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Said Djamil Werner ist in Frankfurt am Main geboren und in Neuss aufgewachsen, wo er auch sein Abitur machte. Er ist Studienstipendiat der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und seit dem Frühjahrssemester 2016 Bachelorstudent an der ZU, zunächst im Studiengang Kommunikations- und Kulturwissenschaften, inzwischen im Studiengang Soziologie, Politik und Ökonomie. Über das Studium hinaus engagierte sich Werner an der ZU unter anderem als ordentliches Mitglied im Student Council, als studentischer Beauftragter für Digitalisierung und als studentischer Vizepräsident. Darüber hinaus war er vielfältig ehrenamtlich aktiv, beispielsweise politisch als Bundesvorstandsmitglied des Bundesverbandes Liberaler Hochschulgruppen und gesellschaftlich mit seinem Sozialunternehmen „Mavericks Foundation e.V.“, mit dem er Modellschulen in Tansania und Uganda beim Aufbau unterstützte. Außerdem war er als Berater von Sozialunternehmen unter anderem für Stiftungen, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen tätig.
Im April 2018 schätzte das IT-Research- und Consulting Unternehmen Gartner den globalen Geschäftswert von künstlicher Intelligenz (KI) auf gut 1,2 Billionen US-Dollar. Es ist ein 70-prozentiger Anstieg im Vergleich zum Vorjahr. Populär geworden ist der Boom der Technologie erst vor gut zweieinhalb Jahren, als das Weltwirtschaftsforum die vierte industrielle Revolution ausrief und in SciFi-Manier davor warnte, die Automatisierung der Menschheit Herz und Seele stehlen zu lassen.
Was damals allenfalls die Trekkies unter uns aufhorchen ließ, schlägt sich zwischenzeitlich auch in Zahlen einer Studie von McKinsey nieder, der zufolge sich bereits im vergangenen Jahr die Hälfte aller globalen Arbeitsaktivitäten theoretisch automatisieren ließ. In Zukunft sollen durch KI 16 Billionen US-Dollar an Löhnen eingespart werden und die Einnahmen von derzeit 8 Milliarden auf mehr als 47 Milliarden US-Dollar anwachsen.
Zigtausende Lastwagenfahrer allein in den USA könnten innerhalb der nächsten Jahrzehnte ihren Job an die Automatisierung verlieren, genauso wie unzählige Reinigungskräfte, Buchhalter, Steuerberater, Analysten und andere Erwerbstätige in überwiegend regelgebundenen Berufen. Bessere Chancen auf Klassenerhalt spricht die Studie kreativen Jobs zu, etwa Lehrern, Kunsttreibenden, Forschern oder auch Managern.
Durch KI getriggerte Trends der Arbeitswelt werden sich jedoch nicht nur auf die vorhandenen Berufsgruppen auswirken. Schon Niklas Luhmann hielt fest, dass sich für die Gesellschaft mit der Erfindung des Computers vieles ändern würde, etwa „ein prinzipiell operatives und dann prozedurales Verständnis der Realität“. Dienten Organisationen vor der Jahrtausendwende noch vornehmlich der Skalierung zunehmender Komplexitäten, arbeitet SAP heutzutage mit sogenannten Enterprise-Resource-Planning-Systemen, wie dem SAP Digital Boardroom, daran, ganzheitliche Managementprozesse zu algorithmisieren und die (digitale) Organisation ohne Organisation zu erschaffen. Langfristige Organisationszwecke, feste Zugehörigkeiten und Hierarchien managerialer X-Theorien, wie man sie noch in den Millenniumslehrplänen der BWL findet, werden sehr wahrscheinlich dynaxischen Agilitätsmodellen weichen, bei denen die Gleichzeitigkeit einer funktionalen Bürokratie und der Wundertüte immer neuer technologischer Innovationen ihre (gemein-)gemeinsame Wirkung entfalten. Glaubt man der Tech-Branche, dann ist der Untergang der abendländischen Corporates beschlossene Sache.
Wie viel sich geändert hat, zeigt der Blick auf Anforderungsportfolios des Humankapitals 4.0, früher bekannt als Bildung. Ausdifferenziert in die technologisch bewanderten Fächer der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) und die eher Soft Skills forcierenden Disziplinen der Geisteswissenschaften konkurrieren zwei konträre Ausbildungsentwürfe um die Gunst eines modernen Arbeitsmarktes.
Während gerade in der Bundesrepublik immer wieder Forderungen nach mehr technischen Angeboten im sekundären und tertiären Bildungswesen laut werden, scheint der Kampf der Disziplinen andernorts besiegelt. War die Studienbeliebtheit im Abschlussjahr der Weltwirtschaftskrise in technischen wie geisteswissenschaftlichen Fächergruppen in den USA noch nahezu ausgeglichen, verzeichnete die Zahl der MINT-Absolventen bis 2015/2016 ein Wachstum von 43 Prozent auf etwa 550.000 Berufseinsteiger. Die Jahrgänge der Geisteswissenschaften zählten rund 150.000 Köpfe weniger, wie eine Erhebung des Instituts Emsi aus dem vergangenen Jahr zeigt.
Spätestens seit Don Draper wissen wir zwar, dass die quantitative Marktforschung nicht zwingend als Quelle aller Wahrheit angesehen werden muss, allerdings scheint sich auch das kulturelle Image der einst so irritationsfähigen Geisteswissenschaften zu verändern. An der kalifornischen Stanford University im Hotspot erfinderischer Heurekas werden Studierende der schrumpfenden Kohorten von Techie-Kommilitonen elegisch als Fuzzies bezeichnet, und es erweckt beinahe den Anschein, als verkäme das Bild der einst so umtriebigen Tausendsassa zu dem einer sich selbst irritierenden Gruppe an bestenfalls flauschigen Pausenclowns.
