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Professor Dr. Dirk Heckmann ist Leiter des Zentrums für Recht, Sicherheit und Vertrauen in elektronische Prozesse am „Deutsche Telekom Institute for Connected Cities | TICC“ der Zeppelin Universität. Zudem ist er Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sicherheits- und Internetrecht an der Universität Passau. Als ausgewiesener Experte in Fragen des IT-Rechts ist er außerdem in verschiedenen Gremien tätig.
Der Spiegel schrieb im Jahr 2008 auf einer Titelseite: „Macht das Internet doof?". In seinem Buch „Dumm 3.0" fragt sich Kulturkritiker Markus Reiter, wie das Internet unsere Kultur bedroht. Und auch der Cicero ging vor Kurzem unter dem Motto „Googlen, Simsen, Twittern, Tickern: Eine Nation verblödet" den Gefahren des Internets auf den Grund. Ins Internet zu kommen, ist denkbar einfach. Das wusste Boris Becker schon 1999 mit seiner legendären Frage: „Bin ich denn schon drin, oder was?".
Richtig mit dem World Wide Web umzugehen hingegen ist gar nicht so einfach. Aus diesem Grund sind „Internet" und „Bildung" schon seit Jahren ein großes Thema. „Mittlerweile haben fast alle die Chance reinzukommen. Die Frage ist aber: Was machen wir eigentlich draus?" beschreibt Heckmann eines der Grundprobleme der Internet-Nutzung. Ob das Internet wirklich verblöde, ließe sich aus vielen verschiedenen Perspektiven angehen - von der inhaltlichen, über die funktionale bis hin zur neurologischen Ebene, erklärt er.
Warum aber sollte das Internet auf einer inhaltlichen Ebene dumm machen? „Vielleicht weil vieles, was im Internet zu lesen und zu finden ist, einfach dumm ist?", fragt Heckmann und spielt auf unzählige Falschinformationen und gezielte „Fakes" an, auf die der Nutzer bewusst und auch unbewusst stößt. Politiker, Stars oder sogar Bildungseinrichtungen haben viele verschiedene Profile in sozialen Netzwerken. Die offizielle Präsenz herauszufiltern, fällt dabei nicht immer leicht: „Wissen wir denn immer, ob das, was wir vorfinden, von dem stammt, der sich dort als Autor oder Urheber ausgibt?", fragt Heckmann berechtigt. Hinzu käme die Oberflächlichkeit der Inhalte, die einfach dahingeschrieben werden.
Aber auch wenn das Internet viele redundante Inhalte mich sich bringe, könne man es auch als Bildungschance bewerten. „Denken Sie nur an die Datenbanken, die Wissen in sich vereinen, nachhaltig für uns speichern und abrufbereit halten, so wie es das in der Menschheit noch nie gab", erläutert Heckmann. Und über das sogenannte Crowdsourcing könne sogar jeder dazu beitragen, fügt er hinzu. Denn viele Inhalte im Internet - von wissenschaftlichen Arbeiten bis zu Vortrags-Videos - stammten von Experten. „Und in gewisser Weise ist jeder von uns ein Experte auf einem kleinen Gebiet". Die große Flutkatastrophe in diesem Jahr sei nur ein mögliches Beispiel: Jeder Bewohner war hier ein Experte für den Zustand seiner Straße und belieferte Helfer und Nachbarn über das Netz mit Informationen. Gegenüber dem Hochwasser im Jahr 2002 sei dies eine riesige Erleichterung gewesen, bestätigten die Helfer von THW und Rotem Kreuz.
Wesentlich populärer als die Aktion „Passau räumt auf" ist allerdings das Online-Portal „Wikipedia" - der Urtyp einer Crowdsourcing-Plattform. Kritiker entgegnen, gerade hier sei vieles falsch, und greifen zum Papierlexikon. „Laut einer aktuellen Studie schlägt Wikipedia den guten, alten Brockhaus aber in einigen Kategorien", kontert Heckmann und verweist neben der Aktualität auch auf die Fundiertheit der Online-Beiträge. Aber auch Bibliotheken würden zunehmen ihre Werke im Netz zur Verfügung stellen. Und ein gedrucktes Buch ändere ja schließlich nicht seinen Inhalt, nur weil es nun digitalisiert vorliege, verteidigt Heckmann. „Eine Goldgrube" und „einen unglaublichen Schatz" nennt er das Internet an dieser Stelle.
Nach der rein inhaltlichen Betrachtung ließe sich aber noch nicht festlegen, ob das Internet dumm oder schlaue macht, führt Heckmann aus. Grundlegend für die funktionale Perspektive sei es, das Internet als „Plug-and-Play-Plattform" zu verstehen: „Anschließen und einfach loslegen - heute können wir uns von überall und mit wenigen Klicks durch komplexe Systeme bewegen, ohne dafür Informatik studieren zu müssen." Gleichzeitig habe dies aber auch einen entscheidenden Nachteil, beschreibt er die Vereinfachung komplexer Vorgänge. An wen wir unsere Daten abgeben, sei oft nicht ersichtlich. Solche Prozesse liefen im Hintergrund ab und wollen vom Nutzer oft auch gar nicht wahrgenommen werden. Schließlich habe uns gerade die NSA-Affäre gelehrt, wie sich die Verantwortung vom Nutzer zu einigen großen Unternehmen verlagert hat. Als „Plug-and-Play-Falle" bezeichnet Heckmann diese Einstellung, die sich als Beleg anführen ließe, dass das Internet uns funktional verdumme.
