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Dorfbewohner

Das unbekannte Wesen

Die Leute haben regelrecht auf uns gewartet und ihre ganze Lebensgeschichte erzählt.

Theresa Adenstedt
Studentin Politik- und Verwaltungswissenschaften
 
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    Zur Person
    Theresa Adenstedt

    Thersa Adenstedt studiert im zweiten Semester Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Zeppelin Universität. Nach ihrem Abitur in Greifswald zog es sie im September 2012 an den Bodensee. Im ersten und zweiten Semester erforschte sie mit sechs Kommilitonen die Zukunftsfähigkeit des Dorfes. Neben dem Studium moderiert die Studentin ihre eigene Sendung beim Campusradio Welle20 und ist aktives Vereinsmitglied des Club of International Politics.

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    Factbox
    Forschung live: Das Zeppelin Projekt

    Im Rahmen des Zeppelin Projekts entwickeln Studierende der Zeppelin Universität in interdisziplinärer Gruppenarbeit eine eigenständige Forschungsprojektidee zu einem selbst gewählten gesellschaftlichen Phänomen. Unter Anleitung von Projektcoaches setzen die Studienbeginner ihre Ideen um. Die dritte Auflage stand unter dem Motto "Architekturen" und veranlasste 18 Gruppen zu Forschungsthemen zwischen Lebenslauf-Architektur und der Zukunft des Theaters. Unter dem Motto "Architektur der Dorfgesellschaft: Sozialkapital als Bauelement der Zukunft" beschäftigten sich Theresa Adenstedt, Nathalie Himbert, Indra Küster, Ronja Lind, Verena Lossa, Katharina Schwandt, Sarah Zwink mit der Zukunft des ländlichen Lebens. Unterstützt wurde die Gruppe bei ihrer Arbeit durch Joachim Behnke und Maren Lehmann, Professoren der Zeppelin Universität, die im Projekt die Möglichkeit sehen, Forschung selbst in allen Facetten auszuprobieren.

    Zur Information: Was ist eigentlich Sozialkapital?

    Der Begriff "Sozialkapital" geht unter anderem auf den Soziologen Pierre Bourdieu zurück. Der Franzose definierte den Begriff 1983 als eine individuelle Ressource, die aus den sozialen Beziehungen zu Anderen entsteht. Der Faktor Sozialkapital entsteht dabei aus vielen Komponenten des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Beispielhaft sind die Einbindung in Vereine und Netzwerke, gegenseitiges Vertrauen und ähnliche Werte und Normen. Hinzu kommen Lebensqualität oder das eigene, subjektive Wohlfühlen. Hohes Sozialkapital bedeutet demnach eine gute Einbindung in gesellschaftliche Strukturen. Bezogen auf Dörfer zieht es demnach eine niedrige Bereitschaft zum Wegzug nach sich. Ein weitere Theoretiker ist Robert Putnam, der sich in seinen Ausführungen weniger auf das Individuum und seine Handlungen bezieht. Der gebürtige Amerikaner blickt stattdessen auf die Auswirkungen von Systemen auf den Menschen und sein Sozialkapital.

    Zum Durchklicken: Abschlusspräsentation des Zeppelin Projekts

    Im Rahmen einer feierlichen Abschlusspräsentation stellten die Nachwuchsforscher die Ergebnisse ihrer einjährigen Arbeit einem breiten Publikum vor. Mit lebhaften Vorträgen, spannenden Diskussionen und kreativen Ideen zeigten die Zweitsemester, wie viel sich trotz junger Universitätskarriere bei intensiver Zusammenarbeit bewegen lässt. Die Ergebnisse ihrer Arbeit zur Zukunft des Dorfes reicherten die Studentinnen mit Grafiken, Zahlen und Fakten aus ihrer Forschung an. Die Präsentation lässt sich online einsehen.

    Zum Vertiefen: Der Forschungsbericht der Studierenden

    Auf 82 Seiten lassen die sieben Studentinnen ihre Ergebnisse Revue passieren und schildern selbst, auf welche Erkenntnisse und Hürden sie gestoßen sind. Zusätzlich liefern sie einen Ausblick auf küftige Forschung und reflektieren ihre eigenen Ergebnisse kritisch. Wer sich mit dem Thema beschäftigen will, findet im Forschungsbericht den Fragebogen des wissenschaftlichen Nachwuchses, genaue Aufschlüsselungen ihren Datenerhebung und einen Rückblick auf die Arbeit der vergangenen zwei Semester.

