ZU|Daily wurde in die Hauptseite in den Newsroom unter https://www.zu.de/newsroom/daily/ integriert. Die neuesten Artikel seit August 2024 werden dort veröffentlicht. Hier finden Sie das vollständige Archiv aller älteren Artikel.
Katharina Große arbeitet und forscht am Lehrstuhl für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik an der Zeppelin Universität Friedrichshafen. Nach ihrem Bachelorstudium an der International Business School in Groningen (NL) absolvierte sie an der ZU einen Master in Politik- und Verwaltungswissenschaften. Ihre Forschung konzentriert sich auf die Rolle des Bürgers in der digitalen Demokratie.
Enquete-Kommissionen sind vom Bundestag oder von einem Landesparlament eingesetzte Arbeitsgruppen, die juristische, ökonomische, soziale oder ethische Fragestellungen lösen sollen. Sie bestehen aus Abgeordneten aller Fraktionen und externen Sachverständigen, die gleichberechtigt zusammenarbeiten. Die Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft (EIdG) untersuchte seit dem 5. Mai 2010 die Auswirkungen des Internets auf Politik und Gesellschaft und hat am 18. April 2013 ihren Abschlussbericht vorgelegt. Dessen Ergebnisse und weiterführende Informationen finden sich auf der Internetseite der EIdG.
Sollen Jugendliche in der Schule Informatik lernen? Dazu gibt es im Wesentlichen drei Standpunkte. Zwei Sichtweisen teilen dieselbe Grundannahme: Informatik ist Programmieren und nur für einige Menschen später relevant. Die einen leiten daraus ab, dass Informatik deshalb nichts auf dem Lehrplan zu suchen habe. Die anderen sind überzeugt, dass auch Fächer wie Chemie oder Physik nur den wenigsten Schülern fehlen würden – und trotzdem seien sie wichtig, um jedem die Chance zu geben, sich dafür zu interessieren und allen eine breite Basis für die Zukunft zu geben.
Die dritte Gruppe möchte Informatik nicht aufs bloße Programmieren reduziert wissen. Es gehe um die Fähigkeit, in Prozessen denken zu können, um ein Verständnis digitaler Infrastruktur. Es gehe darum, Medienkompetenz zu erlangen. Das sei essentiell für jeden Schüler damit essentiell für jeden Lehrplan. Ich denke, die Wahrheit liegt irgendwo zwischen den beiden letztgenannten Positionen.
Laut der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ (EIdG) umfasst Medienkompetenz auch technische Grundkenntnisse über Infrastruktur und Programmieren, die Fähigkeit zum Bewerten und Filtern von Informationen und ein Risikobewusstsein beim Umgang mit Daten. Kurzum: Die EIdG lässt wenig Zweifel, dass zur Medienkompetenz auch Informatikkenntnisse gehören – oder zumindest eine Ahnung von grundlegenden technischen Vorgängen: Was sind Informationen, wie können sie verarbeitet werden und wie sollten sie verarbeitet werden?
Aber warum gehört ein Fach auf den Lehrplan, das diese Fragen beantwortet? „Zum einen mag dies daran liegen, dass Medienkompetenz die einzig verbliebene Antwort auf viele komplexe Fragestellungen ist“ schreibt die EIdG und bezeichnet Medienkompetenz als eine „Schlüsselqualifikation in der modernen Gesellschaft. Ein paar Beispiele können helfen, diese Behauptungen etwas greifbarer zu machen.
„Sind wir vielleicht naiv zu glauben, unsere Daten würden nicht weitergegeben oder zumindest verkauft?“, fragte ZDF Log-In auf Facebook und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Laut der Medienpsychologin Prof. Dr. Sabine Trepte haben die Kids von heute eine andere Einstellung zu Privatsphäre. An sich kein Problem. Kritisch wird es erst, wenn sie sich ihrer eigene Öffentlichkeit nicht bewusst sind; wenn sie sich zum Beispiel keine Vorstellung davon machen, dass ihre Facebook-Posts möglicherweise auch für ihre Lehrer oder spätere Arbeitgeber sichtbar sind.
Wer hat vor dem Bekanntwerden von Prism darüber nachgedacht, ob ein Geheimdienst unsere Tweets auswertet? Welcher Jugendliche befasst sich von selbst damit, ob es ein Problem ist, dass der eigene Staat alles über ihn weiß – immerhin hat man ja nichts zu verbergen? Wissen Jugendliche eigentlich, dass einige Regierungen das Internet, das für die fast so wichtig ist wie gute Freunde und Familie, filtern und sperren wollen?
Medienkompetenz ist auch das Kennenlernen und Diskutieren über den eigenen Lebensraum. Stoßen wir diese Gedanken nicht in der Schule an, bliebe uns nichts anderes über, als mehr oder weniger erfolgreich auf die technische Entwicklung zu reagieren, die von Unternehmen vorangetrieben wird. Können wir das Risiko eingehen?
Dass auch der Staat auf technische Qualifikationen nicht verzichten kann zeigt sich bei den Diskussionen über einen sogenannten Internetminister, der ein ITler sein soll, und kein Jurist. Die öffentliche Verwaltung muss sich damit auseinandersetzen, wie sie Soziale Medien nutzen und neue Technologien zur Zusammenarbeit einsetzen kann. Die USA haben deshalb 2009 Code for America gestartet: Informatiker sollen helfen, öffentliche Behörden und Einrichtungen fit für die digitale Zukunft zu machen. Auch in Deutschland scheint es Bedarf für so eine Initiative zu geben. Der Verwaltung selbst fehlt die nötige Kompetenz – das sollte zu denken geben.
Medienkompetenz heißt nicht, dass jeder Schüler programmieren können müssen. Man kann nicht allen fließend C++ beibringen – genauso wenig, wie man allen fließend Französisch beibringen kann. Aber es werden Grundlagen gelegt und die Barriere zur Sprache abgebaut. So sollten wir Programmieren behandeln: wie eine zweite Fremdsprache. Natürlich wird nicht jeder zum Software-Entwickler werden. Aber es studiert auch nicht jeder Französisch an der Uni. Doch zumindest in Paris den Metro-Plan lesen und nach dem Weg fragen, das können die meisten.
Bleibt die Frage: Wer soll unseren Schülern diese neuen Fähigkeiten beibringen? Wenn es nicht einmal genug Kompetenz gibt, um alle offenen Stellen zu besetzen, wer soll dann unterrichten? Da hilft nur „das bisherige Bild des Lehrers aufzugeben“, wie Jürgen Ertelt so schön formuliert. Wir müssen hin zu einer Form des Lernens, die Gemeinsamkeit in den Vordergrund rückt. Es geht hier nicht nur um Wissensvermittlung. Es geht darum, Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen zu lenken und Diskussionen anzustoßen.
Medienkompetenz und Informatik müssen einen festen Platz in jedem Lehrplan haben. Und zwar nicht als Nerd-AG, sondern als ganz normales Unterrichtsfach. Natürlich geht das nicht ohne Investitionen, irgendwo muss die Infrastruktur ja herkommen. Ob das nun über PC-Räume in Schulen gelöst wird oder über die individuelle Ausstattung der Schüler – beides wird Geld kosten. Doch das sollte es uns wert sein.
Dieser ZU|Ruf ist die gekürzte und überarbeitete Version einer Kolumne, die Katharina Große für das Onlinemagazin Netzpiloten geschrieben hat.
Titel: Lucélia Ribeiro (CC BY-SA 2.0)
Text: STARS Foundation (CC BY-NC-ND 2.0)