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Im Jahr 2022 betrug der Gender Pay Gap in Deutschland im branchenübergreifenden Durchschnitt 18 Prozent, in Kunst und Kultur 20 Prozent. Frauen erhalten also für die gleiche Arbeit bei gleicher Stundenzahl fast ein Fünftel weniger Lohn als Männer. In Deutschland findet seit 2008 jährlich der Equal Pay Day statt, um auf das aktuelle Ausmaß des Gender Pay Gap aufmerksam zu machen. Der digitale LunchTalk mit der Juristin Smaro Sideri wurde von der Gleichstellungsbeauftragten der Zeppelin Universität, Dr. Anja Blanke, und der Frauen- und Familienbeauftragten des Bodenseekreises, Veronika Wäscher-Göggerle, moderiert.
In ihrem Vortrag nannte Sideri einige Beispiele aus ihrem Beruf als Rechtsanwältin. Sie habe schon oft Mandantinnen vertreten, die für die gleiche Arbeit zum Teil deutlich weniger Lohn erhielten als ihre männlichen Kollegen. In einem extremeren Fall ging eine Mandantin bis vor das Bundesarbeitsgericht, nachdem sie vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht gescheitert war und Revision eingelegt hatte. In diesem Fall erhielt ein männlicher Kollege knapp 1.000 Euro mehr brutto im Monat als die Mandantin, was der Arbeitgeber mit dem besseren Verhandlungsgeschick des Mannes begründete. Das Bundesarbeitsgericht sah darin keinen sachlichen Differenzierungsgrund, sodass der Arbeitgeber der Mandantin 14.000 Euro Gehalt plus 2.000 Euro Entschädigung wegen Geschlechterdiskriminierung zahlen musste. Der gesamte Prozess dauerte vier Jahre.
In der anschließenden Fragerunde gab Sideri zunächst praktische Tipps für Arbeitnehmerinnen, die einen Verdacht auf ungerechte Bezahlung haben. Grundsätzlich habe jede Arbeitnehmerin ein Auskunftsrecht über die in einem Betrieb gezahlten Bruttolöhne und -gehälter. Ab einer Betriebsgröße von 200 Beschäftigten erfolgt dies über den Betriebsrat, bei einer geringeren Betriebsgröße muss man sich direkt an den Arbeitgeber wenden. Die Angaben des Arbeitgebers zu den Löhnen und Gehältern sind jedoch letztlich nicht überprüfbar – es sei denn, man beschreitet den Rechtsweg.
Sideri rät ihren Klientinnen jedoch nur in Ausnahmefällen dazu. Gerade, weil ein Gerichtsverfahren für viele ein mühsamer und belastender Prozess sein kann. In der Regel sei es daher einfacher, sich stattdessen einen anderen Arbeitgeber zu suchen. Zu solchen Situationen käme es aber in der Regel gar nicht erst, wenn es bereits heute eine umfassende Transparenz der Gehälter gäbe. Sideri hält es jedoch für unwahrscheinlich, dass eine solche Transparenz in den nächsten Jahren eingeführt wird.
Die aus Taiwan zugeschaltete Dr. Anja Blanke weist darauf hin, dass es dort beispielsweise völlig normal sei, von Taxifahrern nach Beruf und Gehalt gefragt zu werden. Auch sei es in Taiwan viel normaler, nach einer Schwangerschaft direkt wieder in Vollzeit in den Beruf einzusteigen. Auch in China – das ansonsten natürlich ganz andere Missstände aufweise – sei zumindest die Gehaltstransparenz deutlich höher als in Deutschland.