Aber auch auf funktionaler Seite bietet das Internet durchaus Chancen, zur Bildung beizutragen: „Die Verknüpfung von Wissen ist im Internet zum Beispiel einmalig", fasst Heckmann die Möglichkeiten, Datenbanken und Inhalte in Sekundenschnelle zu verlinken, zusammen. Und sogar für Schulen und Universitäten eröffneten sich mit dem sogenannten „E-Learning" innovative Wege, um Inhalte zu vermitteln. „Besonders die Massive Open Online Courses sind gerade total in Mode." Viele Universitäten böten so dem „einfachen Nutzer" kostenlose Möglichkeiten, zu studieren und Informationen zu beziehen. Natürlich verbirgt sich auch dahinter ein Geschäftsmodell: Wer eine Prüfung ablegen will oder ein Zertifikat bekommen möchte, der müsse zahlen. „Aber immerhin kann man sich schon mal eine zeitlang Harvard-Student nennen", sagt Heckmann mit einem Augenzwinkern.
Auch die Bedingungen für die Forschung selbst hätten sich durch das Netz deutlich verbessert, indem Experten und Daten schneller und globaler greifbar seien. „Das wird dadurch unterstützt, dass ‚Open Access' politisch stärker gefordert wird und dass wissenschaftliche Studien und Projekte, die von Steuergeldern finanziert wurden, dem Steuerzahler so kostenlos zur Verfügung stehen." Dies biete Raum für weitere Forschung, beschreibt Heckmann.
Eine dritte und letzte Perspektive wurde vor allem vom Psychologen Manfred Spitzer und seinem Buch „Digitale Demenz" aufgeworfen, der dem Internet vorwirft, es ließe unser Hirn verkümmern. Als einen wichtigen Punkt ließe sich hier die Reizüberflutung anführen, erläutert Heckmann: „Natürlich ist das eine Herausforderung für unser Gehirn, in dieser Flut nicht unterzugehen." Andererseits sei dies aber nicht ein zentrales Problem des Internets: „Von dieser Reizüberflutung sprach man auch schon, als das Fernsehen eingeführt wurde." Auch die Merkfähigkeit würde bei hoher Internet-Nutzung deutlich leiden, argumentieren Kritiker. Aber auch in dieser These ließe sich eine Chance erkennen, entgegnet Heckmann: „Beispielsweise für ältere Leute kann diese Technologie ein großer Segen sein." Ob das Internet auch noch vergesslich macht, sei noch nicht annähernd belegt.
Wenn schon nicht die Reizüberflutung ein Risiko sei, dann wenigstens der Mangel an Empathie im Netz, äußern Kritiker. Cyber-Mobbing ist in diesem Zusammenhang immer wieder ein Thema, wenn es zu Suiziden nach Mobbing-Attacken in sozialen Netzen kommt. Dass das Internet Schuld an der mangelnden Empathie ist, glaubt Heckmann aber nicht: „Ist es nicht vielleicht eher so, dass das Internet uns als Gesellschaft nur den Spiegel vorhält und uns endlich zeigt, wie manche Leute von uns ticken?", fragt er stattdessen. Auch hier erkennt er eine Chance, denn so würde für alle sichtbar, was auf den Schulhöfen schon seit Jahrzehnten passiere. Und auch die neurologische Seite, ließe sich wenden. „Umgekehrt gibt es Studien, die von neuen Fertigkeiten sprechen und für das Gehirn entsprechende Herausforderungen durch die moderne Technik sehen." So würden nun auch Gehirnregionen angesprochen, die bisher unterversorgt waren. „Da ist noch viel Platz für's Internet", sagt Heckmann. Von digitaler Demenz könne man also keinesfalls reden.
Beim abschließenden Gegenüberstellen von Vor- und Nachteilen kommt es so zu einem klassischen Patt. „Wir können nur dann mit dem Internet lernen, wenn wir es auch verstehen", lautet deshalb Heckmanns abschließende These. Und dann mache das Internet auch nicht dümmer und sei mit den passenden Strategien zur Selbstkontrolle eine große Bereicherung. Zunächst einmal müsse man lernen, was das Internet uns von inhaltlicher Seite biete: „Viele Lernangebote und Kommunikationsmöglichkeiten müssen wir erstmal suchen und finden." Dann offenbarten sich auch großartige Möglichkeiten auf menschlicher Ebene, wenn wir mit Freunden aus aller Welt in Kontakt bleiben können, führt Heckmann eine Chance der sozialen Netzwerke aus.
Auf funktionaler Seite müsse man lernen, wie das Netz und die Endgeräte technisch funktionieren und wie sie sich mit dem Leben vereinbaren lassen. „All das fehlt noch ein bisschen, weil das Internet zu schnell in unser Leben gestürzt ist", schließt Heckmann seine Ausführungen und spricht von einem wichtigen Bildungsauftrag für Schulen, Universitäten und vor allem auch die Politik: „Da darf dann auch eine Bundeskanzlerin das Internet nicht einfach als Neuland bezeichnen". Aber auch Angela Merkel wird bestimmt bald herausfinden, wie das Internet funktioniert: Schließlich gibt es ja für alles eine App.
Titel: dailyinvention (CC BY 2.0)
Text: Eigene Screenshots (3x - Spiegel.de / vorlesung-verwaltungsrecht.de / youtube.com) | Espacio Camon (CC BY-NC-SA 2.0)