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Im sogenannten Zeppelin Projekt forschen neue Studenten der Universität im 1. und 2. Semester zu einem breiten Überthema. „Architekturen“ war es dieses Jahr, doch anstatt sich mit Bauwerken zu beschäftigen, wollte ein Teil der Nachwuchsforscher lieber gesellschaftliche Strukturen untersuchen. „Unser Blick fiel sehr schnell auf Beziehungsgeflechte und die Zusammenhänge zwischen Menschen“, erklärt Gruppensprecherin Sarah Zwink. Dazu sei dann ein generelles Interesse an kommunalen Ereignissen und gesellschaftlichen Strukturen gekommen, fügt Gruppenmitglied Theresa Adenstedt hinzu: „So haben wir dann tatsächlich schnell und bewusst den Blick auf die Entwicklungen im ländlichen Raum gerichtet.“

Forschung live: Das Zeppelin Projekt


Schließlich dominiert die Zukunft des Dorfes immer wieder die Schlagzeilen deutscher Medien. Landflucht, der demografische Wandel und rechts-konservative Tendenzen sorgen häufig für hitzige Diskussionen. Was ist es aber, das viel zitierte Dorf? „In der Tat ist es gar nicht so leicht, herauszufinden, was ein Dorf zu einem Dorf macht“, erklärt Zwink. „Für uns war vor allem die Gruppe zwischen 500 und 1000 Einwohnern interessant. „Wir haben das Dorf als Begegnungsstätte des öffentlichen Lebens ausgemacht“, fügt Adenstedt hinzu.
Besonders beschäftigt haben sich die jungen Forscher mit den Dorfbewohnern und ihren Verbindungen untereinander. „Das ist für uns das Elementare in einem Dorf“, erklärt Ronja Lind, ein weiteres Mitglied der Gruppe. „Viele von uns kommen selbst vom Dorf. Dadurch ist das Projekt für uns noch interessanter geworden“, fügt sie hinzu.

Zur Information: Was ist eigentlich Sozialkapital?


An welcher Stelle soll man aber beginnen, um einen Dorfbewohner zu erforschen? „Wir haben schnell darauf abgezielt die Gruppenprozesse im Dorf zu beleuchten“, erklärt Adenstedt. Ein Faktor, der aktuell viel zu wenig betrachtet wurde, sei das Sozialkapital. Diese Größe stellt Handlungsbegünstigungen dar, die durch die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entstehen.
Zunächst einmal hat die Gruppe dazu ein eigenes Modell auf Basis intensiver Literaturrecherche entwickelt. „Wir haben uns mit allen wesentlichen Autoren von Putnam über Coleman bis Bourdieu beschäftigt und daraus eine eigene Grundlage entwickelt“, erklärt Zwink. Besonders schwer sei es gewesen, Sozialkapital greifbar zu machen. Für ihr Modell haben die Studentinnen deshalb auf einer allgemeinen und einer spezifischen Ebene gearbeitet. Erste Grundannahme war, dass Dorfstrukturen das Sozialkapital beeinflussen können. „Der einzelne Dorfbewohner kann das Sozialkapital für sich nutzbar machen. Wer ein hohes Sozialkapital hat und sich sozusagen wohl fühlt, zieht seltener aus dem Dorf“, erklärt Zwink die Hypothese der Gruppe. „Ganz zum Schluss können wir dann Schlüsse auf die Zukunftsfähigkeit ziehen“, erklärt ihre Kommilitonin Ronja Lind.

Mit ihrem Modell verdeutlichen die Studentinnen ihren Forschungsansatz: Auf der Makroebene haben sie mit ihrere Recherche begonnen, um auf der Mikroebene am konkreten Beispiel zu arbeiten.
Mit ihrem Modell verdeutlichen die Studentinnen ihren Forschungsansatz: Auf der Makroebene haben sie mit ihrere Recherche begonnen, um auf der Mikroebene am konkreten Beispiel zu arbeiten.

Um ihr Modell am lebenden Objekt zu testen, haben sich die Nachwuchsforscher drei Dörfer in Baden-Württemberg gesucht. Ihre Wahl fiel auf Neenstetten, Fischingen und Häg-Ehrsberg. „Wir haben Annoncen in den Lokalblättern geschaltet und mit 700 Leuten jeden aus dem Telefonbuch angerufen“, erklärt Adenstedt das Vorgehen der Gruppe. 108 Probanden nahmen sich am Ende Zeit für die Befragung durch den wissenschaftlichen Nachwuchs, der selbst von der großen Bereitschaft überrascht war. „Die Leute haben regelrecht auf uns gewartet und ihre ganze Lebensgeschichte erzählt“, sagt sie erfreut.
„Besonders wichtig war uns, dass die drei Dörfer ähnlich groß sind, in einem gewissen Abstand zu den gleichen, größeren Städten liegen und die selben wirtschaftliche Strukturen aufweisen“, erklärt sie weiter. Gleichzeitig habe die Gruppe aber auch darauf geachtet, Gemeinden mit unterschiedlicher Vereinskultur auszuwählen.
Denn gerade die Vereinsstruktur sei zentraler Punkt im Dorf. „Sehr viele Befragte sind bei den Landfrauen, im Trachtenverein oder dem Sportclub aktiv“, bestätigt Zwink. Die Leute, die aktiv in Vereinen sind, fühlten sich wohler. „Ihr Sozialkapital ist höher, die Wegzugsbereitschaft deutlich geringer“, führt Adenstedt aus und sieht ihre erste Hypothese bestätigt.

Diese sieben Studienbeginnerinnen beschäftigten sich zwei Semester mit der Zukunft des Dorfes (v.l.n.r.): Indra Küster, Verena Lossa, Katharina Schwandt, Theresa Adenstedt, Nathalie Himbert, Sarah Zwink und Ronja Lind
Diese sieben Studienbeginnerinnen beschäftigten sich zwei Semester mit der Zukunft des Dorfes (v.l.n.r.): Indra Küster, Verena Lossa, Katharina Schwandt, Theresa Adenstedt, Nathalie Himbert, Sarah Zwink und Ronja Lind

Doch nicht nur auf die Mitgliedschaft in Vereinen käme es beim Thema Sozialkapital an. Informelle Treffen und Vertrauen hätten einen weit höheren Stellenwert. „Auch wenn auf dem Dorf viel getuschelt wird, ist das Vertrauen stark ausgeprägt“, erklärt Lind. Bei intimen Fragen oder materiellen Dingen sei aber Schluss, haben die Gruppenmitglieder festgestellt: „Probleme in der Partnerschaft werden höchsten mit drei engen Freunden behandelt. Und auch der Kostenvoranschlag vom Handwerker aus dem Dorf reicht nicht aus, sondern wird mit anderen Angeboten verglichen“, erklärt Lind Parallelen zum Stadtleben.

Neben Netzwerken und Vertrauen sind Werte und Normen die dritte Komponente des Sozialkapitals. Diese im Dorf zu erkennen, sei aber besonders schwer gewesen, erklärt Zwink mit Blick auf zukünftige Forschung. Am Ende hat die Gruppe trotzdem acht Indikatoren beleuchtet und Aussagen über Vereinsmitgliedschaften, die Teilnahme an Dorfaktivitäten und verschiedene Formen von Unterstützung und Vertrauen getroffen. In Anbetracht knapper Zeit sei dieser Index ein beachtliches Ergebnis, finden die Studentinnen.

Zum Durchklicken: Die Abschlusspräsentation der Forschungsgruppe


Auch wenn einige Gruppen leicht über- oder unterrepräsentiert seien, fällt das Ergebnis der Studienbeginner relativ klar aus: Wer den Dorfbewohnern vertraut und in Vereinen aktiv ist, der weist ein hohes Sozialkapital auf und zieht seltener in die Stadt. Generalisieren will die Gruppe ihre Ergebnisse nicht. „Vielleicht wählt jemand unseren Ansatz für intensivere Forschung. Es wäre sicher spannend, einen Index mit mehr Indikatoren und Fragen zu entwickeln und besonders Werte und Normen im Dorf greifbar zu machen“, hofft Adenstedt.
Einen generellen Schluss fasst Gruppenmitglied Lind am Ende aber doch: „Die Stadt überlagert das Dorf. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass es das Dorf auch in zwanzig Jahren noch geben wird. Schließlich wird städtischer Wohnraum teurer und knapper.“ Und auch wenn sie nur einen kleinen Teil des Dorfes beleuchtet haben, sind die Studentinnen zufrieden. „Unsere Analyse des Sozialkapitals ist zwar noch ausbaufähig, lohnt sich aber auf jeden Fall für kommunale Akteure“, sagt Gruppensprecherin Zwink selbstsicher und lächelt.


Fotos: Ksenia via jugendfotos.de (Titel), Florian Gehm (Portrait & Text)

Zum Vertiefen: Der Forschungsbericht der Studierenden


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