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Die gebürtige Berlinerin Sawsan Chebli studierte von 1999 bis 2004 Politikwissenschaften an der Freien Univeristät Berlin, arbeitete danach als wissenschaftliche Mitarbeiterin für zwei Bundestagsabgeordnete. 2010 wechselte sie als Grundsatzreferentin für Interkulturelle Angelegenheiten in die Senatsverwaltung für Inneres und Sport. Nach einem Gastspiel als stellvertretende Sprecherein im Auswärtigen Amt von 2014 bis 2016 kehrte sie 2016 zum Land Berlin zurück – als Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund und Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales.
Eigentlich reist Sawsan Chebli selten durch Deutschland, zu viel gibt es zu tun in Berlin und in den internationalen Partnerstädten der deutschen Metropole. Nachdem sie die erste Anfrage für einen Vortrag des Club of International Politics ablehnte – es sollte um Migration gehen, ein Thema, das trotz intensiver Beschäftigung mit der Thematik in den sozialen Netzwerken nicht in ihren Zuständigkeitsbereich falle – folgte sie im zweiten Anlauf dann aber doch dem Ruf nach Friedrichshafen. Ganz zuständigkeitskonform ging es am vergangenen Freitag um die politische Bedeutung von Metropolen. Angesichts von drängenden internationalen Herausforderungen rund um Klima, Infrastruktur und Migration sprach Chebli in Anlehnung an Frank-Walter Steinmeier von einer „Welt aus den Fugen“ – und stellte klar: Ohne die enge Zusammenarbeit mit Städten werden sich die Probleme unserer Zeit nicht lösen lassen.
In Deutschland habe die Flüchtlingskrise 2015 das eindrucksvoll gezeigt. Ob es um die Bereitstellung von Unterkünften oder um die Organisation von Integrationskursen ging, mehr denn je galt hier die Devise: „Wenn Städte versagen, versagt auch das Land.“ Dass größere Städte sogar aktiv Fehler der Landesregierung ausbügeln könnten, zeige der Fall der Bürgermeister von Los Angeles und Chicago, die nach dem Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen im Sommer dieses Jahres verlauten ließen: „Unsere Städte machen weiter.“
Jene Präzedenzfälle haben im Auswärtigen Amt einen Wandel eingeläutet. Sei man 2015 noch der arroganten Meinung gewesen, dass deutsche Städten bei außenpolitischen Fragen kaum eine Bedeutung zukäme – „wenn die Außenminister zusammenkommen, wird das schon“ –, würden Städte nun vermehrt einbezogen. Damit sie jedoch nachhaltig Gehör finden, so Chebli, sei eine internationale Vernetzung nach wie vor unerlässlich. Die Politikerin ging an dieser Stelle vor allem auf die Netzwerke Eurocities und Metropolis ein. Jene Vereinigungen, in denen auch Berlin Mitglied sei, dienten der Amplifikation eines zukunftsgewandten und offenen städtischen Selbstverständnisses: „Wir wollen keine Mauern errichten - denn ohne Vielfalt sterben wir aus. Wandel ist für uns der Normalfall - wir können ihn nicht stoppen, aber wir können ihn regulieren und sozial gestalten und den Menschen so die Angst davor nehmen.“
In diesem Kontext seien auch Städtepartnerschaften von enormer Bedeutung – vor allem dort, wo innerstaatliche Beziehungen auf Eis lägen. Zwischen Berlin und Moskau habe beispielsweise im Auge der Krim-Krise ein fruchtbarer Diskurs über Kultur und Demokratie stattfinden können. In manchen Fällen stoße aber selbst der Austausch zwischen Metropolen an seine Grenzen: Beispielsweise die Berliner Partnerschaft mit Istanbul mit Leben zu füllen, gestalte sich aktuell äußerst schwierig. Trotzdem glaubt Chebli fest daran, dass Themen wie Infrastruktur, menschlicher Austausch und Klimapolitik auf innerstädtischer Ebene konfliktunabhängig behandelt werden können und müssen – und träumt am Ende ihres Vortrages von einer Zukunft, in der Bürgermeister bei G20-Gipfeln mit am Verhandlungstisch sitzen.
Dass bei aller Globalität der Bezug zur Lokalbevölkerung nicht verloren gehen dürfe, stellte Chebli in der anschließenden Fragerunde klar. Auch wenn mittlerweile 50 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben: Auch die in der Peripherie und auf dem Land angesiedelte Bevölkerung dürfe mit ihren Sorgen und Fragen nicht alleine gelassen werden. Deshalb beschäftige sie sich auf der Suche nach einer Best Practice zwar tiefergehend mit den Antworten, die internationale Städte auf den gesellschaftlichen Rechtsruck fänden, aber suche eben auch den direkten Dialog mit Bürgern fernab der Kernstadt – etwa im abgehängten Marzahn, wo die AfD bei der Bundestagswahl einen Stimmenanteil von mehr als 20 Prozent verbuchte.
Zu kämpfen habe sie bei diesen Gesprächen vor allem mit einem Vertrauensverlust gegenüber ihrer Partei, der SPD. Einen innerparteilichen Wandel, nicht nur in Form von neuen Gesichtern, sondern auch durch eine neue inhaltliche Ausrichtung, hält sie für unerlässlich – sonst werde die SPD zur einstelligen Partei. Den Vorschlag der SPD++, nach dem die Parteibasis durch mehr Beteiligungsmöglichkeiten für Ortsvereine und Abteilungen gestärkt werden soll, hält Chebli in diesem Zuge für begrüßenswert. Zudem müsse sich angesichts einer zunehmenden Abkehr von Fakten auch das individuelle Verhalten von Politikern ändern. „Wir müssen verstehen, dass Emotionen auch in der Politik eine große Rolle spielen“, so Chebli, deren humoristische bis anrührende Tweets und Facebook-Posts regelmäßig für Schlagzeilen sorgen. Zwar müsse die Politik Post-Truth entschieden die Stirn bieten und Fakten im Diskurs weiter hochhalten – aber um Gehör zu finden, müsse man diese nun einmal entsprechend verpacken. „Ich finde, Emotionen sind etwas starkes“, lässt sie zum Ende des Abends hin verlauten. „Sie können gefährlich sein, aber auch eine Chance, etwas zu verändern.“
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