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Stefan Kornelius leitet seit 2000 das außenpolitische Ressort der Süddeutschen Zeitung. Zuvor arbeitete er als stellvertretender Leiter des Berliner Büros und berichtete während der Clinton-Präsidentschaft als Korrespondent aus Washington. Von 1991 bis 1996 war Kornelius als Korrespondent im Bonner Bundesbüro der SZ für die Berichterstattung über Verteidigung und sicherheitspolitische Themen sowie über die CDU zuständig. Kornelius absolvierte die Henri-Nannen-Journalistenschule und studierte an der Universität Bonn und der London School of Economics. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift Medium Magazin.
Laut Stefan Kornelius ist die Spaltung in der amerikanischen wie auch der europäischen Gesellschaft längst angekommen. Ausdruck davon sind nicht zuletzt die in den vergangenen Wochen andauernden Anti-Corona-Demonstrationen in den Großstädten. Treiber solcher Bewegungen ist die Suche nach der Wahrheit; schuldig sind im Zweifel diejenigen, die Machtpositionen innehaben, seien es die regierenden Politikerinnen und Politiker oder auch CEOs international operierender Konzerne.
Kornelius beginnt seinen Vortrag mit einem historischen Rückblick: Die Suche nach der Wahrheit sei eine Frage, die die Menschen seit Generationen umgetrieben habe. Prominente Beispiele aus der Vergangenheit sind „Platons Höhlengleichnis“ oder auch Hannah Arendts 1972 erschienenes Buch „Wahrheit und Lüge in der Politik“. Dabei gibt Kornelius zu verstehen, dass Geschichte keineswegs unveränderbar festgeschrieben ist, sondern die Art, wie sie erzählt wird, sehr wohl veränderbar sei. Denn Wahrheit könne von der politischen Elite missbraucht werden, um ihre eigene, neue Wahrheit in die Welt zu setzen. Wer lügt, habe einen Vorteil: „Das Kernproblem der Lüge ist jedoch, dass das Unterscheiden von Wahrheiten und Unwahrheiten kaum mehr möglich ist“, sagt Kornelius.
Ein Phänomen der heutigen Zeit sei der Wunsch der Menschen nach Komplexitätsreduktion. Dies schaffe ein Einfallstor für Populisten wie Donald Trump, da diese solch komplexe Fragen wie den Klimawandel, die Krisen im Nahen Osten oder auch die China-Politik stark vereinfacht darstellen. Stefan Kornelius hebt hervor, dass Populismus auf dem Wunsch nach Identität fußt: „In Zeiten, in denen Identitätskonzepte zerbröseln, entsteht zunehmend eine Kluft zwischen Elite und Volk.“ Trump habe es geschafft, den identitätssuchenden Bürgerinnen und Bürgern Amerikas eine Identität zu schaffen und ein Zugehörigkeitsgefühl zu erzeugen.
ZU-Studentin Laura Höring, Moderatorin und Gastgeberin des GlobalTalk, stellt die Frage in den Raum, ob der Typus Trump und seine Rhetorik der Politiker der Zukunft sei. Der SZ-Journalist entgegnet, dass populistische Bewegungen in den USA mit der Wahl Trumps und in Europa mit dem Brexit durchaus Fahrt auf genommen haben, eine solche Entwicklung in Deutschland jedoch aus zwei Gründen nicht zu erwarten sei: Zum einen verfüge die Bundesrepublik bloß über eingeschränkte plebiszitäre Elemente im Grundgesetz, zum anderen hätten die sozialen Medien in Deutschland keinen vergleichbar starken Einfluss auf Meinungsbildung und Wahlausgänge, wie es in den USA der Fall ist.
Auf die Frage hin, ob Trumps demokratischer Kontrahent Joe Biden ein Opponent auf Augenhöhe ist, zeigt sich Kornelius skeptisch: Biden verkörpere für die Republikaner das anarchistische Amerika und sei Teil der „Show von alten Opas“. Er habe viele Influencer, die für ihn Wahlwerbung machen, ihm fehle jedoch das Narrativ. Bezüglich einer Wahlprognose hält sich Kornelius bedeckt: Bisher sei noch alles offen, vor allem die Swing States haben wie bei jeder US-Wahl großen Einfluss auf den Wahlausgang. Eines steht für den erfahrenen Journalisten jedoch fest: „Biden kann Trump nicht zerstören, wenn, dann kann Trump sich nur selbst zerstören.“
Titelbild:
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Bild im Text:
| Bianca Balint / Zeppelin Universität (alle Rechte vorbehalten)
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm