ZU|Daily wurde in die Hauptseite in den Newsroom unter https://www.zu.de/newsroom/daily/ integriert. Die neuesten Artikel seit August 2024 werden dort veröffentlicht. Hier finden Sie das vollständige Archiv aller älteren Artikel.
Wer kämpft eigentlich gegen das Clubsterben? Und was ist das überhaupt genau? Im Interview mit ZU|Daily erzählt Marc Wohlrabe aus seinem Alltag als Clublobbyist. Einen Beruf, den er sich selbst zusammengebaut hat und der dementsprechend vielfältig ist. Ein Einblick in das Leben eines Mannes, der am Tag dafür arbeitet, dass junge Menschen in der Nacht noch lange in den Genuss einer Clubkultur kommen können.
Welche Themen treiben Sie gerade besonders um und welche Ziele verfolgen Sie aktuell bei Ihrer Arbeit?
Wohlrabe: Am relevantesten ist für uns aktuell der zweite Anlauf im Bundestag, Clubs in der Bau- und Nutzungsverordnung zu Kulturstätten zu erklären. Aktuell fallen sie noch in die Kategorie Vergnügungsstätten, in die auch Bordelle, Spielhallen und Großraumdiskotheken gehören. Clubs erbringen durch das Kuratieren und durch ihre Nachwuchsarbeit eine kulturelle Leistung, die anerkannt werden soll.
Was mir auch sehr am Herzen liegt, ist das „Safer Nightlife“-Programm. Dazu gehört auch das sogenannte „Drug Checking“, das in anderen europäischen Ländern teilweise schon seit über 20 Jahren erfolgreich und mit vielen guten Ergebnissen umgesetzt wird. Das ist das legale Prüfen von illegalen, am Schwarzmarkt erstandenen Substanzen, damit man sich nicht irgendwelchen gepunchten Dreck einpfeift.
Sie haben die Nachwuchsarbeit eben schon angesprochen. Welche Rolle spielt die jüngere Generation in Ihrer Arbeit und wie ist sie Clubs gegenüber eingestellt?
Wohlrabe: Ich selbst betreibe ja keinen Club und hänge relativ viel in solchen Policy-Politik-Kreisen herum. Aber eine Reihe von Clubbetreibern sagten mir, dass es schon eine Reihe von jungen Leuten gibt, die sorgloser und wahlloser mit einigen Substanzen umgehen. Aktuell gibt es vor allem eine Problematik mit der Substanz „GHB“. Im Kontext mit Alkohol ist das wirklich eine lebensgefährliche Substanz. Daher ist die Aufklärung so wichtig.
Als gelegentlicher Türsteher habe ich auch erlebt, dass die wirklich jungen Leute im Moment ganz schön harte Musik hören. Da wird gebrettert und gebollert. Und das sind nicht nur Typen, da sind auch sehr viele Frauen dabei, auch weibliche DJs. Das fand ich interessant und überraschend. Aber ich muss gestehen, ich bin 51 und habe zwei Kinder, die morgens zur Schule müssen. So oft bin ich da im Moment nicht draußen.
Glauben Sie, diese Entwicklungen wurden durch die Pandemie noch einmal verstärkt?
Wohlrabe: Ich erinnere mich gerade: Als ich 17 wurde, war das Nachtleben wirklich eine große und wichtige Triebfeder für mich. Wenn ich mir vorstelle, wenn das zu dieser Zeit alles verboten gewesen wäre...für die jetzige Generation muss das sehr, sehr hart gewesen sein, in dieser Phase trockengelegt zu werden. Gerade, wenn dir Musik und Nachtleben viel bedeutet. Ich glaube, dass da zum Teil ein Nachholeffekt für diese Generation gerade eine große Rolle spielt.
Welche Funktion haben Clubs für die Menschen? Warum brauchen wir sie?
Wohlrabe: Ich fange mal bei mir an: Für mich war es Katharsis. Ich war manchmal schlecht gelaunt oder hatte einfach zu viel Energie. Das Tanzen war da für mich quasi ein Kulturerlebnis mit sportlicher Bewegung. Aber natürlich spielt das Kennenlernen von Menschen, dieser soziale Aspekt, eine ganz große Rolle. Dazu kommen die ganzen Nischen der Musik, deiner persönlichen Ausstrahlung, deiner persönlichen Einstellung, deiner sexuellen Vorlieben, deiner Communities. Und auch das Entdecken und Erforschen.
Auch glaube ich, hilft es dabei, den Alltag zu vergessen, seinen Geschmack zu schärfen oder seine beruflichen Ideen voranzutreiben. Eine Menge gute und kreative Ideen entstehen meistens erst nachts. Die entstehen nicht, weil ich mich nachmittags um halb vier irgendwo in den Konferenzraum im Büro setze.
Sie sind Clublobbyist. Sie sagen, dass Sie diesen Beruf selbst zusammengebaut haben. Können Sie ein paar Tipps für Menschen geben, die sich ihren eigenen Beruf erschaffen wollen?
