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Laura Heintz, M.A., ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Zentrum für Politische Kommunikation und am Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft - Schwerpunkt Digitale Kommunikation an der Zeppelin Universität Friedrichshafen. Aktuell ist sie research associate im von der europäischen Kommission geförderten Projekt RETHINK. Sie studierte Sozial- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Landau mit den Schwerpunkten strategische Kommunikation und Wirkung von Online-Medien. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Rezeption und Wirkung von Medien, vor allem von nutzergenerierten Inhalten und bei digitaler Wissenschaftskommunikation, sowie deren gesellschaftliche Auswirkungen.
Was ist unter Wissenschaftskommunikation zu verstehen?
Laura Heintz: Fasst man den Begriff der Wissenschaftskommunikation relativ weit, dann schließt dies jede Kommunikation mit ein, die sich auf wissenschaftliches Wissen oder Inhalte bezieht. Kommunikation findet einerseits innerhalb der Wissenschaft statt, wenn Wissenschaftler ihre Ergebnisse publizieren oder sich auf Konferenzen austauschen. Zudem bezieht sich Wissenschaftskommunikation auf externe Kommunikation, die von wissenschaftlichen Institutionen in Form von Wissenschafts-PR oder einzelnen Wissenschaftlern ausgeht. Diese richtet sich an andere Systeme wie Politik, Medien oder die Bevölkerung. Ebenfalls relevant sind nicht-wissenschaftliche Akteure. So dient der Wissenschaftsjournalismus als Vermittler, um wissenschaftliche Erkenntnisse in Zeitungen oder Wissenschaftsmagazinen zu verbreiten. Auch andere Anspruchsgruppen, wie beispielsweise Politiker, kommunizieren über Wissenschaft, indem sie wissenschaftliche Befunde als Argumentationsgrundlage benutzen.
Wo liegen die Anfänge der Wissenschaftskommunikation und wie hat sie sich im Zuge der Digitalisierung verändert?
Heintz: Großbritannien entwickelte in den 1980er-Jahren erste Programme, die auf Popularisierung von Wissenschaft ausgelegt waren. Zunächst wurde den Massenmedien noch die Rolle als reinem Wissensvermittler zugeschrieben. Die sozialwissenschaftliche Forschung kritisierte später diese Sichtweise, da der Bürger dabei eine sehr passive Rolle einnimmt und über wissenschaftliche Forschung aufgeklärt werden sollte. In der heutigen Internetlandschaft beobachten wir, dass sich Informationen zu Wissenschaftsthemen unbegrenzt recherchieren lassen und der virtuelle Dialog mit dem Wissenschaftssystem jederzeit möglich ist. So kann jeder Nutzer aktiv Beiträge via Social Media oder auch in Blogs verbreiten. Im Gegensatz zum Journalismus fehlen hierbei aber Instanzen, die eine Qualitätskontrolle der Informationen sicherstellen. Wie bei jeder Kommunikation im Web 2.0 erzeugt dies ein Spannungsfeld, sobald es Nutzern schwerfällt, zuverlässige Informationen von weniger relevanten zu unterscheiden.
Inwieweit ist die Digitalisierung in der deutschen Wissenschaftskommunikation angekommen?
Heintz: Bei den deutschen Hochschulen lässt sich insgesamt eine Professionalisierung der Kommunikationsabteilungen beobachten, und alle Universitäten im deutschsprachigen Raum betreiben eine Website. Facebook und Twitter werden eher nebenher in unterschiedlicher Intensität genutzt: Das Angebot richtet sich vorwiegend an Studierende, und interaktiver Austausch findet bisher selten statt. Hier besteht im Vergleich zu den USA oder Großbritannien noch ungenutztes Potenzial, um die Kanäle in einer strategischeren Art und Weise zu nutzen, beispielsweise als Plattform zur Kontaktaufnahme zu Journalisten oder einer breiteren Öffentlichkeit. Im Bereich Bürgerbeteiligung oder „Citizen Science“ hat die Initiative „Wissenschaft im Dialog“ die Plattform Bürgerschaftswissen ins Leben gerufen, die für Interessierte die Möglichkeit bietet, Forschungsprojekte aus verschiedenen Themenbereichen zu finden und daran zu partizipieren.
