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Ramona Maria Kordesch wurde 1986 in Klagenfurt am Wörthersee geboren. Nach dem Studium der katholischen Theologie und der angewandten Relgionswissenschaften in Graz und Tübingen, fokussierte sie sich im Rahmen ihrer Promotion auf den interdisziplinären Dialog zwischen Theologie und Wirtschaft. Zusätzlich analysierte Kordesch im Rahmen ihrer Arbeit aktuelle wirtschafts-ethische Fragen der Kirche.
Seit Mai 2013 arbeitet Kordesch an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen und forscht dort als Mitglied des CiSoC's über innovatiove Systeme für Wohlfahrtsorganisationen im Rahmen einer Projekt-Kooperation mit dem Diözesancaritasverband Rottenburg-Stuttgart.
Frau Dr. Kordesch, Sie haben sich für unseren Adventskalender das Wort „Glaube“ ausgesucht. Für Theologen erst einmal ein sehr zentrales Thema, für viele andere ein Alltagswort, das uns Weihnachten einfällt, wenn wir an die Abendmesse in der Kirche denken. Wieviel mehr steckt in dem Wort „Glaube“?
Dr. Ramona M. Kordesch: Tatsächlich beschränkt sich unsere Wahrnehmung des „Glaubens“ meist auf Aspekte der Glaubenspraxis und auf die Disparität von Glauben und Wissen. Als Theologin ist man oft mit der Auffassung konfrontiert, dass der Glaube nur das sei, was man nicht wissen kann. Das ist ein wenig zu kurz gedacht und ich erkläre gerne warum:
Max Scheler geht von der Annahme aus, dass der Mensch durch sein auf Bildung basierendes Wissen in der Lage ist sich nicht nur im Denken zu verlieren, sondern sich dabei auch gleichzeitig zu finden d.h. sich selbst zu ergründen. Schöpfungstheologisch betrachtet ist hier ein Prozess der Menschwerdung gemeint: In dem wir uns selbst erkennen, erkennen wir Gott d.h. ausschließlich in der vernunftgeleiteten (!) Verwirklichung des eigentlichen Wesens erkennt der Mensch seine göttliche Natur. Glaube und Wissen bedingen sich also wechselseitig.
Was übersehen wir, wenn wir uns ständig auf der Seite der Vernunft bewegen und die Seite des Glaubens in unserem Alltag vernachlässigen?
Kordesch: Abgesehen davon, dass wir ohne Reflexion über die Religion und den Glauben zivilgesellschaftliche Wirkungszusammenhänge nie vollends begreifen und analysieren können, eröffnet der Glaube eine existentielle Perspektive: Er ist das Wissen um „die größere Hoffnung“. Diese Hoffnung ist deshalb „größer“ weil sie Raum und Zeit sprengt, dabei aber nicht ausschließlich auf jenseitiges Dasein vertröstet sondern gleichzeitig dem Hier und Jetzt einen handlungsorientierenden Sinn verleiht.
Als ZU Wissenschaftlerin beobachte ich Organisationen und Ihre Leitbilder. Konfessionell rückgebundene Organisationen – wie etwa die Caritas – „leben“ nicht nur vom kirchlichen Auftrag sondern generieren auch ihr Alleinstellungsmerkmal aus dem christlichen Welt-und Menschenbild, das als Ganzes – im Kontext dieser Organisationen betrachtet - eben eine größere Hoffnung auf eine „Option für die Armen“ ist.
Was können wir für den wissenschaftlichen Kontext aus dem Zusammenspiel von Vernunft und Glaube mitnehmen?
Kordesch: Was für das Wissen gilt, das gilt auch für den Glauben: Alle Formen sind gültig, aber keine endgültig! Außerdem nähern sich beide stets unvollkommen dem an, was letztgültig ist. Was auf dem ersten Blick als willkürliche Parallele erscheint, ist mit Eberhard Jüngel gesprochen einer der großen Lehrsätze der systematischen Theologie und zugleich eine Warnung vor der pragmatischen Verabsolutierung der menschlichen Vernunft:
„Was dem Glauben an kritischer Vernunft vorenthalten wird, wird zwangsweise durch Aberglauben ersetzt. Was kritischer Vernunft an Glauben fehlt, das ersetzt sie zwangsläufig durch Unverstand.“
Titelbild: Waiting For The Word / flickr.com (CC BY 2.0)
Bilder im Text: JamesCTerry /flickr.com (CC BY-NC 2.0)
Matthias Ripp / flickr.com (CC BY 2.0)
Redaktionelle Umsetzung: Andreas Friedrich und Alina Zimmermann