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Nachdenken über „Game of Thrones“

Spiel mir das Lied vom Thron

Die Serie ist fantastisch gut gemacht. Sie hat es geschafft, den Spagat zwischen Fantasy-Ästhetik und historisch exaktem Mittelalter in Bilder zu übersetzen, hat großartige Schauspieler, Kostüme, Kulissen, Musik und vor allem Dialoge hervorgebracht. Dennoch nehme ich sie eher als Fan-Theorie wahr – sie ist nicht das Wahre, sondern versucht, das Wahre nur vorwegzunehmen –, und ich werde später ausführen, warum ich das so sehe.

Prof. Dr. Jan Söffner
Lehrstuhl für Kulturtheorie und -analyse
 
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    Zur Person
    Prof. Dr. Jan Söffner

    Professor Dr. Jan Söffner, geboren 1971 in Bonn, studierte Deutsch und Italienisch auf Lehramt an der Universität zu Köln. Nach dem erfolgreichen Studienabschluss promovierte er am dortigen Romanischen Seminar mit einer Arbeit zu den Rahmenstrukturen von Boccaccios „Decamerone“. Die nächsten drei Jahre führten ihn als wissenschaftlichen Mitarbeiter an das Zentrum für Literatur- und Kulturforschung nach Berlin. Zurückgekehrt an die Universität zu Köln, erfolgte neben einer weiteren wissenschaftlichen Tätigkeit am Internationalen Kolleg Morphomata die Habilitation. Jan Söffner übernahm anschließend die Vertretung des Lehrstuhls für Romanische Philologie und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Eberhard Karls Universität Tübingen und leitete Deutsch- und Integrationskurse für Flüchtlinge und Migranten an den Euro-Schulen Leverkusen. Zuletzt arbeitete er erneut am Romanischen Seminar der Universität zu Köln und als Programmleiter und Lektor beim Wilhelm Fink Verlag in Paderborn. An der ZU lehrt und forscht Professor Dr. Jan Söffner zur Ästhetik der Verkörperung, zur Kulturgeschichte sowie zu Literatur- und Theaterwissenschaften. 

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Nun läuft sie, die letzte Staffel von „Game of Thrones“ – und in der zweiten von nur sechs Folgen fing das Unvermeidliche an: der erste dicke Spoiler für die Bücher von „A Song of Ice and Fire“. Dazu muss man wissen, dass die 2011 gestartete Serie die Bücher eigentlich nie hätte überholen sollen – der Autor George R.R. Martin hatte allerdings seine Schreibgeschwindigkeit überschätzt, und bereits zum Ende der sechsten Staffel zog „Game of Thrones“ an „A Song of Ice and Fire“ vorbei.


Die Serie ist fantastisch gut gemacht. Sie hat es geschafft, den Spagat zwischen Fantasy-Ästhetik und historisch exaktem Mittelalter in Bilder zu übersetzen, hat großartige Schauspieler, Kostüme, Kulissen, Musik und vor allem Dialoge hervorgebracht. Dennoch nehme ich sie eher als Fan-Theorie wahr – sie ist nicht das Wahre, sondern versucht, das Wahre nur vorwegzunehmen –, und ich werde später ausführen, warum ich das so sehe.


Da diese Fan-Theorie von Martin selbst beraten wurde, hat die Serie allerdings einen besonderen Status – sie leakt eher als dass sie Theorien aufstellt, und das macht die Sache nicht besser. Der Grund, warum einem dennoch gar keine andere Wahl bleibt als die Serie anzusehen, ist, dass man die Spoiler sowieso nicht vermeiden könnte: Sie kämen dann bloß von Bekannten, aus der Werbung oder irgendeiner WhatsApp-Gruppe, und das als platte Informationen und nicht in Erzählform. Also lieber die Serie.

