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Dipl. Volksw. Martin Siddiqui forscht und lehrt als Akademischer Mitarbeiter seit September 2012 am ZEPPELIN-Lehrstuhl für Internationale Wirtschaftstheorie und -politik an der Zeppelin Universität Friedrichshafen. Zuvor studierte er an der "Economics and Management" an der Universidade Católica Portuguese, "Economics" an der Boston University und beendete 2011 sein Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim an Diplom Volkswirt.
Praktische Erfahrung sammelte Siddiqui unter anderem bei Goldman Sachs International, bei Hostettler, Kramarsch & Partner, der KPMG AG und der Wüstenrot Bank AG Pfandbriefbank. Wissenschaftlich beschäftigt sich Siddiqui nicht nur mit Ungleichheit, sondern vor allem mit makroökönomischen Zusammenhängen und dem internationalen Bankenwesen.
Sie haben als Wort „Ungleichheit“ gewählt. Warum ist es wichtig, sich mit Ungleichheit zu beschäftigen?
Dipl. Volksw. Martin Siddiqui: Mir persönlich ist das Thema wichtig, da wir über Industrie- und Schwellenländer hinweg innerhalb dieser Länder eine Zunahme der Einkommens- und Vermögensungleichheit beobachten. Ein hohes Maß an Ungleichheit erschwert politischen Konsens und kann auf lange Sicht zu einer Destabilisierung der demokratischen Grundordnung führen. Insbesondere das Phänomen der Jugendarbeitslosigkeit in Europa darf auf keinen Fall unterschätzt werden. Je mehr sich Einkommens- und Vermögensungleichheit in geringerer inter-generationalen und sozialer Mobilität manifestiert, desto schwieriger wird es in Zukunft, den Weg der Europäischen Integration fortzuführen.
Wie entsteht Ungleichheit und wie können wir sie messen?
Siddiqui: Zunächst will ich festhalten, dass ein gewisses Maß an ökonomischer Ungleichheit in Vermögen oder Einkommen durchaus wünschenswert ist, da es über Anreize die ökonomische Dynamik fördert. Gleichzeitig ist Ungleichheit in einem gewissen Maß auch unproblematisch, da diese ökonomische Ungleichheit als Preis für unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung verstanden werden sollte. Das soll die Thematik nicht verharmlosen, sondern sie sachgerecht einordnen.
Im Hinblick auf die Entstehung von Ungleichheit werden in der Regel zwei Gründe genannt: Globalisierung und technologischer Fortschritt. Es handelt sich dabei aktuell allerdings mehr um einen vermuteten Kausalzusammenhang, dessen theoretische Formalisierung und daran ausgerichtete empirische Validierung noch fehlt. Globalisierung hat allerdings auch ihren Teil dazu beigetragen, dass die ökonomische Ungleichheit zwischen Ländern abnahm. Beide Gründe scheinen gemein zu haben, dass sie das Einkommen im Durchschnitt erhöhen aber auch eine veränderte Verteilung bedingen.
Des Weiteren muss der Diskussion hinzugefügt werden, dass ökonomische Ungleichheit im internationalen Vergleich zwischen Ländern abnimmt, die Schere lediglich innerhalb der einzelnen Staaten weiter auseinanderklafft.
Bezüglich der Messung gibt es zunächst einmal drei Facetten der Ungleichheit, die allesamt miteinander interagieren: Einkommen, Vermögen sowie Chancen. Die Thematik wurde bisher weitestgehend basierend auf den ökonomischen Dimensionen, Einkommen und Vermögen, diskutiert.
Im Hinblick auf die Messbarkeit soll hier lediglich kurz festgehalten werden, dass Simon Kuznets bereits 1955 darauf hinwies, dass die Messung von Ungleichheit streng genommen die Verfügbarkeit von Haushaltsdaten über mehrere ArmGenerationen erfordert.
Und wie sieht eine mögliche Lösung aus? Ist das nicht ein wahnsinnig komplexes Problem, vor dem wir da stehen?
Siddiqui: Allein Ungleichheit zu messen bzw. ihre Gründe zu verstehen, ist schon eine Herausforderung. Ungleichheit nachhaltig auf ein vertretbares Maß zu reduzieren, ist folglich eine riesen Herausforderung. Große Denker wie Adam Smith oder David Ricardo haben sich bereits vor vielen Jahren damit auseinandergesetzt, wir stehen also nicht vor einer völlig neuen Fragestellung. Und doch sind wir bisher zu keiner übereinstimmenden Auffassung gelangt, wie wir Ungleichheit entsteht, wie man sie misst und ihr begegnen sollen.
Obgleich es Ideen gibt, ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass vor dem Hintergrund der schwierigen Messbarkeit und den noch nicht ganz klaren Kausalzusammenhängen, voreilige Schlüsse vermieden werden sollten.
Wie könnte denn ein solcher Ansatz konkret aussehen, gibt es da irgendwelche Ansätze oder Konzepte?
Siddiqui: Der IWF hat vor kurzem mit dem Thema Ungleichheit ganz oben auf der Agenda getagt, kam aber zu keinem Ergebnis. Dennoch gibt es auch Vorschläge z.B. von Kenneth Rogoff, nämlich wachsender Ungleichheit mit einer progressiven Konsumbesteuerung oder einer Flat-Tax mit hohem Freibetrag auf Konsum zu begegnen. Ein Mindestlohn lindert kurzfristig die Symptome, untergräbt aber langfristig das Potenzial einer Volkswirtschaft. Greift man das Thema Chancengleichheit auf, dann spielt natürlich Bildung eine große Rolle.
Aktuelle geldpolitische Maßnahmen wie das Quantative Easing, also der Ankauf von Wertpapieren durch die Notenbanken, mit dem Ziel Volkswirtschaften und deren Finanzsysteme in ihrer Erholung zu stützen, finden großen Zuspruch. Dies führt jedoch dazu, dass vor allem die Besitzer von Wertpapieren profitieren, die ohnehin eher in wohlhabenderen Schichten anzusiedeln sind, d.h. diese Maßnahme hat einen wohl kaum wünschenswerten Verteilungseffekt.
Titelbild: Frits Ahlefeldt-Laurvig /flickr.com (CC BY-ND 2.0)
Bilder im Text: Christian / flickr.com (CC BY-ND 2.0)
holding graz / flickr.com (CC BY 2.0)
Redaktionelle Umsetzung: Marcel Schliebs, Florian Gehm & Alina Zimmermann