ZU|Daily wurde in die Hauptseite in den Newsroom unter https://www.zu.de/newsroom/daily/ integriert. Die neuesten Artikel seit August 2024 werden dort veröffentlicht. Hier finden Sie das vollständige Archiv aller älteren Artikel.
Ramona Maria Kordesch wurde 1986 in Klagenfurt am Wörthersee geboren. Nach dem Studium der katholischen Theologie und der angewandten Relgionswissenschaften in Graz und Tübingen, fokussierte sie sich im Rahmen ihrer Promotion auf den interdisziplinären Dialog zwischen Theologie und Wirtschaft. Zusätzlich analysierte Kordesch im Rahmen ihrer Arbeit aktuelle wirtschafts-ethische Fragen der Kirche.
Seit Mai 2013 arbeitet Kordesch an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen und forscht dort als Mitglied des CiSoC's über innovatiove Systeme für Wohlfahrtsorganisationen im Rahmen einer Projekt-Kooperation mit dem Diözesancaritasverband Rottenburg-Stuttgart.
„Ich will gegen das Geläut der Leute / mein Geschweige stimmen“. Religiöses Liedgut. Text: Wilhelm Willms, Musik: Peter Janssens (1974)
Sachs, Nelly (1977): Gedichte. Hrsg. und Nachwort von Hilde Domin., Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag [BS 549], S. 83-84
Sachs, Nelly (1977): Gedichte. Hrsg. und Nachwort von Hilde Domin., Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag [BS 549], S. 17-18
Sedlacek, Tomas (2012): Die Ökonomie von Gut und Böse. München: Hanser Verlag
Unweigerlich denkt man an ein Sprichwort, das sagt: „Sie sind so laut, als ob sie unrecht hätten“. Die „Stille Nacht“ wird vorzeitig lautstark verjubelt. Denn was bleibt selbst den widerständigsten Sinnen und Sinnagenten während lieblich-musikalischer Zwangsberieselung und frohlockender Schnäppchenjagd übrig, als sich „zielführend“ doch ein kurzes Weilchen kampflos zu ergeben. Und man muss, wenn auch ungewollt, zugeben: Weihnachten ist ein Ausnahmezustand dieser säkularen Welt (Doch: „haben“ wir eine andere „Welt“?)!
Sie, liebe Leser und Leserinnen, können sich selbst ein Bild über diesen „alle Jahre wieder (-kehrenden)" Ausnahmezustand machen. Vielleicht sind Sie sogar und immer noch – notgedrungen - mitten drin! Da hilft kein kritisch sein wollendes Lamentieren über „unsere Konsumgesellschaft“, denn es ist „unsere Welt“, von der wir zu glauben geneigt sind, dass wir keine „bessere haben“, denn – das wissen wir seit Voltaire und Sigmund Freud – „das Bessere ist der Feinde des Guten“. Was also tun, außer fromme Sprüche dagegen reißen zu wollen?
Sondern: hören. Gegen das laute „Geläut“ der Leute hören!
Dazu verhilft keine moralische Entrüstung. Nein: Dazu fordert die Poesie heraus, die Dichtung. Die Dichtung bietet Anti-Moralistik an. Die Dichtung befreit von fragwürdig-lästiger Moralistik, sie gibt Mut zur Realität, ohne voreilig zu bewerten oder zu resignieren. Negative Resignation wäre hier „vorweggenommene Sinnlosigkeit“.
Ich denke zum Beispiel an die jüdische, deutsch-schwedische Dichterin Nelly Sachs. In einem ihrer, nicht ausdrücklich auf Weihnachten geschriebenen Gedichte mit dem Anfang „Einer / wird den Ball / aus der Hand der furchtbar / Spielenden nehmen“ sagt sie am Ende: „Hier ist / Amen zu sagen / diese Krönung der Worte die / ins Verborgene zieht / und / Frieden / du großes Augenlid / das alle Unruhe verschließt / mit deinem himmlischen Wimpernkranz. Du leiseste aller Geburten“ .
Das ist keine Ergebung (Resignation) ins Sinnlose, sondern Einladung, auf das dennoch Unerhörte zu hören, auf die „leiseste aller Geburten“. Und was sagt das im Blick auf heutiges Leben und Handeln, für heutige Alltagsrealität, (Zivil-) Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur, Religion? Auch dazu hat Nelly Sachs in prophetischer Ahnung und Weisheit zuvor geantwortet und in dem Gedicht „Lange haben wir“ auch uns gesagt:
„Wenn wir auch auf einer Straße schreiten,
Darunter die Erde zum Schweigen gebracht wurde
Von einem Pflaster,
Verkaufen dürfen wir nicht unser Ohr,
O, nicht unser Ohr dürfen wir verkaufen.
Auch auf dem Markte,
Im Errechnen des Staubes,
Tat manch einer schnell einen Sprung
Auf der Sehnsucht Seil,
Weil er etwas hörte,
Aus dem Staube heraus tat er den Sprung
Und sättigte sein Ohr.
Presst, o presst an der Zerstörung Tag
An die Erde das lauschende Ohr,
Und ihr werdet hören, durch den Schlaf hindurch
Werdet ihr hören
Wie im Tode
Das Leben beginnt“
Da wird mit dichterischen Worten Ökonomie im Lichte der Poesie, nicht ohne Religion gesehen, da wird Religion zur kritischen „Ökonomie des Geistes“ (nach Gregory Bateson) und des Lebens.
Und dann ahnen wir, was Paulus in 2 Kor 8,9 – wiederum mit „anstößiger Weise“ alltagsnahen ökonomischen Kategorien gesagt – meint: „Denn ihr wisst, was Jesus Christus, unser Herr, in seiner Liebe getan hat: Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen.“
Das ist auch Weihnachten, ohne Kaufrauschrummel!
Hätten wir damit „gerechnet“?
Titelbild: Jason Mrachina / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
Bilder im Text: Astrid Kopp / flickr.com (CC-BY-NC-SA 2.0); Marcus Wagenknecht / flickr.com (CC-BY-NC-SA 2.0), Valentina_A / flickr.com (CC-BY-NC-SA 2.0), Philipp Zieger / flickr.com (CC-BY-NC-SA 2.0)
Redaktionelle Umsetzung: Maria Tzankow