Wohlrabe: Erstmal hatte ich immer so ein Grundgefühl, dass ich damit auf dem richtigen Weg bin. Ich habe immer viele Gespräche geführt und bin auf viele unterschiedliche Konferenzen gegangen. Das wichtige ist dabei immer – wenn man das finanziell und zeitlich hinbekommt – beständig zu bleiben. Gerade, wenn man merkt, dass ein Bereich eher zäher ist. Auch von Misserfolgen darf man sich nicht abschrecken lassen. Das würde ich sagen, gehört dazu, wenn man etwas Eigenes kreiert und auf den Weg bringt. Besonders, wenn es das vorher nicht gab.
Diese Eigenschaften brauchen Sie sicherlich auch in Ihrem Alltag, gerade wenn Sie mit politischen Entscheidungsträgern diskutieren. Wie schaffen Sie es, diese von Ihren Standpunkten zu überzeugen? Gibt es da bestimmte Strategien?
Wohlrabe: Also zuerst laden wir nicht nur ein oder zwei Parteien ein, die wir gut finden. Sondern abgesehen von der AfD – mit diesen Leuten wollen wir nicht reden – alle demokratischen Parteien, die es über die 5-Prozent-Hürde geschafft haben. In jeder dieser Parteien findest du Club- und Nachtleben affine Parlamentarier. Die muss man ausfindig machen. Bei Politik musst du aber auch in Legislaturperioden denken, denn manche politische Projekte muss man über viele Jahre verfolgen.
Wie wird Ihr Beruf als Clublobbyist in der Öffentlichkeit wahrgenommen, gerade weil er so einzigartig ist?
Wohlrabe: Oft stutzen die Leute, wenn ich ihnen davon erzähle, da man den Begriff oft noch nicht gehört hat. Der Lobbyist ist ja durch die Medien oft etwas verrufen. Man denkt da an Erdöllobbyisten oder Schweinefleischlobbyisten. Auf die Ursprungsbedeutung des Wortes zurückgeführt, ist der Lobbyist für mich aber wirklich etwas Neutrales. Es ist jemand, der bei einer bestimmten Gruppe für bestimmte Ansichten und um Einfluss und Anerkennung wirbt. Manchen wird auch unterstellt, dass sie sich das mit ganz viel Geld einkaufen. Bei uns ist das offensichtlich nicht so, weil die wenigsten von uns große Betriebe sind. Es gibt da auch eine wunderbare Clubstudie, die ganz klar feststellt, dass der Großteil unserer Betreiber mit einer relativ geringen Gewinnmarge da rausgeht. Die machen das einfach aus Liebe zur Musik und zu den Menschen. Und dafür zu lobbyieren, da bin ich doch gerne Lobbyist.
Gibt es auch Kritik an Ihrer Arbeit als Clublobbyist? Und wenn ja: Wie gehen Sie damit um?
Wohlrabe: Ja, zum Beispiel die Verwaltung, mit der wir auf Bundesebene im Gespräch sind. Die sagen uns ganz klar: „Wir wollen nicht. Wir glauben, dass das zu einer schlechteren und falschen Entwicklung in Deutschland führen wird.“ Wir sehen das natürlich nicht so, aber da stehen Meinungen durchaus konträr gegeneinander.
Bei Rundführungen für Stadtentwicklungen habe ich auch oft erlebt, dass die Leute sagen: „Hier haben wir etwas für junge Leute geplant.“ Dann kommt immer meine Frage: „Was meinen Sie denn mit jungen Leuten?“ Und sie antworten dann: „Ja, da ist eine KiTa geplant und hier ein Café und dort sind ein paar Atelierräume.“ Dann sage ich: „Ah ja, alles klar. Leise Kunst für Kinder und Leute bis 15. Also alles, was aus Ihrer Sicht keine Probleme macht. Was haben Sie denn aktiv für Leute zwischen 19 und 29 geplant?“ Da kommt nix. Weil das natürlich immer die problematische Generation ist. Aber das kann man ja nicht machen. Diese Menschen sind ja da und verschwinden nicht einfach.
Stichwort „verschwinden“. Aktuell hört man viel über das „Clubsterben“. Wie sehen Sie in Anbetracht dessen die Zukunft der Clubindustrie?
Wohlrabe: Laut der Mitgliederanzahl in Berlin haben wir gar kein Clubsterben. Man muss das etwas präziser fassen: Es gibt ein qualitatives Clubsterben. In jeder Stadt, in der eine Art von Clubkultur und Nachtleben existiert, gibt es diejenigen, die aus der Gruppe der anderen etwas herausragen. Weil sich die Betreiberinnen und Betreiber dieser zwei, drei Orte oft besonders viel Mühe geben. Wenn diese Orte in Gefahr geraten, dann hängt da meistens eine ganze Atmosphäre einer Region oder einer Stadt mit dran. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass man diese Orte selten ersetzen kann, wenn sie einmal fallen. Und das meinen wir mit Clubsterben.
Abschlussfrage: Haben Sie es schon mal ins Berghain geschafft?
Wohlrabe: Ja, schon ganz oft.