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Das Projekt 50 Prozent trägt seine Absicht schon im Namen. Die Webseite soll dokumentieren, „wie sehr Frauen als Rednerinnen bei Konferenzen, Podien, bei Talk-Shows und anderen öffentlichen Veranstaltungen unterrepräsentiert sind“. Diese Ungleichbehandlung wollte die Netzaktivistin Anne Roth nicht länger hinnehmen und startete deshalb im Mai 2013 das Blog 50prozent und den Twitteraccount @haelfte. Mal sind es die „machistischen Männerrunden“ bei Günther Jauch, mal die Medientage München oder die attac-Sommerakademie – selten liegt der Frauenanteil bei mehr als 20 Prozent, häufig finden sich ausschließlich Männer auf den Bühnen und Rednerlisten.
Nicht so an der Zeppelin Universität: Hier hatte die neugegründete studentische Initiative Karriere|Frauen die Quotendiskussion eröffnet – und das Podium zu zwei Dritteln mit Frauen besetzt. Neben Professor Christian Opitz und dem Studenten Lennart Schulze saßen dort Katharina Ramsauer und Sophie Leonard von den KarriereFrauen, Professorin Anja Achtziger vom Lehrstuhl für Sozial- und Wirtschaftspsychologie sowie Ursula Schwarzenbart.
Schwarzenbarts offizielle Dienstbezeichnung lautet „Head of Global Diversity Office and Performance & Potential Management der Daimler AG“. Kurzum: Sie soll dafür sorgen, dass bei Daimler nicht nur weiße, deutsche Männer arbeiten. Genau das sei nämlich das Problem vieler Großunternehmen, zitierte sie den ehemaligen Siemens-Chef Peter Löscher, der dem eigenen Unternehmen attestierte, es sei „zu weiß, zu deutsch, zu männlich“.
Solch homogene Belegschaften sind ein Problem, da waren sich alle Beteiligten der Diskussion einig. Und zwar nicht nur für die dadurch benachteiligten Minderheiten – sondern ebenso für das Unternehmen selbst. Gerade streng betriebswirtschaftlich denkende Manager müssten eigentlich besonders daran interessiert sein, dass weder Geschlecht, noch Hautfarbe oder Alter zu einem maßgeblichen Einstellungskriterium würden. Nahezu jede wissenschaftliche Studie zeige, dass gemischte Teams „nachweislich kreativer und langfristig produktiver“ seien.
„Die Kundschaft muss sich im Unternehmen spiegeln“, forderte Schwarzenbart. Bezogen auf Daimler heißt das: Frauen werden als Autokäufer immer wichtiger und achten dabei auf andere Dinge als Männer – dementsprechend muss auch das Unternehmen weiblicher werden, um die Bedürfnisse der Kundinnen abbilden zu können. Deshalb hat sich Daimler eine sogenannte „freiwillige Selbstverpflichtung“ auf die Fahnen geschrieben; das Motto: „20 Prozent bis 2020“. Demnach soll der Frauenanteil in den Chefetagen jedes Jahr um ein Prozent ansteigen, bis 2020 jede fünfte Führungsposition von einer Frau besetzt wird.
Damit das gelingt, setzt Daimler auf unkonventionelle Maßnahmen: „Das Erreichen der Zielvereinbarung wirkt sich auf die Boni-Zahlungen der Manager aus“, beschrieb Schwarzenbart das Konzept. Wer in seinem Team für die vereinbarte Quote sorge, dürfe sich am Jahresende über eine Diversitätszulage freuen. Diese Pläne würden nicht überall auf Gegenliebe stoßen: „Gerade im mittleren Management gab es Widerstand“, erinnert sich Schwarzenbart. „Bei Daimler herrscht eben doch eine typisch männliche Ingenieurskultur. Aber das Tolle daran ist: Messbare, nachvollziehbare Argumente können selbst den skeptischsten Ingenieur überzeugen.“
Und die Überzeugungsarbeit von Schwarzenbart scheint zu fruchten: Im Nachhaltigkeitsbericht von Daimler für 2012 bescheinigt sich der Konzern, man habe „unsere freiwilligen Selbstverpflichtungen übertroffen“ und befinde sich „mit einem Frauenanteil von 13,8 Prozent auf einem guten Weg.“ Dabei habe es zu Beginn nur zwei „Überzeugungstäter“ gegeben, sagt Schwarzenbart: „Am Anfang waren nur der Vorstandsvorsitzende und ich selbst der Meinung, dass wir unbedingt ein Programm für mehr Diversität brauchen. Erst als wir mit konkreten business cases den betriebswirtschaftlichen Nutzen gezeigt haben, wurden die Zweifler leiser. Und durch den nachweislichen Erfolg in der Praxis sind sie mittlerweile fast vollständig verstummt.“
Doch so ganz ausgeräumt scheinen die Zweifel dann doch noch nicht zu sein, wie etwa diese Revolte der männlichen Mitarbeiter im vergangenen April zeigte. Und eine Frauenquote von 13,8 Prozent hat mit echter Gleichstellung nicht wirklich viel zu tun. Zwar ist auch klar, dass die Automobilbranche keine klassische Frauendomäne ist, nichtsdestotrotz sind ausländische Unternehmen in dieser Hinsicht häufig schon deutlich weiter.