Wohl kaum eine Fernsehserie ist so tödlich wie „Game of Thrones“. Die Serie ist eine Mischung aus Fantasy, Mittelalterelementen, Heldenepos, Intrigen und Sex. Brutale Gewaltdarstellungen sind Fans der Serie allerdings auch gewöhnt. In der ersten Staffel der Serie, die 2011 auf Sendung ging, mussten Fans 59 Serientode betrauern – darunter auch Hauptfiguren wie Ned Stark, Robert Baratheon und Khal Drogo. Doch die Staffel ist tatsächlich die mit der geringsten Anzahl an Todesopfern. Die bisher tödlichste Staffel war die siebte, in der ganze 1.096 Figuren zu Tode kamen, darunter Petyr Baelish und Olenna Tyrell, aber auch der Drache Viserion, hinzu kamen vor allem Soldaten der verschiedenen Völker. In der sechsten Staffel starben dagegen „nur“ 540 Figuren, darunter allerdings viele, die maßgeblich an der Handlung beteiligt waren, wie etwa Hodor und Rickon Stark, Loras und Margaery Tyrell oder Ramsay Bolton. Tödlichster Schauplatz aller Staffeln ist mittlerweile Jenseits der Mauer, was King’s Landing in der siebten Staffel als tödlichsten Ort ablöste. Tödlichste Figur ist nach wie vor mit Abstand Cersei Lannister, gefolgt von den beiden Drachen Rhaegal und Drogon sowie Jon Snow.
Wohl kaum eine Fernsehserie ist so tödlich wie „Game of Thrones“. Die Serie ist eine Mischung aus Fantasy, Mittelalterelementen, Heldenepos, Intrigen und Sex. Brutale Gewaltdarstellungen sind Fans der Serie allerdings auch gewöhnt. In der ersten Staffel der Serie, die 2011 auf Sendung ging, mussten Fans 59 Serientode betrauern – darunter auch Hauptfiguren wie Ned Stark, Robert Baratheon und Khal Drogo. Doch die Staffel ist tatsächlich die mit der geringsten Anzahl an Todesopfern. Die bisher tödlichste Staffel war die siebte, in der ganze 1.096 Figuren zu Tode kamen, darunter Petyr Baelish und Olenna Tyrell, aber auch der Drache Viserion, hinzu kamen vor allem Soldaten der verschiedenen Völker. In der sechsten Staffel starben dagegen „nur“ 540 Figuren, darunter allerdings viele, die maßgeblich an der Handlung beteiligt waren, wie etwa Hodor und Rickon Stark, Loras und Margaery Tyrell oder Ramsay Bolton. Tödlichster Schauplatz aller Staffeln ist mittlerweile Jenseits der Mauer, was King’s Landing in der siebten Staffel als tödlichsten Ort ablöste. Tödlichste Figur ist nach wie vor mit Abstand Cersei Lannister, gefolgt von den beiden Drachen Rhaegal und Drogon sowie Jon Snow.

Bislang ging dabei alles so gut es nur konnte. Manches war sowieso klar, manches wird in den Büchern absehbar anders werden, manches brachte die Serie so gut, dass die Bücher es auch nicht besser gekonnt hätten, anderes brachte die Serie nicht so gut rüber – was mich aber auch nicht störte. Ein großes Problem habe ich allerdings mit der Serienfigur des Night King, dieser platten Allegorie des Todes, die – im Gegensatz zu allen anderen Charakteren – keinen inneren Konflikt zu haben scheint und bislang geradezu obszön facettenlos ist. In den Büchern gibt es ihn noch nicht, das heißt dort gibt es nur die Legende von einem Night King, der Lord Commander der Night Watch war (vermutlich ein Stark) und sich von einer Frau der Others (also eines weiblichen White Walkers, während es in der Serie nur männliche gibt) verführen lässt. Er stürzt in eine Art Jekyll-Hyde-Existenz: tags als Lord Commander, nachts als White Walker – eine ganz andere, eine konfliktbeladene Gestalt also, eine, auf die ich gespannt sein darf. Also wieder kein echter Spoiler – denn man weiß: In den Büchern wird es ganz anders und viel besser.


In der zweiten Folge der letzten Staffel fiel indes der erste Schatten auf die Gesamtspannung. Das war unvermeidlich, denn allmählich geht es um die Frage: Was ist eigentlich entscheidend an der ganzen Geschichte? Mit anderen Worten: Worum geht es in Wahrheit bei der düsteren Bedrohung aus dem Norden? Hier erfährt man nun, was der Night King will – und gern würde ich sagen, dass derjenige, der diese Folge noch nicht gesehen hat, bitte nicht weiterlesen möge, aber die Serie bringt diesen Spoiler so unbedarft, dass ich fast denke, dass ich es selbst auch nicht schlechter machen werde. Bran Stark, inzwischen zum Three-Eyed Raven geworden, sagt auf die Frage, was der Night King denn wolle und warum dieses finstere Wesen es auf ihn selbst abgesehen habe, schlicht: „He wants to erase this world, and I am its memory.“


Wirklich? Das soll es sein? Das soll alles sein? Das schlimme ist: Ja doch, das könnte sein. Es ergibt Sinn, dass das gesamte Lied von Eis und Feuer gewissermaßen ein Kampf zwischen zwei Formen der lebenden Toten ist: Auf der einen Seite stehen die Untoten, die Wights, die der Night King und sein Gefolge erweckt haben; auf der anderen Seite stehen diejenigen Toten, die in den Geschichten von Old Nan und in den Mythen und Orakeln hausten, die in der Krypta der Starks liegen und die die Ahnen der verschiedenen Adelsgeschlechter darstellen.