Oftmals hat man das Gefühl, dass wissenschaftliche Institutionen schweigen, wenn ihre Kompetenz und Glaubwürdigkeit von Politikern, Lobbyisten, Medien oder Multiplikatoren herabgewürdigt werden: Haben Sie eine Erklärung für diese Zurückhaltung?
Heintz: Die Erwartungen an Wissenschaftler in der Öffentlichkeit umfasst erst einmal, Wissen zu vermitteln und Empfehlungen zu aktuellen Problemen abzugeben. Zu Forschungsergebnissen gehört aber stets auch ein gewisser Grad an Unsicherheit. Die Medien greifen dies auf, indem gegensätzliche Positionen von Wissenschaftlern zu einem bestimmten Thema gegenübergestellt werden. Als Experte aufzutreten bringt also mit sich, angreifbar zu sein. Ich vermute, dass die meisten Wissenschaftler ihren Forschungsoutput als unabhängig von politischen und wirtschaftlichen Interessen ansehen. Möglicherweise will ein Forscher Schlagzeilen verhindern, weil sich dies negativ auf die eigene Reputation im Fach und unter Kollegen auswirken könnte. Vielleicht kann man es umdrehen: Wenn sich Wissenschaftler nicht für ihre Forschungsergebnisse rechtfertigen, halten sie ihre gesellschaftliche Funktion als kritische und objektive Beobachter aufrecht und legitimieren ihre Glaubwürdigkeit dadurch.
Wie lässt sich die Wissenschaftskommunikation generell stärken?
Heintz: Hier will ich die Punkte Transparenz und Vertrauensbildung hervorheben. Durch Medienberichte erhält man viele explizite Informationen, die Rezipienten aufgrund von fehlendem Hintergrundwissen oft nicht hinreichend einschätzen können. Gerade ein hochemotionales Thema wie die Stammzellenforschung bedarf aber umfassender Aufklärung, da sonst leicht Skepsis gegenüber Expertenäußerungen und der Wissenschaft an sich entsteht. Zur Stärkung einer vertrauenswürdigen Kommunikation sind meiner Meinung nach Formate sinnvoll, die wechselseitigen Austausch ermöglichen – auch mit Personen, die nicht dem wissenschaftlichen Bereich angehören. Eine Möglichkeit dafür sind Wissenschaftsblogs, auf denen in kompakterer Form als in Journalartikeln aktuelle Befunde dargestellt werden. An dieser Stelle kann der Wissenschaftler methodische Aspekte ansprechen und weitere Quellen angeben, was in der Medienberichterstattung zu kurz kommt und dem interessierten Leser größere Zusammenhänge vermittelt.
Kommen wir nun zu dem Forschungsprojekt „RETHINK“: Was ist der Ausgangspunkt des Forschungsprojektes?
Heintz: Durch das Aufkommen neuer Kommunikationstechnologien ergeben sich für die Wissenschaftskommunikation zahlreiche Herausforderungen. So sind Verbindungen zwischen Wissenschaft und anderen gesellschaftlichen Bereichen wie Wirtschaft, Kultur und Politik diverser geworden. Außerdem haben sich Kommunikationsformen zwischen Institutionen und der Bevölkerung vervielfältigt, denkt man zum Beispiel an Open-Access-Bewegungen oder deliberative Angebote. Diese Sichtweise des Wissenschaftssystems als offen und reflexiv bildet die Basis von Überlegungen wie: Welche Rolle nehmen professionelle und nicht-professionelle Kommunikatoren ein? Und wie wird die Qualität von Interaktionen in einer sich ständig neu formenden digitalen Umgebung sichergestellt?
