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Alexander Eisenkopf studierte Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Nach seiner Promotion über Just-in-Time-orientierte Fertigungs- und Logistikstrategien arbeitete und lehrte Eisenkopf in Gießen und Frankfurt.
Seit 2003 ist Eisenkopf Professor an der Zeppelin Universität und Gastdozent an der Wiener Wirtschaftsuniversität. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem auf Mobilität und Transportunternehmen.
„Staatsversagen“ – Warum haben Sie dieses Wort ausgewählt? Inwiefern ist es für Sie und ihre Forschung bedeutend?
Prof. Dr. Alexander Eisenkopf: Nach der Wirtschafts- und Finanzkrise wird allerorten vom Marktversagen gesprochen. Der Markt habe bei der Zähmung der Gier der Investmentbanker versagt und daher müsse es jetzt der Staat, also die Politik richten. Dabei zeigt sich bei nüchterner Betrachtung, dass bei dieser Krise durchaus Staatsversagen eine Rolle spielte – beginnend mit dem politischen Ziel „Hauseigentum für alle“ in den USA bis zu den fundamentalen Konstruktionsfehlern der Europäischen Währungsunion. Und wenn Sie auf die Verkehrsinfrastruktur schauen, fällt ihnen das Staatsversagen sozusagen auf die Füße. Verlotterte Schienenstrecken, kaputte Brücken und Schlaglöcher auf den Autobahnen zeigen, dass der Staat die von ihm beanspruchte Daseinsvorsorgeaufgabe nicht (ausreichend) wahrnimmt. In meinem Forschungsfeld „Verkehrspolitik“ habe ich fast täglich mit Staats- oder Politikversagen zu tun. Ein aktuelles, beredtes Beispiel dafür liefert die Diskussion um die sogenannte „Ausländermaut“.
Warum versagt ein Staat? Fehlt der Politik die Expertise oder wird mit mangelnder Weitsichtigkeit gehandelt, wenn alle vier Jahre Wahlen „drohen“?
Eisenkopf: Ein wesentlicher Erklärungsansatz für das Staatsversagen in der Infrastrukturpolitik kommt aus der Bürokratietheorie bzw. aus der politischen Ökonomie. Wenn wir uns Politiker als Wählerstimmen maximierende Agenten vorstellen und die Wähler starke Präferenzen für konsumtive Staatsleistungen haben, wird die Politik anstatt langfristig wirkende Infrastrukturprojekte anzustoßen verstärkt auf konsumorientierte Politikthemen setzen. Dieser Hypothese wird durch den empirischen Befund gestützt, dass die Ausgaben für Verkehrsinfrastruktur seit Jahren stagnieren, während der Anteil der konsumtiven Ausgaben am öffentlichen Budget kontinuierlich zunimmt. Wahlen werden mit Projekten wie Elterngeld, Betreuungsgeld, Mindestlohn, Rente mit 63 und Mütterrente gewonnen und nicht mit Autobahnen.
Fast pausenlos stehen in letzter Zeit Teile des deutschen Nah- und Fernverkehrs still, weil Lokführer oder Piloten mal wieder streiken. Wer versagt hier? Auch der Staat?
Eisenkopf: Letztendlich zeigt auch dieses Thema Aspekte des Staatsversagens. Der Staat hätte bei Streiks in Bereichen der verkehrlichen Daseinsvorsorge eigentlich klare gesetzliche Vorgaben zur Gewährleistung einer angemessenen Mindestversorgung der Nachfrager zu formulieren. Die Definition eines solchen Angebots darf nicht, wie derzeit noch üblich, alleine den Streikparteien überlassen bleiben. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine originäre hoheitliche Aufgabe des Gesetzgebers zur Sicherstellung der grundsätzlichen Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens; um diese Form von Staatsversagen zu beseitigen, wären folglich entsprechende gesetzliche Regelungen zu erlassen.
Titelbild: Daniela Hartmann / flickr.com (CC BY-NC-SA 2.0)
Bilder im Text: Dennis Skley / flickr.com (CC BY-ND 2.0)
Christian Schnettelker / flickr.com (CC BY 2.0)
Redaktionelle Umsetzung: Marcel Schliebs & Florian Gehm