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Dr. Nadine Meidert ist seit September 2015 akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Politische Soziologie an der Zeppelin Universität. Von 2003 bis 2008 studierte sie – mit Auslandsaufenthalten in Belgien und Australien – in Konstanz Politik- und Verwaltungswissenschaften. Ebenfalls in Konstanz wurde sie im Jahr 2013 mit der Dissertation „Selektion oder Einfluss? Dynamische Analyse der Wirkungsmechanismen von politischen Einstellungen und Partizipation in studentischen Freundschaftsnetzwerken“ promoviert. Sie ist neben ihrer Tätigkeit an der Zeppelin Universität als Beraterin bei der Durchführung von Evaluations- und sozialwissenschaftlichen Forschungsprojekten tätig.
Die Wahlbeteiligung sowohl in Schleswig-Holstein als auch in Nordrhein-Westfalen war höher als bei den jeweils vergangenen Landtagswahlen in den beiden Bundesländern. Dass die Wählerinnen und Wähler wieder verstärkt ihren Weg zur Urne fanden, zeigte sich auch schon bei vorangegangen Landtagswahlen wie zum Beispiel im Saarland oder in Mecklenburg-Vorpommern. Optimistisch kann man von einem Trend reden und hoffen, dass der seit Jahrzehnten nicht nur in Deutschland beobachtbare Rückgang der Wahlbeteiligung ein Ende gefunden hat.
Bevor man sich allerdings zu sehr über die höhere Wahlbeteiligung und die damit einhergehende demokratische Legitimation des geltenden politischen Systems freut, sollte man sich auch fragen, wer von der Mobilisierung der Nichtwählerinnen und Nichtwähler profitiert. Gerne wird an dieser Stelle die AfD als Gewinnerin genannt. Betrachtet man die Zahlen von Infratest dimap zur Wählerwanderung bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen, dann scheint diese Hypothese auch auf den ersten Blick Bestätigung zu finden: Geschätzte 120.000 der Zweitstimmen ehemaliger Nichtwählerinnen und Nichtwähler gingen in Nordrhein-Westfalen an die AfD. Gemessen an allen Zweitstimmen für die AfD sind das beachtliche 19 Prozent.
Man sollte in diesem Zusammenhang allerdings berücksichtigen, dass auch die CDU geschätzte 430.000 Stimmen aus dem Kreis der Nichtwählerinnen und Nichtwähler für sich gewinnen konnte, und das sind immerhin auch 15 Prozent ihrer Zweitstimmen. Ähnlich stellt sich das Bild für Schleswig-Holstein dar. Zwar konnten den Schätzungen von Infratest dimap zufolge 11.000 ehemalige Nichtwählerinnen und Nichtwähler von der AfD mobilisiert werden, aber zum einen auch 51.000 von der CDU und zum anderen immerhin 30.000 von der SPD. Von einer höheren Wahlbeteiligung profitieren also nicht nur populistische oder aus Gründen des Protests gewählte, sondern auch die so genannten etablierten Parteien. Und damit zeigt sich für beide Landtagswahlen die alte Regel bestätigt, dass vor allem die Parteien gewinnen, denen es gelingt, ihre Wählerinnen und Wähler an die Urne zu bewegen – und eben diese altbekannte Regel wird auch für die Bundestagswahl gelten. Für uns wird es interessant sein zu beobachten, ob sich der Trend einer steigenden Wahlbeteiligung auch bei der Bundestagswahl fortsetzen lässt – natürlich mit bedacht, dass hier die Wahlbeteiligung ohnehin immer höher ist als bei Landtagswahlen – und welche Parteien die Nichtwählerinnen und Nichtwähler mobilisieren können.
Auch wenn in beiden Bundesländern die AfD den Einzug in das Parlament schaffte, machte sich an vielen Stellen etwas Beruhigung breit, dass die rechtspopulistische Partei jeweils deutlich unter 10 Prozent lag. Gemeinsam mit den neuesten Prognosen für die Bundestagwahl, welche die AfD bei 8 Prozent sehen, wurde das vergleichsweise „schlechte“ Abschneiden so interpretiert, dass die AfD an Unterstützung verliert. Aber auch hier sollte Vorsicht geboten sein! In beiden Landtagswahlen wurde der Wahlkampf von „klassischen“ Themen wie Infrastruktur oder Bildung dominiert. Die von AfD-Senior Gauland einstmals als „Geschenk für die AfD“ bezeichnete Flüchtlingskrise konnte wegen ihres sowohl medialen als auch realen Bedeutungsverlustes nicht für den Wahlkampf nutzbar gemacht werden. Über andere Inhalte schaffte es die AfD nicht, ausreichend Wählerinnen und Wähler von sich zu überzeugen. Außerdem muss auch bedacht werden, dass in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen das Mobilisierungspotential für die rechtspopulistische Partei auch zu anderen Zeitpunkten nicht so hoch war wie in den anderen Bundesländern.
Sich auf den aktuellen Prognosen auszuruhen und von einem Bedeutungsverlust der AfD zu reden, wäre verfrüht. Die AfD erfährt in verschiedenen Schichten und Regionen noch ausreichend Unterstützung, und wenn sie ein Thema wie die Flüchtlingskrise für den populistischen Wahlkampf zu instrumentalisieren vermag, dann kann der Abwärtstrend auch wieder gedreht werden. Schließlich kann in einem Sommer noch viel passieren.
Titelbild:
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Bilder im Text:
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Beitrag (redaktionell unverändert): Dr. Nadine Meidert
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm