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Dr. Marian Adolf ist Juniorprofessor für Medienkultur und Mitglied des Karl-Mannheim-Lehrstuhl für Kulturwissenschaft an der Zeppelin Universität Friedrichshafen. Seine Forschungsinteressen liegen in der Mediensoziologie, den Media Cultural Studies und der kritischen und konstruktivistischen Epistemologie. Zuvor lehrte und arbeitete der gebürtige Österreicher in Wien, Innsbruck und Mannheim.
Wer Zeitung liest, Radio hört oder Fernsehen schaut, ist dabei meist alleine. Trotzdem glauben Soziologen, dass diese Medien essentiell für die Kommunikation und den Zusammenhalt der Gesellschaft sind. Warum?
Dr. Marian Adolf: Die Verbreitung der elektronischen Medien Radio und Fernsehen hat für eine Blütezeit der Massenkommunikation gesorgt. In der Folge erreichten wenige Medienkanäle einen großen Teil der Bevölkerung. Deshalb verfügte eine große Anzahl an Menschen über dieselbe Information, und die wichtigen Themen der Zeit wurden zum gemeinsamen Diskurshorizont der Gesellschaft. Dies war von großer Bedeutung für die gesellschaftliche Kommunikation, denn die Themen, die man aus den Medien kannte, diskutierte man in der Folge auch in der Familie, in der Schule und am Arbeitsplatz.
Durch die Digitalisierung entstehen immer mehr unterschiedliche Kommunikationskanäle. Bedroht diese Entwicklung die gemeinsame Kommunikationsgrundlage?
Adolf: Zumindest befürchten das manche. Wenn man sich nicht über die gleichen Kanäle informiert, und wenn diese Kanäle vielfältiger und inhaltlich heterogener werden, dann sinkt in der Tat die Schnittmenge gemeinsamer Themen und letztlich das, was uns kommunikativ verbindet. Insgeheim transportiert diese Argumentation aber auch die Angst vor einem Qualitätsverlust der Medienkommunikation, also vor allem journalistischer Angebote. Angesichts dieser Entwicklung, die man auch als Fragmentierung der Öffentlichkeit bezeichnet, stellen sich jedoch zwei Fragen: Will man wirklich zurück in die Zeit limitierter Medienkanäle? Und: Wieso schafft es die Gesellschaft dann scheinbar immer noch, einen gemeinsamen Diskurshorizont zu erhalten?
Medienkonsum wird immer individueller und personalisierter. Gleichzeitig vereinfacht das Internet die Vernetzung und den Austausch über medial vermittelte Information. Verändert sich dadurch die Bedeutung der Medien für die Gesellschaft?
Adolf: Nur weil anders kommuniziert wird, verliert medienvermittelte Kommunikation nichts an ihrer Bindekraft. Zwar verändern sich die technischen Grundlagen und mit ihnen die Medien, der Akt der Kommunikation bleibt dennoch eine zutiefst soziale Handlung. Die Gesellschaft verändert sich insgesamt, und der Prozess der Individualisierung beschleunigt sich vielleicht sogar noch. Aber dabei handelt es sich nicht um ein reines Medienphänomen. Ein gutes Beispiel dafür sind Soziale Netzwerke wie Facebook: im Zentrum steht das Individuum, sein Profil, seine Timeline, seine Freundesliste, seine Präferenzen und Nutzungsgewohnheiten. Doch all dies liegt eingebettet in eine bislang ungekannte Fülle an Informationsquellen, sozialen Banden und kommunikativen Möglichkeiten.
Machen uns Facebook, Twitter & Co. jetzt alle zu Journalisten – oder zumindest zu Sendern und Empfängern? Und werden klassische Medien dadurch überflüssig?
