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Professor Dr. Bruno Preilowski hat an der ZU eine Gastprofessur für Methoden in Verhaltens- und Hirnforschung inne und ist Mitbegründer des Hugo-Eckener-Labors für Experimentalpsychologie und Hirnforschung. Der approbierte Klinische Neuropsychologe war am California Institute of Technology in Pasadena (USA) als Mitarbeiter von Roger W. Sperry an der sogenannten „Split-Brain“-Forschung beteiligt, für die Sperry 1981 den Nobelpreis für Medizin erhielt. Neben Forschungsschwerpunkten in der Zerebralen Asymmetrie und der Gehirnplastizität widmet er sich auch besonders entwicklungsbedingten schulischen Lernproblemen.
Ein möglicher Lösungsansatz für einen Teil der Phänomen ist der „Blick in die Zukunft“, den unser Gehirn jede Sekunde vornimmt. Die visuellen Informationen der Außenwelt gelangen über die Netzhaut und die Sehnervenkreuzung ins Gehirn - wobei allerdings lediglich in einem kleinen Teil der Netzhaut scharfes Sehen möglich ist. Beim Betrachten einer visuellen Szene führt das Auge gezielte Bewegungen aus - unscharfe Bilder während der Augenbewegung werden vom Gehirn unbewusst ausgeblendet. Aus den verschiedenen Seheindrücken gelangen die Impulse über einen Teil des Thalamus und danach in das primäre Sehzentrum. Allerdings gibt es bereits auf dieser Ebene Rückkopplungschleifen, im Sehzentrum kommen nur noch ca. 10 % der Nervenfasern vom Auge an. Auf dieser Ebene findet eine essentielle Vorverarbeitung der Signale aufgrund biologischer Parameter und Vorerfahrungen statt, somit erschafft das Gehirn also die visuelle Repräsentation des Gesehenen aus relativ schwachen Signalen selbst, was störanfällig ist. Das Hirn wertet die Informationen dann weiter aus und errechnet eine erwartete Änderung für die Zukunft. Beispielsweise suggerieren Fluchtpunkte eine Bewegung, das Gehirn berechnet die Umgebung daraus neu - somit ist dieser Mechanismus wichtig für die Evolution. Da sich die reale Position bei Betrachtung jedoch nicht verändert, entsteht die optische Täuschung, dass Linien verbogen werden.
Warum haben Sie das Wort ausgewählt?
Prof. Dr. Bruno Preilowski: Als Sie dazu aufforderten, das für die eigene Forschung schönste, interessanteste, wichtigste Wort zu wählen, kamen mir eine Menge sehr bedeutsame Begriffe in den Sinn: Geist, Bewusstsein, Wahrnehmung, Weltenkonstrukt, Emotion, Motivation, Willensfreiheit, Plastizität, Fragilität, Lebensqualität, Schicksal, und einige mehr. Alles Begriffe, die sich für mich aus einer fast fünfzig-jährigen Erfahrung mit experimenteller und klinischer Neuropsychologie ergeben. Also vor allem durch Erfahrungen mit Patienten, die einem aufgrund ihres – wegen einer Hirnschädigung - veränderten Verhaltens Rätsel aufgegeben oder deren Schicksale einen besonders berührt haben.
Demgegenüber könnte das Wort „Gehirn“, das ich dann letztlich gewählt habe, irgendwie banal erscheinen. Und tatsächlich ist die Feststellung, dass das Gehirn - in Interaktion mit dem gesamten Körper - das organische Substrat allen menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns ist, zugleich trivial und unbegreiflich. Das bedeutet also sowohl eine drängende Aufforderung zur Erforschung und gleichzeitig eine Ahnung, dass man dabei mehr neue Fragen als Antworten finden wird. Aber, was man bei diesen Bemühungen erlebt, ist schon faszinierend.
Zum Beispiel hier ein Zuckerl, sicherlich geeignet, um es hinter dem Kalendertürchen sichtbar werden zu lassen. Es ist eines von vielen eindrucksvollen Bildern, die mit Hilfe von neueren bildgebenden Verfahren konstruiert wurden. Ich finde es sehr aufregend, wie nahe wir hier der bereits vor über siebzig Jahren von Charles S. Sherrington für das Gehirn geprägten Metapher vom „wunderbaren Webstuhl“, dem „enchanted loom“, kommen.
