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Singing Balconies

Hier spielt die Musik!

Das Kulturprojekt wird nur mit den Menschen, die sonst vielleicht Teil des Publikum gewesen wären und die man nicht kennt und einschätzen kann, möglich. Wenn man sich auf das Risiko einlässt, auf diese Weise Öffentlichkeit zu erzeugen, ohne den Qualitäts-Filter einzubeziehen, wird man mit einer neuen Qualität überrascht.

Prof. Dr. Karen van den Berg
Lehrstuhl für Kunstheorie & Inszenatorische Praxis
 
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    Zur Person
    Prof. Dr. Karen van den Berg

    Professor Dr. Karen van den Berg ist Professorin für Kulturtheorie und inszenatorische Praxis an der Zeppelin Universität. Sie studierte Kunstwissenschaft, Klassische Archäologie und Nordische Philologie in Saarbrücken und Basel, wo sie auch promovierte. Von 1993-2003 war sie Dozentin für Kunstwissenschaft am Studium fundamentale der Privaten Universität Witten/Herdecke. Seit 1988 realisiert sie als freie Ausstellungskuratorin zahlreiche Ausstellungsprojekte in öffentlichen Räumen und in Kunstinstitutionen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. Kunst und Öffentlichkeit, Kunstvermittlung und Politik des Zeigens, Kunst und Emotionen, Rollenmodelle künstlerischen Handelns sowie die sozialen Effekte von Bildungsarchitekturen.  

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„"Singing Balconies" ist der Versuch, die Laienmusik und Laienkunst raus auf die Straße und rein ins Miteinander zu bringen“, sagt Philipp Dederichs. Der ZU-Student ist einer der Initiatoren der diesjährigen Veranstaltung. Das Konzept ist ganz simpel: Friedrichshafener stellen ihre Balkone und Fenster zur Verfügung, die sich für kurze Zeit in Bühnen verwandeln. Jeder kann dabei mitmachen – sei es als Balkon-Anbieter und Fenster-Verleiher oder als Darsteller und Künstler. Von kleinen Sketchen über verschiedenste musikalische Darbietungen hin zum aktiven Einbinden der Zuschauer – all das hat Dederichs zusammen mit seiner Kommilitonin Isabelle Yu organisiert. Die Teilnehmer ziehen dabei von Balkon zu Balkon und lassen sich darauf ein, was ihnen Überraschendes geboten wird.

Die diesjährigen Initiatoren von „Singing Balconies“, Isabelle Yu (l.) und Philipp Dederichs (r.), haben viel mit Musik zu tun: Während ZU-Studentin Yu schon in einer Jazz- und Funkband gesungen hat, trat CME-Student Dederichs bereits mit sechs Jahren einem großen klassischen Oratorienchor bei.
Die diesjährigen Initiatoren von „Singing Balconies“, Isabelle Yu (l.) und Philipp Dederichs (r.), haben viel mit Musik zu tun: Während ZU-Studentin Yu schon in einer Jazz- und Funkband gesungen hat, trat CME-Student Dederichs bereits mit sechs Jahren einem großen klassischen Oratorienchor bei.

Nach Prof. Dr. Karen van den Berg entspricht das Format von „Singing Balconies“ einem neuen Ansatz in der Kulturproduktion. In den vergangenen Jahrzehnten habe sich der Kulturbereich extrem gewandelt. Die Idee eines Kultursystems neben der Gesellschaft, bei dem auf der einen Seite die Kulturschaffenden, auf der anderen Seite das Publikum und dazwischen Marketing, eine Werbungmaschinerie und im besten Fall Vermittlung sind, sei längst überholt, betont sie: „Die Idee von „Singing Balconies“ ist ein Paradebeispiel dafür, wie man das Konstrukt eines abgetrennten Kultursystems, das nach einem Publikum sucht und in seine „abgeschlossene Arena“ bringt, aufbricht. Der offene Stadtraum, Akteure, Publikum greifen ineinander und es entsteht eine poröse Mixtur. Dabei wird meiner Meinung nach Öffentlichkeit im emphatischen Sinne sichtbar.“

Die „Singing Balconies“ finden dieses Jahr in Friedrichshafen zum zweiten Mal statt. Das Konzept stammt ursprünglich aus Berlin und wurde von der Nachbarschaftsinitiative Polly & Bob ins Leben gerufen. Es ging der Initiative darum, ein besseres Miteinander im Stadtteil zu schaffen. „Wir haben es uns zum Ziel gemacht, dieses Experiment der Großstadtkultur in Friedrichshafen umzusetzen,“ sagt Dederichs. Das scheint auch gut zu klappen, denn es haben sich einige Balkone angemeldet. Darunter sind nicht nur die Balkone des vergangenen Jahres, die so vom Konzept begeistert waren, dass sie noch einmal teilnehmen wollen, sondern auch viele neue. „Es ist ein Zeichen, dass Nachbarschaftskultur bereits funktioniert“, sagt Dederichs. Schließlich ist bereits ein bestimmtes Maß an Offenheit und Vertrauen vorhanden.