Dieser zweite Typus von Toten hängt – verfolgt man den Gedanken weiter – an vielen verschiedenen Arten der Erinnerung. Es sind die Toten, deren Haltungen und Tonfälle die Lebenden weitersprechen, weil sie sie von ihnen gelernt haben. Es sind die Toten, deren Gedanken sie weiterdenken, die sie sich als Vorbilder oder Schreckensbilder gewählt haben, deren stete Macht sie in ihren eigenen Konflikten erleben und dort lieben oder hassen, die als Stimme des Gewissens oder der schlimmsten Verkrustung sprechen. Es sind die Toten, deren Geschichten sie bewohnen und weiterspinnen.


Neben dem Life-Writing – dem Versuch, den Ungehörten eine Stimme zu geben – ist das Death-Writing – der Versuch, den Toten eine Stimme zu verleihen – eines der wichtigsten Anliegen der Literatur. Und – wie man etwa an den Heroen der Mythologie genauso wie an posthumen Biografien erkennen kann – es stört dabei überhaupt nicht, dass die Toten immer auch erfunden werden, dass sie „historisch“ anders waren. Es geht schließlich um die lebendige Erinnerung, nicht um Speicherung des Vergangenen; und die lebendige Erinnerung verändert die Vergangenheit, um sie zu sich sprechen zu lassen – und das scheint mir genau der Vorgang zu sein, für den Brans Zeitreisen metaphorisch stehen: Er ist in der Lage, in die Vergangenheit einzugreifen, sie anders zum Sprechen zu bringen und über sie der Gegenwart einen anderen Spin zu verleihen.


Hinter diesem Fortleben der Toten liegen also große Fragen. Der Kulturtheoretiker Robert Harrison beschrieb in seinem Buch „The Dominion of the Dead“, wie die von den Lebenden erinnerten oder besser fortgelebten Toten eine der Aufgaben sind, die Menschen erst zu Menschen machen. Dafür, dass man mit den Toten leben kann, muss dieses Weiterleben der Erinnerung vom Leichnam abgelöst werden, und für diese Aufgabe sind wiederum Bestattungsrituale so wichtig. Gelingt diese Trennung nicht, kommt es zu Wiedergängern, zu lebenden Leichen, die nicht mit und für die Lebenden weiterleben, sondern sich an diesen rächen – ein Topos, den Martin in den Wights, den von den White Walkern wiederbelebten Toten, aufnimmt.

Seit der ersten Staffel lassen sich die Macher von „Game of Thrones“, HBO, jede Folge Millionen Kosten. Die finale, achte Staffel hebt die Ausgaben auf ein Rekordniveau von 15 Millionen Dollar pro Folge. Dafür bekommen die Zuschauer einiges geboten – unter anderem eine Reise um den Globus. Einer der bekanntesten Serien-Hotspots dürfte wohl die kroatische Stadt Dubrovnik gewesen sein, in der seit der zweiten Staffel gedreht wurde. Mittlerweile gibt es hier sogar geführte Fantouren, um die Drehorte der Kultserie zu erkunden. „Als wir das erste Mal Dubrovnik gesehen haben, war das ein Schock. Weil die ganze Stadt genau so aussah, wie wir uns das ausgemalt hatten“, sagt David Benioff, einer der Autoren und Produzenten der Serie.
Seit der ersten Staffel lassen sich die Macher von „Game of Thrones“, HBO, jede Folge Millionen Kosten. Die finale, achte Staffel hebt die Ausgaben auf ein Rekordniveau von 15 Millionen Dollar pro Folge. Dafür bekommen die Zuschauer einiges geboten – unter anderem eine Reise um den Globus. Einer der bekanntesten Serien-Hotspots dürfte wohl die kroatische Stadt Dubrovnik gewesen sein, in der seit der zweiten Staffel gedreht wurde. Mittlerweile gibt es hier sogar geführte Fantouren, um die Drehorte der Kultserie zu erkunden. „Als wir das erste Mal Dubrovnik gesehen haben, war das ein Schock. Weil die ganze Stadt genau so aussah, wie wir uns das ausgemalt hatten“, sagt David Benioff, einer der Autoren und Produzenten der Serie.