In der öffentlichen Verwaltung sei das sogar schon der Fall, bekundet Veronika Wäscher-Göggerle. Die einzelnen Besoldungsstufen seien für jeden transparent einsehbar – egal ob A9 oder B11. Eine solche Transparenz würde sie sich auch für andere Branchen wünschen. Zwar gebe es auch tarifgebundene Unternehmen, in denen der Spielraum für geschlechtsspezifische Unterschiede entsprechend gering sei. Insgesamt nehme die Tarifbindung derzeit aber eher ab als zu. Zudem sei mehr Transparenz bei den Gehältern gerade für junge Menschen wichtig, die vor der Entscheidung stünden, welchen Beruf sie später ergreifen wollten. Aufklärung und ein entsprechendes Erwartungsmanagement seien hier sehr wichtig.
Was Frauen den Wiedereinstieg in den Beruf nach der Geburt eines Kindes ebenfalls erleichtern würde, wäre, die Männer bei der Elternzeit stärker in die Pflicht zu nehmen, sagt Blanke. Sie schlägt in diesem Zusammenhang eine gesetzlich verpflichtende Elternzeit für Männer von fünf Monaten innerhalb der ersten drei Lebensjahre des Kindes vor. In einigen nordischen Ländern wie Island, Schweden oder Norwegen gibt es solche Regelungen bereits. In Norwegen beispielsweise müssen Väter seit 1993 mindestens zehn Wochen Elternzeit nehmen, davon zwei Wochen unmittelbar nach der Geburt des Kindes.
Häufig ist die Elternzeit des Vaters dort auch mit finanziellen Anreizen für die Familie verbunden. In Norwegen verlängert sich das Elterngeld um zehn Wochen, wenn der Vater diese Zeit in Anspruch nimmt. In Schweden gibt es einen „Papa-Monat“, bei dem der Vater einen zusätzlichen Monat Elternzeit erhält, wenn er mindestens einen Monat der Elternzeit allein in Anspruch nimmt. In Island erhalten Eltern, die mindestens drei Monate Elternzeit gemeinsam nehmen, eine zusätzliche Zahlung, und es gibt eine weitere Zahlung, wenn der Vater mindestens einen Monat Elternzeit allein nimmt. Eine gesetzliche Verpflichtung würde auch den Rechtfertigungsdruck von Vätern nehmen. Gerade Deutschland sei da noch sehr konservativ. Gleichzeitig würden Geschlechterstereotype weiter aufgebrochen.
Sideri ergänzt, dass die Regelung der Kinderbetreuung letztlich Privatsache sei und in Bewerbungsgesprächen nichts zu suchen habe. Es sei zwar nie der offizielle Grund für eine Ablehnung, aber häufig werde eine solche aufgrund der Antizipation einer Schwangerschaft durch den Arbeitgeber mit anderen Faktoren begründet. Es sei daher das gute Recht der Arbeitnehmerinnen, im Vorstellungsgespräch die Auskunft zu diesem Thema zu verweigern, denn schließlich gehe es nur um die persönliche Qualifikation.
Wer noch tiefer in das Thema einsteigen möchte, kann sich den Podcast „Attraktive Arbeitgeber gesucht“ von Smaro Sideri anhören. Darin gibt sie Unternehmen Tipps, wie sie für Arbeitnehmerinnen attraktiver werden können.
Seit 2008 ist Smaro Sideri als Rechtsanwältin zugelassen. Im Jahr 2011 hat ihr die Rechtsanwaltskammer Stuttgart den Titel Fachanwältin für Arbeitsrecht verliehen für nachgewiesene besondere Kenntnisse im Arbeitsrecht. Nach verschiedenen Anstellungen in Rechtsabteilung, Verband und Kanzlei ist sie seit vier Jahren in eigener Kanzlei freiberuflich als Anwältin und Referentin für verschiedene Seminarinstitute tätig. Besonders am Herzen liegen mir alle speziellen „Frauenthemen“ im Arbeitsrecht rund um Schwangerschaft, Elternzeit und Teilzeitbeschäftigung. Ebenso die Themen agiles Arbeiten, New Work und Jobsharing.
Titelbild:
| Smaro Sideri
Bilder im Text:
| Smaro Sideri
| Fabio Sommer / Zeppelin Universität (alle Rechte vorbehalten)