Bereits 2014 ließen sich viele „Häfler“ sowie ZU-Studenten auf dieses Experiment ein und schienen begeistert gewesen zu sein. Es geht bei dieser Veranstaltung nämlich nicht nur um den Auftritt an sich, sondern um ein gesundes und freundschaftliches Miteinander in der Stadt. Dieses Jahr geht es um 18 Uhr auf dem Adenauerplatz in die zweite Runde.
Bereits 2014 ließen sich viele „Häfler“ sowie ZU-Studenten auf dieses Experiment ein und schienen begeistert gewesen zu sein. Es geht bei dieser Veranstaltung nämlich nicht nur um den Auftritt an sich, sondern um ein gesundes und freundschaftliches Miteinander in der Stadt. Dieses Jahr geht es um 18 Uhr auf dem Adenauerplatz in die zweite Runde.

Besonders reizvoll an diesem Konzept findet der 21-Jährige die Vermischung verschiedener Elemente. Es werden nicht nur verschiedene künstlerische Formate in so kurzer Zeit angeboten, sondern auch ihre Kontextualisierung in eine jeweils andere Umgebung ist spannend. Denn kein Balkon gleicht dem anderen und ein vorgetragene Stück entfaltet auf einem Hinterhofbalkon eine ganz andere Wirkung als auf einem kleinen Eckbalkon. Auch die Tatsache, dass sich das Publikum bewegt und durch die Stadt zieht, kommen und gehen kann, wann es will, ist besonders.

Mit diesen verschiedenen Wechselwirkungen hat sich auch der Raumtheoretiker Henri Lefebre (1901-1991) auseinandergesetzt. Durch die Erweiterung der künstlerischen Praxis auf den Bereich alltäglicher sozialer Prozesse entsteht nach seiner Theorie eine neue Ordnung gesellschaftlicher Räumlichkeit. Diese imaginäre Raumproduktion kann die Stadt transformieren und erfahrbar machen. Wie diese Erfahrung genau aussehen wird, ist aufgrund der unterschiedlichen Spielstätten und der Diversität im Angebot von Rap bis Chorgesang noch vollkommen offen. „Im Gegensatz zu beispielsweise den Relational Aesthetics werden bei „Singing Balconies“ keine Settings in Museen und Kunsträumen geschaffen, die das Publikum gönnerhaft zur Partizipation einladen. Es geht noch einen Schritt weiter, denn das Kulturprojekt wird nur mit den Menschen möglich, die sonst vielleicht Teil des Publikum gewesen wären und die man nicht kennt und einschätzen kann. Wenn man sich auf das Risiko einlässt, auf diese Weise Öffentlichkeit zu erzeugen, ohne den Qualitäts-Filter einzubeziehen, wird man mit einer neuen Qualität überrascht“, sieht van den Berg voraus.

Doch dabei müssen solche Räume erst einmal entdeckt oder gesehen werden. „In den Kulturmanagement-Seminaren versuchen wir, die Studierenden darauf vorzubereiten, wie sie mit einer Lokalität umgehen, sie verstehen lernen und davon ausgehend, sie auch bespielen und neue Formate entwickeln können“, sagt van den Berg. Mit Zygmunt Bauman, einem polnisch-britischen Soziologen und Philosophen, geht sie davon aus, dass Management und Kultur einen gemeinsamen Nukleus haben, der seinen Ursprung im Begriff des Kultivierens hat. Bestehende Verhältnisse werden in eine bestimmte Form gebracht. „Der Manager gibt sich nicht zufrieden mit den aktuellen Verhältnissen, sondern er bringt andere dazu, darin zu agieren und etwas zu erzeugen, was so vorher nicht da war“, erklärt van den Berg. Die Lehre des Kulturmanagements an der Zeppelin Universität fokussiere weitergehend ein gesellschaftliches Bewusstsein und eine starke Reflexion darüber, in welcher Gesellschaft wir heute leben.

„Singing Balconies“ ist auch aus der wissenschaftlichen Perspektive der Kulturproduktion spannend. Anhand dieser Veranstaltungen werden Fragen aufgeworfen, wie Kultur und Raum beeinflussen, in welchen (alltäglichen) Räumen Kultur überhaupt stattfindet und wie der Raum genutzt werden kann.
„Singing Balconies“ ist auch aus der wissenschaftlichen Perspektive der Kulturproduktion spannend. Anhand dieser Veranstaltungen werden Fragen aufgeworfen, wie Kultur und Raum beeinflussen, in welchen (alltäglichen) Räumen Kultur überhaupt stattfindet und wie der Raum genutzt werden kann.

In welcher nachbarschaftlichen Umgebung man in Friedrichshafen lebt, kann bei „Singing Balconies“ direkt vor Ort erlebt werden. „Wer Gefallen an Abendsonne und lustigem Beisammensein hat, der soll vorbeikommen“, lädt Dederichs ein. Los geht es am 29. April 2015 um 18 Uhr auf dem Adenauer Platz in der Friedrichshafener Innenstadt. Genauere Informationen gibt es auch auf der Singing-Balconies-Internetseite: http://www.singingbalconies.de.


Titelbild: Leonore Spemann / Zeppelin Universität

Bilder im Text: Leo Fenster & Leonore Spemann / Zeppelin Universität


Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm & Alina Zimmermann

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Zeit, um zu entscheiden

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