wählerstimmenmaximierende Agenten begreifen. Dann wird klar, warum in einer Gesellschaft, in der mehr und mehr Individuen und sogar Unternehmen von staatlichen Transferleistungen und Subventionen abhängen, konsumtive Verwendungen der öffentlichen Haushaltsmittel dominieren. Mit der Forderung nach Investitionen „in Beton“ ließen sich in der Vergangenheit keine Wahlen gewinnen. Für die breite Öffentlichkeit bleibt der Verschleiß der Infrastruktur ja auch über einen langen Zeitraum weitgehend unbemerkt, so dass Politiker nicht fürchten müssen, dafür bei den nächsten Wahlen bestraft zu werden. All dies hat zu einem Staatsversagen in der Verkehrsinfrastrukturpolitik geführt.
Offenbar hat der Wind nunmehr gedreht. Bereits im letzten Jahr beschäftigte sich die Kommission „Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ (Daehre-Kommission) mit der Ermittlung des Finanzierungsbedarfs für den Erhalt und notwendigen Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Sie wurde abgelöst von einer neuen Kommission unter Leitung des ehemaligen Verkehrsministers Bodewig, deren Aufgabe es war, ein mit den Bundesländern abgestimmten Konsensmodell für die zukünftige Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur zu erarbeiten, das nach der Bundestagwahl sehr schnell in die Umsetzung gehen sollte. Dabei ging es geeignete Instrumente für einen zusätzlichen jährlichen Finanzierungsbedarf von rund sieben Milliarden Euro.
Was herauskam, offenbart eine anscheinend panische Angst der Politiker vor dem (deutschen) Autofahrer. Zum einen wird eine „Sicherung“ von Haushaltsmitteln in Höhe von 2,7 Milliarden Euro pro Jahr in einem Sondervermögen „Nachholende Sanierung“ vorgeschlagen. Hierzu sollen im Wesentlichen Steuereinnahmen des Verkehrsbereichs (Kfz-Steuer, Mineralölsteuer) verstärkt zweckgebunden eingesetzt werden. Das hätte man auch schon früher tun können. Zur Deckung der verbleibenden Finanzierungslücke ist eine Ausweitung der entfernungsabhängigen Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen sowie die Einbeziehung von Lkw ab 7,5 Tonnen (3,5 Tonnen) vorgesehen. Falls das Geld nicht reicht, stellt auch die Ausweitung der Lkw- Maut auf das nachgeordnete Netz der Landesstraßen eine Option dar.
Umstritten ist für die Politik die Einführung einer Pkw-Maut. Auf die Idee, dass bei den Autofahrern durchaus Akzeptanz für eine solche Lösung zu erzeugen ist, wenn man glaubhaft machen kann, dass dieses Geld auch wieder in die Infrastruktur investiert wird, kommt offensichtlich niemand. Statt es sich mit 18 Millionen ADAC-Mitgliedern zu verscherzen, wird lieber die Ausweitung der Lkw-Maut propagiert, denn der Widerstand scheint hier weniger groß zu sein. Zum einen sind der Straßengüterverkehr und die demnächst wohl auch betroffenen Paketdienste in ihrer Lobbyarbeit schlecht aufgestellt, zum anderen werden sie ohnehin in der Öffentlichkeit als Sündenböcke für Staus, Umweltverschmutzung oder schlechte Arbeitsbedingungen der Fahrer verantwortlich gemacht. Da kann man ruhig noch einmal zulangen.
Zu dumm ist in diesem Zusammenhang, dass die Maut für schwere Lkw auf Autobahnen (Aufkommen derzeit rund 4,5 Milliarden Euro) nicht einfach erhöht werden darf, denn in einem neuen Wegekostengutachten wurde aufgezeigt, dass bereits die bisherigen Mautgebühren viel zu hoch waren. Daher blieb dieses Gutachten auch in der Schublade, bzw. wird hinter den Kulissen nach wie vor heftig zwischen Gutachtern und Ministerium um die „richtigen“ Mautsätze gestritten.
Die kurioseste Idee in dieser verkorksten Diskussion ist aber die Seehofer‘sche Maut für Ausländer. Offensichtlich gelingt es den Protagonisten dieses im wahrsten Wortsinne an Volkes Stimme appellierenden Vorschlags nicht mehr, ohne Gesichtsverlust aus der Sache herauszukommen. Auch wenn die EU-Kommission in dieser Angelegenheit nunmehr eine gewisse Kompromissbereitschaft signalisiert – man sollte allerdings die formulierten Nebenbedingungen nicht unterschätzen –, wird das deutsche Straßenwesen an den ausländischen Autofahrern nicht genesen. Realistische Schätzungen lassen ein Mautaufkommen von rund 250 Millionen Euro von ausländischen Fahrern erwarten, von dem noch die Erhebungskosten abzuziehen sind. Letztlich wird es ohne eine Pkw-Maut für alle nicht gelingen, die Schlaglöcher auf deutschen Straßen zu stopfen.
Titelfoto: Victoria Pickering (CC BY-NC-ND 2.0)
Text: Sergio Morchon (CC BY-NC-ND 2.0) | vijay chennupati (CC BY 2.0)