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Professor Dr. Karen van den Berg ist Professorin für Kulturtheorie und inszenatorische Praxis an der Zeppelin Universität. Sie studierte Kunstwissenschaft, Klassische Archäologie und Nordische Philologie in Saarbrücken und Basel, wo sie auch promovierte. Von 1993-2003 war sie Dozentin für Kunstwissenschaft am Studium fundamentale der Privaten Universität Witten/Herdecke. Seit 1988 realisiert sie als freie Ausstellungskuratorin zahlreiche Ausstellungsprojekte in öffentlichen Räumen und in Kunstinstitutionen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. Kunst und Öffentlichkeit, Kunstvermittlung und Politik des Zeigens, Kunst und Emotionen, Rollenmodelle künstlerischen Handelns sowie die sozialen Effekte von Bildungsarchitekturen.
Als wir zur Vorbereitung der diesjährigen PhD Summer School an der Zeppelin Universität einige prominente Galeristen anfragten, ob sie während der Art Basel 2015 zu einem Gespräch mit Doktoranden bereit wären, antwortete einer der erfolgreichsten deutschen Galeristen, dass ihn kaum etwas weniger interessiere als der Kunstmarkt. Solche Aussagen mögen für Außenstehende rätselhaft oder unaufrichtig erscheinen, für Kenner sind sie dagegen keineswegs überraschend. Sie entsprechen einem Selbstverständnis, das konstitutiv ist für die Kunstwelt. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu beschrieb es als „illusio“ des Kunstfeldes, dass sich die Akteure selbst als marktfern beschreiben. Das symbolische Kapital der Kunst wird demnach sogar daraus bezogen, dass Künstler, Galeristen und Sammler ihre Tätigkeit als Gegenentwurf zu ökonomischen, zweckbestimmten Produktionsweisen betrachten. Kunst als Investment zu sehen ist deshalb unter Sammlern und Galeristen weitgehend verpönt. Der Wert der Kunst – so die nach wie vor vorherrschende Überzeugung – werde gerade daraus gewonnen, dass sie Erfahrungen bereit halte, die sich dem Warenfluss entziehen. Deshalb würde Kunst folgerichtig in zeitresistenten Institutionen wie Museen und Sammlungen einen dauerhaften Ort finden.
Sind solche marktaversen Bekundungen von Galeristen angesichts eines beispiellos wachsenden globalen Kunstmarkts, auf dem sich die Umsätze in den letzten zehn Jahren von 20 auf 40 Milliarden Dollar verdoppelt haben, glaubwürdig? Gehört der ehemalige JP Morgan-Investmentbanker Anders Petterson, der in seiner Kunstmarkt-Research-Agentur „ArtTactic“ Anlagestrategien für Kunstsammler entwirft, nicht zur Kunstwelt? Sind die Spekulanten, Milliardäre und Celebrities, die sich auf den Kunstmessen tummeln, im Grunde nur Außenstehende? Sind Zeitschriften wie das 2001 gegründete Blatt „Artinvestor“ nur etwas für Banker, die nichts von Kunst verstehen? Wohl kaum.
In der aktuellen Kunstmarktforschung konkurrieren unterschiedliche Deutungen des boomenden Kunstmarktes. Eine erste schließt an Bourdieus erwähnte Theorie des Kunstfeldes an und interpretiert die gegenwärtigen Entwicklungen als Prozess der Ausdifferenzierung. Dabei wird davon ausgegangen, dass es einerseits weiterhin eine autonome intellektuelle Kunst gibt, die sich in ihrem Selbstverständnis jeder ökonomischen Zweckbestimmung entzieht (der hochpreisige Kunstmarkt wird dagegen als kommerzielles Subfeld verstanden). Dieser Diagnose der Ausdifferenzierung, die tendenziell dazu neigt, die Kunstwelt in Gut und Böse zu unterteilen, steht eine Kolonialisierungsthese entgegen. Die Vertreter dieser These sehen die Kunstwelt als Ganze mittlerweile vollkommen durchdrungen und beherrscht von ökonomischen Prinzipien. Demzufolge setzt das Finanzkapital längst die Wertmaßstäbe in der Kunst. So versucht etwa Isabelle Graw in ihrem Buch „Der große Preis“ nachzuweisen, dass der Preis heutzutage ganz entscheidend den symbolischen Wert der Kunst bestimmt und nicht umgekehrt. Von dieser Entwicklung bleibt Graw zufolge auch die politische und sozial engagierte Kunst nicht unberührt. Im Gegenteil: Sie zählt nach ihrer Einschätzung längst zu den Marktgewinnern.
Beide Erklärungsmuster vermögen jedoch nicht ganz zu überzeugen. Denn dass Kunst auch eine Ware auf dem Markt einzigartiger Güter ist, ist im Grunde kein Skandalon. Kunst und geistige Gebilde wurden immer schon als ökonomische Gegenstände verhandelt. Das Problem – und das erkannte bereits Theodor W. Adorno – beginnt dort, wo sie „nicht länger auch Waren“ sind, sondern „es durch und durch“ sind.
Dass das Kunstfeld aber durch und durch vom hochpreisigen Segment des Kunstmarktes und Rekordverkäufen beherrscht wird, darf man getrost bezweifeln. Auch aktivistische und sozial engagierte Kunst, die kaum verkäuflich ist, erfährt derzeit eine beispiellose Konjunktur. Zudem sind die meisten Galerien denkbar weit davon entfernt, ihre Kunst zu Rekordpreisen an Spekulanten zu verkaufen. Genauso sollte man aber auch bezweifeln, dass sich Galeristen nicht für den Kunstmarkt interessieren. Eher haben sie wenig Interesse daran, ihn zu kommentieren, weil dies das verbreitete Vorurteil verstärken könnte, dass sie die von ihnen vertretene Kunst selbst im Wesentlichen als Kapitalinvestment sehen. Jedes Reden über ihre Kunst als Investitionsgegenstand würde ihre Arbeit als Galeristen in Teilen entwerten. Das Schweigen ist deshalb mehr als eine List des gewitzten Verkäufers. Das symbolische Kapital, das der Kunst zugeschrieben wird, ist den Galeristen sicher nicht allein durch gerissene Formen der Verheimlichung in den Schoß gefallen. Es wurde von ihnen oft über Jahre oder Jahrzehnte hinweg erarbeitet und zuweilen hart erkämpft: durch Ausstellungen, Vermittlungsgespräche mit Kuratoren, Kritikern und Sammlern und die Erstellung von Publikationen. So bleiben die Galerien – bei aller angebrachten Skepsis gegenüber absurden Preisentwicklungen – im schnelllebigen Ausstellungsbetrieb meist die nachhaltigsten Verbündeten der Künstler.
Titelbild: CHRIStophe Robert HERVOUËT / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
Bilder im Text: Ehsan Khakbaz H. / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
„Pussy Riot by Igor Mukhin“ von Игорь Мухин in der Wikipedia
auf Russisch. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons.
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm & Alina Zimmermann