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Martin Tröndle studierte Musik an den Hochschulen Bern und Luzern und Kulturwissenschaften und Kulturmanagement in Ludwigsburg. Seit September 2009 hat er den Lehrstuhl für Kulturbetriebslehre und Kunstforschung an der Zeppelin Universität inne.
Tröndle war Mitarbeiter beim Südwestrundfunk, Gründungsmitglied und Manager der Biennale Bern und nach der Promotion beim Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst als Referent für die „Profilierung des Musiklandes Niedersachsen“ tätig. Er ist ständiger Gastprofessor am Studienzentrum Kulturmanagement der Universität Basel und war von 2004 bis 2008 ständiger Lehrbeauftragter am Studiengang design | art & innovation der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel. Zudem ist er Gründungs- und Vorstandsmitglied des Fachverbandes Kulturmanagement, sowie Gründungsmitglied der Society for Artistic Research.
Dem Publikum wird in Höhnes Verständnis eine Rolle jenseits des passiven Konsumenten zugeschrieben: Der Rezipient wird durch seine Interpretation des Kunstwerks neben Autor, Regisseur und Schauspieler zum „vierten Schöpfer“. Mit dieser Theorie schließt Höhnes unter anderem an Umberto Ecos „Theorie vom Offenen Kunstwerk“ von 1962, in der Eco proklamiert, der Rezipient sei am Machen des Werkes beteiligt, und Roland Barthes Schrift zum „Tod des Autors“ von 1967, in der Barthes die Bedeutung der Absicht des Autors in Frage stellt und stattdessen die Interpretation durch den Leser ins Zentrum rückt, an.
Seit Juni 2008 leitet Martin Tröndle das Schweizerische Nationalforschungsprojekt „eMotion: Mapping Museum Experience“ am Institut für Design- und Kunstforschung der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel. Im Zentrum der Forschung steht die psychogeografische Wirkung des Museums und seiner Objekte auf das Erleben der Museumsbesucher. Durch die Kombination verschiedener Erhebungs- und Darstellungsmethoden wird versucht, die Erfahrungen von Museumsbesuchern sichtbar zu machen. Zur Anwendung kommen unter anderem die Tracking- Technologie, die Messung der Herzrate, des Hautleitwerts, das Experiment, empirische Erhebungsmethoden, die Sonifikation und die Installation.
Als Ergebnis ließ sich unter anderem festhalten, dass die Sozialität der Besucher sich umgekehrt proportional zur anhand der Herzratenvariablität und Hautleitfähigkeit messbaren Intensität ihrer Erfahrung während der Ausstellung verhielt. Durch eine Ausgangsbefragung ergaben sich außerdem signifikant höhere Werte für die von den Besuchern empfundene Verbindung zur Kunst und die Wirkung der Schönheit der Kunstwerke, umso weniger sie sich während der Ausstellung unterhielten.
„Das Theaterpublikum: Veränderungen von der Aufklärung bis in die Gegenwart“ von S. Höhne und „Ein Museum für das 21. Jahrhundert: Wie Sozialität die Kunstrezeption beeinflusst und welche Herausforderungen dies für die kuratorische Praxis mit sich bringt“ von M. Tröndle, S. Wintzerith, R. Wäspe und W. Tschacher sind Beiträge im „Jahrbuch für Kulturmanagement 2012“, das sich mit seinem vierten Erscheinen mit dreizehn Beiträgen der Zukunft des Publikums widmet.
Dabei werden Teilaspekte des Phänomens „Publikum“ von verschiedenen Autoren aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Neben der inhaltlichen Analyse des Wahrgenommen-Werdens und Wahrnehmens des Publikums widmet sich die Publikation unter anderem verschiedenen methodischen Ansätzen zur Untersuchung von Kultur(-nicht-)partizipation und der Vertrauenswürdigkeit von Besucherbefragungen und untersucht auch die durch die steigende Anzahl an eigentlichen Rezipienten, die im Kulturbetrieb involviert sind, zunehmend unklare Grenze zwischen „Publikum“ und „Kulturproduzenten“.
Der Professor für Kulturmanagement Steffen Höhne schreibt dem Theaterpublikum eine Rolle als Vermittler zwischen Kunst und Gesellschaft zu und geht soweit, das Publikum als den „vierten Schöpfer" zu bezeichnen. Was bedeutet das für die Häuser?
Juniorprofessor Dr. Martin Tröndle: Wenn man das Publikum in der Tradition von Umberto Eco als einen weiteren Interpreten des Werks ansieht, dann hat das nicht nur eine ästhetische Dimension, sondern auch eine soziale und eine politische. Dann würde man das Publikum nicht nur als vierten Schöpfer, sondern auch als Kraft verstehen können, und zwar als eine, die die Häuser oftmals unterschätzen. Die meisten Häuser sehen ihr Publikum zum einen als Masse, die Eintrittsgelder bezahlt, und zum anderen als denjenigen, der die öffentlichen Zuschüsse über seine Anzahl legitimiert.
Wenn man das Publikum anders fassen würde, dann könnte man mit diesem Publikum auch Gesellschaft anders verstehen. Dann würde es auch nicht mehr darum gehen, das passive Publikum zu prägen, sondern darum, es als Teil des Hauses zu verstehen, das den Link zur Gesellschaft anders gestalten kann.