Warum ist das Wort für Sie bedeutend?
Preilowski: Die Bedeutung des Gehirns basiert nicht nur auf dem Geheimnis, wie anderthalb Kilo Wasser, Eiweiß und Fett das Wesen eines Menschen ausmachen können. Sie wird auch deutlich, in allen Bereichen des menschlichen Lebens, einschließlich seiner Entwicklung bis zum Tod, wobei es, wissenschaftlich gesehen, bei gesunden Menschen nicht immer sinnvoll ist zu versuchen, alles auf der neurowissenschaftlichen Ebene zu erklären. Auch nicht, wenn wir in einigen wenigen Bereichen schon sehr viel über die Struktur und Funktion des Gehirns wissen. Jedoch können neuropsychologisch-neurowissenschaftliche Kenntnisse für fast alle mir denkbar erscheinenden Fragen des Menschen, wenn auch keine fertigen Antworten, so doch interessante Anregungen dazu liefern.
Natürlich ist bei einem Verdacht auf pathologisch oder traumatisch bedingte Veränderungen der Versuch eines neurowissenschaftlichen Ansatzes besonders wichtig, selbst wenn auch hier Diagnostik und Therapie auf der Verhaltensebene möglich sind.
Besonders spannend aber wird es bei Fragen, die gewissermaßen dazwischen liegen: Gibt es das konservative und das liberale Gehirn? Ist das Gehirn eines Verbrechers „normal“, und sollte diese Frage vor Gericht eine Rolle spielen? Wie sieht es aus, wenn ein Künstler nach einem Schlaganfall beeindruckend expressionistische Bilder malt? Sollte man seine Werke vor und nach der Erkrankung unterschiedlich bewerten?
In welchem wissenschaftlichen Zusammenhang haben Sie das Wort zuletzt benutzt?
Preilowski: In einer Diskussion mit Lehrern über das sogenannte Gehirn-basierte Lernen und Lehren, brain based learning and teaching. Wobei ich die Lehrer enttäuscht habe, indem ich darauf hinwies, dass der mittlerweile inflationäre Bezug auf Gehirnfunktionen im Grunde nichts wirklich Neues für die Pädagogik erbracht hat. Aber auch ich selbst war sehr enttäuscht, feststellen zu müssen, dass das Wissen jahrzehntelanger pädagogischer und lernpsychologischer Forschung so wenig Anerkennung unter Lehrern findet.
Welches Forschungsergebnis hat Sie dieses Jahr besonders überrascht?
Preilowski: Der gerade in dieser Woche publizierte Erfolg, in der Hirnrinde von lebenden erwachsenen Säugetieren - Mäusen - Gliazellen zur Umwandlung in Neuronen anzuregen: Unterstützende nicht-neuronale Zellen wurden also dazu gebracht, sich in neuronale Zellen „umzuentwickeln“, die dann auch funktionelle synaptische Verbindungen mit bereits existierenden Neuronen eingingen. Neue Hoffnung für Hirngeschädigte, und auch Hoffnung für uns Alte, vielleicht der Demenz zu entgehen.
Laufen wir in Zukunft Gefahr, dass Studierende mit Gehirndoping versuchen werden, ihre Leistungsfähigkeit zu verbessern?
Preilowski: Die Gefahr, es zu versuchen, ist sicher gegeben. Die Gefahr, dass es gelingen könnte, nachhaltige Verbesserungen zu erreichen, ist im Augenblick noch sehr gering.
Titelbild: Emilio Garcia / flickr.com (CC BY-NC 2.0)
Bilder im Text: Coherent grid structure of the pathways of the owl monkey cerebral hemisphere, left lateral view. Wedeen et al., 2012 Suppl. p.18,
Shawn / flickr.com (CC BY-NC-SA 2.0),
Rev. Xanatos Satanicos Bombasticos (ClintJCL) / flickr.com (CC BY-NC-SA 2.0),
Juan Luis Roldan / flickr.com (CC BY-NC-SA 2.0),
"Kaninchen und Ente" by Unknown - Detail from scanned page of Fliegende Blätter, full page: Flegende-Blatter-1892.png. Licensed under
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„Straightlines“ von Bernard Ladenthin - Eigenes Werk. Lizenziert
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Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm und Alina Zimmermann