Adolf: Davon gingen die Adepten der Netzrevolution lange aus: Alles wird neu, jeder kann alles. Und potenziell stimmt das ja auch. Ein Blog wie die Huffington Post kann zur internationalen Medienmarke werden, ein einzelner Whistleblower erreicht mit seinen Enthüllungen die ganze Welt. Aber zugleich kommen wir zur Einsicht, dass Journalismus nicht sosehr eine Frage der technischen Möglichkeit, sondern des professionellen Handwerkszeugs ist. Es ist also kein Zufall, dass Wikileaks oder Edward Snowden ihre Enthüllungen über den Guardian oder die New York Times lancieren, sondern ein Beleg für die weiterhin unverzichtbare Rolle der Journalisten. Zugleich werden Kanalisierung, Orientierung und Kommentierung von Seiten professioneller Journalisten heute wieder wichtiger; gerade weil man als Medienkonsument vor der Herausforderung steht, sich aus der Fülle der Informationen ein umfassendes Gesamtbild zu fertigen.
Wer auf Sozialen Netzwerken postet, legt den Inhalt in die Hände privatwirtschaftlicher Konzerne. Ist das ein Problem?
Adolf: Ja, aber nicht so sehr im Sinne der oft stark moralisch motivierten Bedenkenträger, die sich Sorgen um die Partyfotos von Teenagern machen . Andere Gründe wiegen schwerer: Erstens unterliegen diese Konzerne nicht denselben Schutzbestimmungen wie professionelle Medienorgane, etwa was die Sicherheit von Informanten angeht. Zweitens unterwirft man sich den Geschäftsbedingungen des jeweiligen Anbieters, die mitunter stark von den eigenen Interessen abweichen. Drittens verlassen wir uns meist ohne Backup auf die Funktionalität der Dienste und vergessen dabei, dass die lahmgelegt werden können – sei es durch Behörden wie im Verlauf des Arabischen Frühlings, aber ebenso durch Zensurmaßnahmen oder Irrtümer der Infrastrukturinhaber.
Welche Konsequenzen kann das haben?
Adolf: Dann verliert man seinen wichtigsten Kommunikationskanal, und das ausgerechnet in sensiblen politischen Momenten. Wie prekär die Frage nach der informationellen Selbstbestimmung ist, sehen wir nicht zuletzt an den aktuellen Überwachungsskandalen. Die Omnipotenz der Geheimdienste sollte wirklich zu denken geben. Angesichts des PRISM-Programms der amerikanischen NSA und dem britischen Pendant Tempora braucht man sich keinen Illusionen hingeben, dass im Netz irgendwas zu verheimlichen ist. In der Mediengesellschaft gilt: Alles was kommuniziert werden kann, wird kommuniziert werden. Und diese neue Verletzlichkeit betrifft die großen Institutionen ebenso, wie den ganz privaten Gebrauch des Internets von uns allen.
Warum sind bisher alle Versuche gescheitert, Alternativen zu etablieren, die den Nutzern mehr Mitspracherecht und besseren Datenschutz zugestehen?
Adolf: Es liegt in der Natur sozialer Netzwerke, dass sie sozial sind. Anders gesagt ist das, was viele Kritiker etwa an Facebook so erregt – also das Posten privater Informationen, das Taggen von Freunden oder das Teilen von Partyfotos – genau das, was diese Netzwerke so attraktiv macht. Wir haben es hier mit dem unauflösbaren Widerstreit zweier konträrer Zwecke zu tun: Facebook ist kein Ort privater Kommunikation, seine Daseinsberechtigung liegt genau in seiner Öffentlichkeit. Und die verträgt sich nur bedingt mit Privatheit und Datenschutz. Facebook ist deshalb so erfolgreich, weil es diesen Bedürfnissen eine gut funktionierende Infrastruktur bietet, die jedem zugänglich ist, und die jeder ohne großes Vorwissen verwenden kann. Mitbewerber, die mit besserem Datenschutz werben, werden auf absehbare Zeit keine Konkurrenz für Facebook sein.
Titelbild: Jason Howie (CC BY 2.0)
Text: ethority | Niall Kennedy (CC BY-NC 2.0)