Wie kann das gelingen?
Tröndle: Ohne ein Rezept dafür abgeben zu wollen, ist überhaupt erstmal ein verändertes Selbstverständnis der Institution auch zu sich selbst nötig. Solange die Häuser auf ihre eigene Inszenierung und ihre eigene Präsentation fokussiert sind, kann das Publikum maximal als Störfaktor auftreten, das zum Beispiel durch seinen Hüstler stört. Wenn man das Publikum tatsächlich als Mitgestalter versteht – und zwar nicht nur im ästhetischen Sinne, sondern auch als gesellschaftlichen Mitgestalter – dann wird man vielleicht auch die Aufführung an sich und vielleicht sogar die Themen des Hauses anders setzen. Und diese Ausgestaltung ist dann äußerst vielfältig denkbar.
In Ihrem Projekt eMotion kommen Sie zu dem Ergebnis, dass sich in Museen die Sozialität von Besuchern umgekehrt proportional zur Intensität ihrer Erfahrung verhält. Eine stärkere Interaktion zwischen den Besuchern halten Sie offensichtlich nicht für den richtigen Weg?
Tröndle: Nein. Wenn man den Kunstbesuch in den vergangenen 300 Jahren betrachtet, lässt sich erkennen, dass die Entwicklung dahin ging, die Aufmerksamkeit immer stärker auf die Werke auszurichten. Das schweigende Durchlaufen durch das Museum, dieses langsame Gehen und kontemplative Schauen, das ist ein Modus, der sich über die Jahrhunderte eigentlich entwickelt hat, um eine bewusstere Art der Wahrnehmung zu generieren. Genauso wie das stille Zuhören oder eben die Ausrichtung der Bühne.
Das klingt insgesamt nach einem Plädoyer für die soziale Isolation von Kunstbesuchern…
Tröndle: Es mag zwar sein, dass dieses Stille und die Fokussierung nicht mehr den Rezeptionsgewohnheiten entspricht, die wir ansonsten im Alltag anwenden - zum Beispiel durch Fernsehen, Internet, etc. Die Herausforderung ist dann: wie kann man mit diesem anderen Rezeptionsmodus umgehen und trotzdem die Aufmerksamkeit auf das Kunstwerk erhalten oder gar weiter steigern? Und: Wie kann man dem sozialen Bedürfnis der Besucher entgegenkommen? In welches Verhältnis setzt man das Bedürfnis des Publikums zur Kommunikation und das des Werkes zur Entfaltung seiner ästhetischen Wirkung?
Wörtlich schreiben Sie und Ihre Mitstreiter „Wer mit dem Werk kommuniziert, kann das nicht gleichzeitig auch mit seinem Begleiter tun“. Halten Sie diese Erkenntnis für branchenspezifisch?
Tröndle: Nein, das ist sie wahrscheinlich nicht. Und leider stehen die Ergebnisse auch absolut gegen den Zeitgeist. In den letzten 20 Jahren hat man immer versucht, möglichst kommunikative Foren zu schaffen und möglichst alles interaktiv zu denken. Und dieses Denken mag einer bestimmten Ideologie geschuldet sein, aber positive Effekte für die Wirkung der Werke lassen sich entgegen der bisherigen Annahmen in keiner Branche nachweisen.
Würden Sie sagen, dass die steigende Anzahl an Menschen, die es zu kreativen Tätigkeiten drängt oder die sich sogar für eine Ausbildung oder ein Studium in der künstlerischen Branche, wie C. Vosse und D. Haselbach es beschreiben, entscheiden, eine Art Gegenbewegung zu diesem passiven Verständnis des Publikums darstellt?
Tröndle: Das Drängen der Masse in die künstlerischen Tätigkeiten ist wohl doch eher etwas anderes; das ist eher eine Sache der Selbstverwirklichung, die viel mit dem Ideal der Erlebnisgesellschaft zu tun hat. Das hängt mit dem Ideal zusammen, dass Menschen voll und ganz in ihrem Beruf aufgehen wollen - und das bedeutet für viele „kreativ sein“, weil sie glauben, darin ihr persönliches Glück zu finden.
Warum sind die Theorien und Forschungen der einzelnen Autoren auch für jemanden interessant, der nicht im Kulturbetrieb oder in der Wissenschaft arbeitet?
Tröndle: Diese Publikation beeinflusst natürlich, welche Präsentationsmodi in zehn oder 20 Jahren auftauchen werden und was und wie das Publikum dann sieht – auch deshalb betrifft das nicht nur Menschen, die im Kulturbetrieb tätig sind.
Das heißt ich kann als Ottonormalkonzert-, -opern- oder –museengänger in zehn bis 20 Jahren das Buch lesen und dann sagen: „Die sind schuld an dem, was da gerade auf der Bühne passiert“?
Tröndle: Genau so.
Bild: flickr/ Difei Li
Sigrid Bekmeier-Feuerhahn, Karen van den Berg, Steffen Höhne, Rolf Keller, Birgit Mandel, Martin Tröndle, Tasos Zembylas (Hrsg.):
"Zukunft Publikum. Jahrbuch für Kulturmanagement 2012", transcript Verlag, 428 S., ISBN 978-3-8376-2285-0