Ob der Spitzname so richtig angebracht ist, darf angezweifelt werden, ist es doch vornehmlich der Anspruch der freien Ausbildung des Geistes, das kritische Denkvermögen zu schulen, um neue Erkenntnisse und Wissen möglichst sinnstiftend in übergeordnete soziale, politische und ökonomische Kontexte zu implementieren. Wissenschaftler wie Gary Morson und Morton Schapiro beispielsweise empfehlen Ökonomen, sich mit großen Literaten zu beschäftigten, um den Einfluss kultureller Motivatoren auf wirtschaftliche Ereignisse zu verstehen und diese nicht bloß als rationalisierungsbedürftige externe Effekte abzutun. In vielen Bereichen der Gesellschaft lösen solch interdisziplinäre Ansätze komplexe Probleme zuverlässig, nichtsdestotrotz sehen wir uns mit einer zunehmenden Fokussierung auf die MINT-Bildung konfrontiert. Glaubt man einschlägigen Gehaltsstatistiken ist die Situation für geisteswissenschaftliche Berufseinsteiger auch hier alles andere als flauschig.
Vor dem Hintergrund fortschreitender Technologisierung – insbesondere in Bezug auf die Entwicklung von KI – stellt sich mehr als je zuvor die Frage, worauf es in der Ausbildung künftiger Generationen wirklich ankommen wird, wenn es um eine erfolgreiche Bewältigung – also nutzenstiftende Einbettung – der neuen Technologien in aktuelle und kommende soziale Systeme geht.
Setzt man im Diskurs der Ausbildungsentwürfe im Sinne der Vergleichbarkeit zwei Grundannahmen voraus – (a) Bildung ist an den Erwerb eines Grundrepertoires an Wissen und (b) an das Erlangen der Fähigkeit zum Umgang mit diesem gekoppelt –, so wird die von Ray Kurzweil prophezeite ständige Verfügbarkeit des gesamten menschlichen Wissens in Zukunft einen exorbitanten Einfluss auf den Umgang mit Wissen, seiner Normativität und Anwendung ausüben. Möglich gemacht hat das ein ausgedehnter Frühling in der Entwicklung von KI seit Mitte der 1985er-Jahre, der Computer hervorbringt, die mit ihren rückkopplungsfähigen, neuronalen Netzen dem Vorbild des menschlichen Gehirns huldigen.
Bei allem technologischen Zukunftsoptimismus wäre es gerade deswegen zu einfach, die ökonomische Gesamtrechnung ohne die Geisteswissenschaften zu machen, hielt doch bereits John Lasseter, Produzent des liebenswerten KI-Roboters WALL·E und seinerzeit ein Kollege von Steve Jobs bei Pixar, fest: „Technology inspires art, and art challenges the technology.“ Um zu begreifen, welcher Nutzen sich hinter der weit verdrahteten Fassade von KI noch verbirgt, müssen wir in der Ausbildung künftiger Generationen die intensive Auseinandersetzung über den Umgang mit dem Wissen selbst erwägen.
Dazu könnte es hilfreich sein, sich einer neuen Strategie in der Tradition eines Bildungshumanismus zu besinnen, der die leidenschaftliche Liebe zum Erforschen der unendlichen Weiten des Wissens – kurz zum 765 – wiederbelebt. Design Thinking und andere ganzheitliche Ansätze könnten ein erster Ölzweig zur Versöhnung der Disziplinen sein, bei der die Geisteswissenschaftler Daten hinterfragen, Algorithmen ein kontextuelles Verständnis hinzufügen und komplexe Konzepte ethischer Subroutinen entwickeln. In „The Fuzzy and the Techie“ untermauert Autor Scott Hartley diese These mit den industriellen Erfolgsgeschichten ausgewählter Flauschiger wie YouTubes CEO Susan Wojcicki (Literaturgeschichte), PayPal-Mitgründer Peter Thiel (Philosophie und Jura) oder Hewlett Packards ehemalige CEO Carly Fiorina (Mittelalterliche Geschichte).
Funktional würde dieses Bildungswesen dann nicht im blinden Konformismus den Trends aufblühender Industrien hinterher hechten, sondern die Anwendungsfähigkeit von Wissen als Schlüsselqualifikation sich stetig wandelnder Sozialsysteme ansprechen. Wissen wäre somit kein reines Hauptprodukt intellektueller Monokulturen, wie es der Stanford-Professor Adrian Daub ausdrückt, sondern würde sich im kreativen Umgang als aktiviertes Medium demonstrieren.
In den Kulturwissenschaften verknüpft man mit diesem Gedanken seit einigen Jahren den Begriff der Wissensfähigkeit. Was ein bisschen wie eine alles auf null setzende Weltformel anmutet, beschreibt eigentlich nur jene generalistischen, zugleich hoch spezialisierungsfähigen Soft Skills eines zutiefst geisteswissenschaftlichen Anforderungsportfolios, auf das progressive Liberal-Arts-Universitäten dieser Tage mit Herz und Seele Anspruch erheben.
Die vierte industrielle Revolution gehört deshalb nicht bloß einer Tech-affinen Domäne, sie gehört auch den Geisteswissenschaften. Vielleicht wird sie sogar zur Revolution der Pausenclowns.
Der Artikel ist am 21.11.2018 unter dem gleichen Titel in der Wiener Zeitung und am 27.11.2018 im MERTON Magazin des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft e.V. erschienen.
Titelbild:
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Bilder im Text:
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Beitrag (redaktionell unverändert): Said Werner
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm