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Prof. Dr. Dr. Manfred Moldaschl studierte Psychologie, Geschichte, Literatur und Soziologie in Tübingen, Berlin und München. Er neigt keiner akademischen Disziplin zu, sagt er selbst, sondern verfolgt vielmehr das Prinzip der eisernen Disziplinlosigkeit. Unter anderem arbeitete er am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und dem Institut für Humanwissenschaften in Arbeit und Ausbildung der TU-Berlin. Moldaschl hielt Lehraufträge und Gastprofessuren in Psychologie und Soziologie an Universitäten im In- und Ausland. Seit 2013 ist er Inhaber des Audi-Stiftungslehrstuhls für Sozioökonomie und unternehmerisches Handeln an der Zeppelin Universität.
Verführung zum Selberdenken - Zur Methodologie der geistigen Freiheit: Antrittsvorlesung auf den Audi-Stiftungslehrstuhl für unternehmerisches Handeln, globale Verantwortung und Nachhaltigkeit.
Zwei Eigendynamiken des Wissenschaftssystems behindern die Entfaltung der geistigen Freiheit - einer Daueraufgabe der Bildung. Die Verfasstheit wissenschaftlichen Arbeitens in Disziplinen und zum anderen die Theorieheirat.
Während das disziplinäre Prinzip die Subjektivität des akademischen Lehrlings formatiert und im wirklichen Leben wieder mühsam abgebaut werden muss (sofern sie nicht den Ängstlichen Halt gibt oder den Lehrenden das wirkliche Leben ist), führt die Theorieheirat zu den üblichen Bindungsproblemen. Man kettet sich an eine Theorie, die bis zuletzt verteidigt und auf alles angewandt wird. Oder man gibt sich einem Eklektizismus hin, dessen promiskes Freiheitsversprechen seicht ist, weil es den Verwender von Deutungsangeboten der Willkür vergessener Selektionsgründe preisgibt. Tertium datur. Es gibt alternative Praktiken einer Pflege geistiger Freiheit. In der Forschung sind sie mühsam und gefährlich. In der Lehre sind sie ein Angebot für Abenteuerlustige und solche, für die das Studium die Raum-Zeit zweckentlasteter Entfaltung ist - und damit mehr als das Einrollen in die angestrebte Berufsrolle.
Professor Moldaschl studierte alles Mögliche, glaubte aber wenig. Vor seiner Berufung an die ZU war er Extremkletterer, Drachenflieger und Waldmeister im Pilze sammeln. Nachdem er festgestellt hatte, dass man davon nicht leben kann, wollte er sich eigentlich mit einem Tapetenverleih selbständig machen, brachte es aber letztlich nur zum verbeamteten Lehrstuhlbesetzer, zuletzt an der TU Chemnitz (Innovationsforschung und nachhaltiges Ressourcenmanagement). Aufgrund etlicher Gastprofessuren diverser Disziplinen im Ausland spricht er fließend Ausländisch. Man hat ihn schon als ‚Psychologe’, ‚Soziologe’ oder ‚Ökonom’ angesprochen. Er verwahrt sich entschieden gegen solche Anschuldigungen. Inhaltlich interessiert er sich u.a. für akademisches Getue, professorales Gehabe und das aufs Gröbste unterschätzte Phänomen der docta ignorantia in der Wissenschaft. Sachdienliche Hinweise sind willkommen.
Ihre Antrittsvorlesung trägt den Titel „Verführung zum Selberdenken“. Warum müssen wir denn dazu verführt werden?
Prof. Dr. Dr. Manfred Moldaschl: Wir müssen wieder dazu verführt werden, weil es an Universitäten absolut nicht die Regel ist. Oder weil viele Lehrende gerne ihren eigenen Glauben lehren. Sie behaupten dann, ihre Theorie sei die Richtige oder Lehrveranstaltungen ihrer neuen KollegInnen hätten sie noch nicht besucht. Aber auch, weil viele Studierende die Universitäten mit einer Konsumhaltung entern, die sie für Fertigglauben empfänglich macht. Und weil es an Universitäten Systeme zur Einschüchterung der Studenten und Erniedrigungspraktiken gibt, die den Mut zum Gebrauch des eigenen Kopfes kühlen.
Wie sollen wir denn nun angesichts dieser „Hindernisse" am besten verführen?
Moldaschl: Da gibt es viele Möglichkeiten: Die reichen vom Vorführen idiotischer Forschung, eleganten Unsinn über angewandte Irrelevanz bis zum Reizen scharfen Denkens.
Worauf beziehen Sie denn eigentlich die Probleme, die Sie beobachten: auf die Lehre oder die Forschung dahinter?
Moldaschl: Diese Probleme lassen sich in beiden Bereichen beobachten: So gibt es Lehrprobleme in der Lehre und Forschungsprobleme in der Forschung. Dazu kommen noch politische Probleme der Finanzierung, des Gebrauchs oder
Nichtgebrauchs von Forschung sowie ihrer Instrumentalisierung in -
Sie ahnen es - der Politik.
Wie beeinflussen denn die Eigendynamiken der Wissenschaft ihre Ergebnisse? Leidet darunter auch die Qualität von Forschung und Lehre?
Moldaschl: Die Systemtheorie meint dazu ganz generell, dass jedes System eine Eigendynamik hat. Wenn die „Wissenschaft" ebenfalls ein solches System ist, dann ermöglicht, fördert und schädigt das ihre Leistungen.
Und so wird Prof. Dr. Dr. Moldaschl sich in Zukunft an der Zeppelin Universität darum bemühen, seine Studenten und Kollegen zum Selberdenken zu verführen. Denn ihm selbst ist die Verführung am eigenen Beispiel durchaus gelungen: „Er studierte alles Mögliche, glaubte aber wenig", hieß es in der Ankündigung seiner Antrittsvorlesung. Denn vor seiner Berufung an die ZU ist er nach eigenen Angaben Extremkletterer, Drachenflieger und Meister im Pilze sammeln gewesen. Nachdem er festgestellt hatte, dass man davon nicht leben kann, wollte er sich eigentlich mit einem Tapetenverleih selbständig machen, brachte es aber letztlich nur zum verbeamteten Lehrstuhlbesetzer, zuletzt an der TU Chemnitz. Und vom Pilzsammler zum Forscher zu werden, „das ist keine Lebensentscheidung - solange man es nicht gleichzeitig macht", sagt Moldaschl mit einem Augenzwinkern. Inhaltlich interessiert er sich unter anderem „für akademisches Getue, professorales Gehabe und das aufs Gröbste unterschätzte Phänomen der docta ignorantia in der Wissenschaft", steht es weiter in der Ankündigung. „Sachdienliche Hinweise sind willkommen", erklärt Moldaschl.
Herzlichen Willkommen an der Zeppelin Universität, antwortet ZU|Daily.
Titelbild: Holger Ejleby / flickr.com
Bilder im Text: Goethe-Universität Frankfurt / flickr.com