„In Deutschland sind Frauen nicht laut genug. Sie warten immer noch, bis der Prinz vorbei kommt“, forderte Schwarzenbart deshalb mehr weibliches Selbstbewusstsein und bestimmteres Auftreten, während Anja Achtziger die vergleichsweise komfortable wirtschaftliche Lage Deutschlands als eine möglich Ursache für den nach wie vor geringen Frauenanteil ausmachte: „Vielleicht ging es uns lange Zeit zu gut. Frauen mussten nicht arbeiten, deshalb haben andere Länder einen Vorsprung.“
So gebe es etwa in südeuropäischen Ländern wie Spanien oder Italien viel mehr Professorinnen als in Deutschland. „Bei meinem Psychologiestudium in Darmstadt waren wir 90 Prozent Studentinnen“, erinnert sich Achtziger. Doch je höher man die Hierarchieleiter empor klettere, desto männlicher werde das Umfeld: „Bei den Psychologie-Professoren hat sich das Verhältnis dann umgedreht – da kommt eine Frau auf neun Männer.“ Deshalb hält Achtziger eine Quote in der Wissenschaft zumindest für bedenkenswert: „Ich bin eigentlich kein Fan von fixen Quoten Aber vielleicht ist das in diesem Fall einfach nötig, schon alleine wegen der Vorbildfunktion für junge Akademikerinnen.“
Dieser Meinung schloss sich auch Schwarzenbart an. Nachdem es 120 Jahre lang wenig Bewegung beim Frauenanteil gegeben habe, müsse man über gesetzliche Quoten nachdenken – und Nichterfüllung entsprechend sanktionieren. Eine durchaus überraschende Aussage, unterscheidet sie sich doch deutlich von der offiziellen Daimler-Position und den Äußerungen des Vorstandschefs Dieter Zetsche, der jede Form von Quoten ablehnt und in einem Interview mit der FAS fragte: „Wohin soll ich all die Männer aussortieren? Alle zwangsweise in Rente schicken, damit überhaupt so viele Stellen frei werden?“
Während Lennart Schulze sich als Quotenbefürworter outete, schien der zweite männliche Diskutant Christian Opitz in Sachen Quote eher auf der Seite Zetsches. Ihm war es wichtig zu betonen, dass das Geschlecht nur ein Unteraspekt von Diversität sei. „Aspekte wie Internationalität – ob Migrationshintergrund oder Auslandserfahrung – und Alter tragen genauso zu gemischten Teams bei. Wer von Diversity-Management spricht, sollte also nicht nur die Frauenquote im Blick haben.“
Gleichzeitig unterstrich Opitz aber die enorme Bedeutung: „Unternehmen, die Diversität als Chance begreifen und nicht als Kompensation von Defiziten, sind besser für die Zukunft gerüstet.“ Darauf wiederum konnten sich alle Beteiligten einigen. Und so endete die als „Diskussion“ angekündigte Veranstaltung eher als gemeinsamer, einstimmiger Appell für mehr Vielfalt. Denn egal ob in Unternehmen oder Universitäten – am Ende profitieren alle.
Titelfoto: DonkeyHotey (CC BY 2.0)
Fotos im Text: © Karriere|Frauen