Damit sind wir bei den Untoten, den als Tote wiederbelebten Leichen, die in diesem Kampf um den Tod und sein Leben die Gegnerseite einnehmen würden. Der Night King will ja – Brans knapper Aussage zufolge – die Erinnerung töten und gerade dadurch das Leben vernichten. Er will die erste Form der lebenden Toten und will ihre Macht zum Schweigen bringen, vielleicht sich von der Bedingtheit befreien, insofern seine technisch erweckten Toten keine Erinnerung, keine Geschichte, keine Konflikte haben.


Auch ein solcher Hang zum Umgang mit den Toten ist in unserer Kultur kaum von der Hand zu weisen – und zwar nicht nur in Form von Horrorgeschichten über Irrlichter, Zombies, Vampire und andere Untote. Das Vergessen, das der Night King zu suchen scheint, lässt sich auch auf Friedhöfen beobachten, die immer surrealer, immer entlegener werden – während derjenige, der es sich leisten kann, eingefroren wird, in der Hoffnung auf künftige Wiederbelebung. Der Versuch, das eigene physische Leben technisch zu verlängern und statt den Geschichten das blanke körperliche Überleben zum Austragungsort des Umgangs mit dem Tod zu machen, schafft lebendige Leichen; und etliche posthumane Visionen spinnen diesen Versuch fort. Auch hier also wären wir bei einem Thema, das in der Gegenwart anklingen könnte – auf eine ähnlich unbestimmte Weise wie der seit Beginn der Bücher nahende Winter uns an die Bedrohung unter anderem der Klimaveränderung gemahnt.


Ist es das also? Ein Kampf um Leben und Tod, der als Kampf zweier Formen der lebenden Toten ausgetragen wird? Vielleicht. Es ergäbe jedenfalls Sinn in einem bislang 5000-seitigen Werk, das versucht, eine Unzahl von Geschichten und Mythen und damit lebendige Tote zusammenzuflechten in ein großes Fantasy-Werk; und dessen realistischer Sarkasmus gleichzeitig stark genug ist, um daraus keinen Kitsch werden zu lassen, sondern politische, soziologische und psychologische Weitsicht zu gewinnen – einem Werk, das also die Toten sowieso zum literarischen Leben erweckt und über diese Erweckung reflektiert.

Aber gleichzeitig ist es das natürlich noch nicht, denn so knapp und einfach, wie die Serie es mitgeteilt hat, wird da nichts draus. Einen Konflikt zwischen den beiden Formen der lebenden Toten, die halb allegorisch, halb konkret funktionieren (wie nur gute Fantasy das gegenwärtig zu leisten versteht) hätte ich gern gelesen; gern hätte ich so erlebt, wie dieser Konflikt sich aus der schillernden Werwolf-Figur des Night King der Romane heraus entwickelt. Nicht aber wollte ich ihn auf viel zu knappe und viel zu abstrakte Informationen hin in die platte Fratze des Serien-Night-Kings hineinsehen müssen.


Warum also so dumm und knapp und abstrakt? Die Serienproduzenten zeichnen sich eigentlich durch ihre Klugheit aus, aber vielleicht sind sie einfach an die Grenzen des filmischen Mediums gestoßen. Die Toten, die man in einem Augenaufschlag und einer Redewendung, in einem Tonfall und einer Geste weiterlebt, ihre Geschichten, die Orientierung verleihen und Haltung geben: Diese Toten leben im Modus des Anflugs, sie sind Sache des Gespürs – und das Gespür ist etwas, das man im steten Zeigemodus des Filmischen kaum sinnfällig machen kann. Das Filmische richtet sich auf Oberflächen – das Gespür indes ist flächenlos wie ein Rhythmus oder eine Atmosphäre. Bilder eignen sich nicht, einen Konflikt zwischen den verschiedenen Formen der lebenden Toten zu erzählen – sie lenken vielmehr von dem ab, worum es geht, machen sichtbar, was spürbar sein sollte.


Bran, der alle Schicksale aller Figuren durchleben kann, indem er sich über das Netz der Weirwoods mit ihnen verbindet, sollte das wissen: Dieses Netz, das selbst so wie das Netz der Erzählungen wirkt, durch die man mit den Toten lebt, gab ihm genau das, was die Romane auch hätten vermitteln können – anstatt durch bloße Informationen am Erleben gehindert zu werden.

Titelbild: 

| Kylo / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Bilder im Text: 

| mauRÍCIO santos / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link

| Jonathan Chng / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Jan Söffner

Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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