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Professorin Dr. Lucia A. Reisch, Jahrgang 1964, studierte in Hohenheim und Los Angeles (USA). Zwischen 1988 und 2004 war sie Assistentin am Lehr- und Forschungsbereich Konsumtheorie und Verbraucherpolitik der Universität Hohenheim, wo sie 1994 promovierte. 2006 erhielt sie einen Ruf als Professorin für interkulturelles Konsumverhalten und europäische Verbraucherpolitik an die Copenhagen Business School. Darüber hinaus ist sie seit 2011 DIW Research Professor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sowie ständige Gastprofessorin für Konsumverhalten und Verbraucherpolitik an der Zeppelin Universität Friedrichshafen.
Bundesweit gibt es bereits mehr als 600 Energiegenossenschaften, und es kommen stetig mehr hinzu. Über 80.000 Bürger sind bereits in Energiegenossenschaften engagiert. Das dezentrale Engagement von Bürgern für die Energiewende ist ein zentraler Baustein für das Gelingen des Projektes, so sieht es auch die Bundesregierung.
So haben zum Beispiel engagierte Heidelberger Studierende im September 2010 die Heidelberger Energiegenossenschaft (HEG) gegründet. Ihr Ziel ist es, die Energiewende in der Region Rhein-Neckar kraftvoll voranzutreiben – und mit den Gewinnen u.a. ein Aufforstungsprojekt in Brasilien zu unterstützen. In Berlin wollen Bürger mit der Genossenschaft BürgerEnergie Berlin eG i.G. (BEB) gar das Stromnetz der Hauptstadt in Bürgerhand bringen.
Am Bodensee gründete sich die Genossenschaft Bürger-Energie Bodensee und schuf den Solarpark Mooshof.
Das Forschungsprojekt von Professorin Dr. Lucia A. Reisch wird im Rahmen des "Forschungsforum Energiewende" gefördert. Dort kommen hochrangige Vertreter der Ressorts, der Länder, der Akademien, der Wissenschaftsorganisationen und Universitäten mit Vertretern aus Wirtschaft und gesellschaftlichen Gruppen zusammen. Es geht darum, zentrale Fragestellungen aus Gesellschaft und Wirtschaft zur Energiewende aus Sicht der Wissenschaft zu erörtern und Empfehlungen an die Politik zu geben.
Windräder, Solarfelder und Sonnenkollektoren auf Häuserdächern zeugen davon, dass die dezentrale Energieproduktion in Deutschland zunimmt. Ein Drittel der neugegründeten Genossenschaften sind Energiegenossenschaften, die gemeinsam in den Aufbau erneuerbar Energiegewinnung investieren und so an Unabhängigkeit gegenüber Energiekonzernen gewinnen.
Welche Rolle der Bürger innerhalb der politisch angestrebten Transformation des Energiesystems einnimmt, untersucht die Professorin Dr. Lucia Reisch vom Forschungszentrum für Verbraucher, Markt und Politik an der Zeppelin Universität. Im Auftrag des Bundesforschungsministeriums wird sie gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität Saarland und dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung in Heidelberg eine Bestandsaufnahme der bisherigen Entwicklung in drei deutschen Kommunen und einem Landkreis vornehmen. So wollen die Forscher mehr darüber erfahren, wie Akzeptanz und Engagement für die Energiewende auf allen gesellschaftlichen Ebenen gefördert werden kann.
Ausgangspunkt des Forschungsprojekts ist der Begriff des Klima Citoyens. Reisch betont, dass dies eigentlich ein ganz angestaubter Begriff aus den 60er, 70er Jahren sei. Dennoch wählten ihn die Forscher ganz bewusst, um den Übergang zu kennzeichnen. „Der Verbraucher wird meist noch auf seine Rolle als Marktteilnehmer reduziert, und das wird ihm unserer Meinung nach nicht gerecht. Denn gleichzeitig hat der Verbraucher die Rolle des Konsumentenbürgers, da er eine wohlinformierte und politisch motivierte Konsumentscheidung treffen kann. Und er ist zunehmend Produzent, also Prosumer, wenn er sich beispielsweise eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach installiert oder Genosse einer Energiegenossenschaft wird.“
Konkret wollen die Forscher transdisziplinär untersuchen, wie die Energieversorgung in der Stadt Heidelberg, der Gemeinde Nalbach, der regionalen Planungsgemeinschaft Altmarkt und des Landkreises Steinfurt aussieht. „ Wir schauen uns die Strukturen, Motivationen, Akteurskonstellationen, Bürgerinitiativen und Partizipationsmöglichkeiten an, um herauszufinden, was besonders gut läuft und wie man Menschen befähigen kann, ihren Teil zur Energiewende beizutragen.“, erklärt Reisch.
Reisch hält gerade diesen Aspekt für besonders wichtig, denn die Energiewende bestünde nicht nur in einem Wechsel von konventionellem Strom zu Ökostrom. Es sei vielmehr ein Wandel des gesamten Energiesystems notwendig, der verstärkt dezentrale und energieeffizientere Lösungen braucht. Und obwohl es darum geht, die Energiewende gesellschaftlich breiter zu verankern und voranzutreiben, glaubt sie nicht daran, dass es eine Massenbewegung der Klima Citoyen braucht: „Ich gehe davon aus, dass es eine kleine Elite ist, die aber, weil sie die Strukturen verändert, andere mitziehen kann und die infrastrukturellen praktischen Möglichkeiten für den nicht so interessierten und motivierten Konsumenten schafft. Für die Masse muss die energieeffizientere Option die einfache, naheliegende Option sein.“
Die Förderung der Erforschung dieser Klima Citoyen verdeutlicht, dass die Bundesregierung die Bedeutung dieser bürgerschaftlichen Verantwortungsübernahme sieht und darin wertvolle Informationen für die Schaffung neuer Anreize vermutet. Reisch begrüßt das. Gleichzeitig kritisiert sie, dass viele Politikinstrumente der Energiewende bisher im Sand verlaufen, weil sie nicht die Denk- und Verhaltensstrukturen des Konsumenten berücksichtigen. Sie plädiert dafür, Energieprogramme vor ihrer Einführung empirisch zu testen. Der Systemwandel sei so groß, dass es nur mit allen Akteuren gemeinsam gelingen könne. Die Zeiten, in denen die Angebotsseite –Politik und Wirtschaft - Lösungen vorgibt, die die Verbraucher komplett annehmen, seien schlichtweg vorbei.
Titelbild: flickr (EnergieAgentur.NRW)
Bilder im Text: Bürger-Energie Bodensee eG