Was genau wird untersucht und wie lautet das Ziel?
Heintz: Das Forschungsinteresse des Projektes besteht darin, Akteure der Wissenschaftskommunikation und Wissensaneignungsprozesse besser zu verstehen – mit dem Ziel, zu einer effektiveren Kommunikation zwischen Wissenschaftlern, Medien und der Gesellschaft beizutragen. In sieben europäischen Ländern werden zunächst Institutionen und Personengruppen, wie Journalisten, Blogger und Science Museums, in Bezug auf ihre Rolle in der Kommunikationslandschaft untersucht. Eine Online-Plattform bringt diese Gruppen zusammen, und wir erhalten so tiefere Einblicke in deren Kommunikationsverhalten. An der Zeppelin Universität schauen wir uns im Speziellen die Ausbildung der Wissenschaftskommunikation an. Vor allem interessiert uns, inwieweit bisherige Programme auf die Veränderungen der Digitalisierung eingehen und ob auch alternative Kommunikatoren, wie Laien, adressiert werden. Auf Basis dieser Ergebnisse entwickeln wir Qualitätskriterien und entwerfen eigene Trainingsmodule, die wir im Universitätskontext testen.
Wer könnte von den Forschungsergebnissen profitieren, und wo sehen Sie konkrete Anwendungsmöglichkeiten?
Heintz: Die Ergebnisse von „RETHINK“ können Anreize geben, wie Wissenschaftskommunikation in Bezug auf Qualität, Glaubwürdigkeit und Anwendungsformen verbessert werden kann. Da mehrere Projektpartner Expertise im praktischen Bereich mitbringen, lassen sich aus den Forschungsergebnissen voraussichtlich Empfehlungen zu verbesserter Praxis von Wissenschaftskommunikation für relevante Bereiche ableiten. Das umfasst Richtlinien zu Offenheit, Reflexivität und Vertrauensbildung, die sich an Praktiker richten – mit dem Ziel, die Qualität ihrer Kommunikationsfähigkeiten zu verbessern. Außerdem werden politische Entscheidungsträger einbezogen, indem sie Leitlinien zur Unterstützung von reliabler Wissenschaftskommunikation erhalten. Auch (junge) Wissenschaftler stehen im Fokus. Ziel ist es, ihnen zu vermitteln, wie hohe Qualitätsstandards in der Wissenschaftskommunikation aussehen, sodass sie diese anwenden können und so hoffentlich selbst zu vertrauenswürdiger Kommunikation beitragen.
Am Ende eine persönliche Frage: Woher stammt Ihr Interesse an dem Feld Wissenschaftskommunikation bzw. wie ist es entstanden?
Heintz: In meinem Studium habe ich mich mit strategischer Kommunikation befasst, weil ich es spannend finde, was erfolgreiche Kommunikation auszeichnet. Ob in der internen oder externen Kommunikation, entscheidend ist es, sich nah an den Bedürfnissen verschiedener Personengruppen zu orientieren. Nur dann kann man passende Maßnahmen entwickeln. Durch praktische Erfahrungen an wissenschaftlichen Instituten weiß ich, wie sich Wissenschaftler intern austauschen oder worauf beim Schreiben einer Pressemitteilung wert gelegt wird, damit Erkenntnisse oder Infos zu Veranstaltungen in der Öffentlichkeit ankommen. Aus der wissenschaftlichen Perspektive heraus finde ich es interessant, dass Wissenschaftskommunikation als Forschungsgegenstand sehr alltagsnah ist. Prinzipiell jede Personengruppe kommt mit wissenschaftlichen Inhalten in Berührung. Damit verbunden stellt sich die Frage, ob Personen Themen unterschiedlich wahrnehmen und verarbeiten und inwieweit daraus Anschlusskommunikation entsteht.
Titelbild:
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Bild im Text:
| Wherda Arsianto / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm