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Dr. Markus Rhomberg studierte Journalismus in Stuttgart und Weingarten, anschließend Politikwissenschaft, Theaterwissenschaft sowie Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Wien. Nach seiner Promotion arbeitete Rhomberg unter anderem in Friedrichshafen und Hamburg. 2010 kehrte Rhomberg an die Zeppelin Universität zurück und hat dort seit August 2013 den Lehrstuhl für Politische Kommunikation inne.
Schon 2008 hat Barack Obama einen breit angelegten Online-Wahlkampf geführt. Auch bei seiner Wiederwahl setzte er auf die Reichweite der sozialen Medien. Gäbe es in Deutschland eine rot-grüne Regierung, wenn Steinbrück und Trittin mehr getwittert hätten?
Professor Markus Rhomberg: Obama hat die Wahl nicht auf Twitter gewonnen, sondern durch die geschickte Verknüpfung von Online- und Offline-Elementen, wie etwa dem datengestützten Haustürwahlkampf. Außerdem ist die Ausgangslage in den USA eine ganz andere, Facebook und Twitter sind dort viel weiter verbreitet. Auch gibt es dort mehr Möglichkeiten, Daten zu erwerben und miteinander zu verknüpfen, denn der Datenschutz ist längst nicht so stark wie in Deutschland. Deshalb lassen sich aus Obamas Erfolg nur sehr eingeschränkt Rückschlüsse auf die deutsche Bundestagswahl ziehen.
Hatten die Parteien bei uns denn überhaupt eine echte Online-Strategie im Wahlkampf?
Rhomberg: Sagen wir es so: Es gab Online-Wahlkampf, aber richtig gut war der bei keiner Partei. Bei den Volksparteien fällt das nicht so stark ins Gewicht, weil die ein heterogenes Milieu ansprechen. Gerade ältere Wähler erreicht man eben nicht im Internet, sondern ganz altmodisch-analog: auf dem Marktplatz oder an der Haustüre. Und CDU und SPD setzen dann lieber auf Bewährtes: Der Erfolg einer Briefwahlaktion lässt sich aufgrund früherer Erfahrungswerte ziemlich genau vorhersagen. Twitter und Facebook sind da deutlich unberechenbarer; deshalb ist die Zurückhaltung zumindest aus Sicht der Parteien nachvollziehbar.
Und die kleinen Parteien? Haben die Stimmen im Internet liegen gelassen?
Rhomberg: Vermutlich hätten die Grünen etwas mehr herausholen können, wenn sie ihren Online-Wahlkampf optimiert hätten. Immerhin haben sie ihre Mitglieder über die thematischen Schwerpunkte des Wahlprogramms entscheiden lassen. Diese Online-Beteiligung der Basis war ein Novum und hat auch recht gut funktioniert. Trotzdem muss man klarstellen: Wahlen werden nicht Internet gewonnen.
Aber wenn es knapp wird, können soziale Medien den Unterschied ausmachen?
Rhomberg: Klar, ein paar Wähler kann man auf Twitter mobilisieren. Aber zum Beispiel die Piraten wären auch mit einer perfekten Online-Strategie nicht in den Bundestag eingezogen. Die hatten im Wahlkampf ganz andere Probleme und ein schlechtes Agenda-Surfing beim Prism-Thema. Vielleicht kann man Präsenz auf sozialen Netzwerken mit Wahlplakaten vergleichen: Es ist wichtig, dass man sie aufstellt, denn wenn sie nicht da wären, würde das negativ auffallen. Unentschlossene Wähler lassen sich damit aber nicht überzeugen. Wenn überhaupt, dann dient das der Mobilisierung der eigenen, bereits entschiedenen Klientel.
Soziale Medien tragen die Interaktion ja bereits im Namen. Haben die Politiker das verstanden?
Rhomberg: Es gibt einzelne, die Dialog und Austausch zulassen. Aber der Großteil benutzt Twitter und Facebook wie ein klassisches Medium: als bloße Verlautbarungsplattform ohne Rückkanal.
Ist das eine Frage des Alters?
Rhomberg: Nein. Auch viele junge Politiker haben den dialogischen Charakter der neuen Medien noch nicht verinnerlicht. Der digitale Graben verläuft nicht zwischen Jung und Alt.
Wenn das Alter nicht entscheidend ist, dann vielleicht die Parteizugehörigkeit?
Rhomberg: Auch das nicht unbedingt. Generell kann man zwar sagen, dass die Piraten oder die Grünen netzaffiner sind als die CDU – aber Onliner und Offliner gibt es überall. Das Problem ist, dass viele Politiker Angst vor Kontrollverlust haben. Die One-Way-Kommunikation der klassischen Medien ist natürlich bequem: Ich gebe ein Interview oder veröffentliche eine Pressemitteilung, die dann von Zeitungen aufgegriffen wird. Direkter Kontakt zum Empfänger meiner Botschaft – also den Wählern – findet kaum statt.
Was ist auf Twitter oder Facebook anders?
Rhomberg: Da bekomme ich unmittelbares Feedback und muss mit Widerspruch umgehen. Dialog erzeugt Diskurs, und der ist nicht steuer- oder beeinflussbar. Plötzlich müssen Politiker über ihre Positionen nachdenken, sie begründen, sich dafür rechtfertigen. Womöglich werden sie mit triftigen Gegenargumenten konfrontiert. Was gibt es Schlimmeres im Wahlkampf?
Kurz vor der Wahl haben die Enthüllungen von Edward Snowden für Schlagzeilen gesorgt. Hatten der NSA-Skandal oder andere netzpolitische Themen wie die Vorratsdatenspeicherung Einfluss auf das Wahlergebnis?
Rhomberg: Ganz offensichtlich nicht. Dabei kann man sich als Piratenpartei ja gar nicht Besseres wünschen: Da wird pünktlich zur heißen Phase des Wahlkampfs bekannt, dass Geheimdienste Daten in unvorstellbarem Ausmaß sammeln – und was passiert? Nichts. Abgesehen von einem kleinen Kreis aus Netzaktivisten scheinen Datenschutz und Datensicherheit niemanden wirklich zu interessieren. Oder zumindest nicht so stark, dass es eine Rolle für die Wahlentscheidung gespielt hätte.
Woran lag das? Haben die Medien dem Thema zu wenig Raum gegeben?
Rhomberg: Im Gegenteil, der NSA-Skandal wurde medial rauf- und runtergespielt. Ich glaube, es liegt daran, dass ihn die Oppositionsparteien hauptsächlich dazu instrumentalisiert haben, der CDU eins auszuwischen. Sie haben daraus ein politisches Thema gemacht und es nicht geschafft, eine entscheidende Frage zu stellen, geschweige denn zu beantworten: Was bedeutet das für uns? Wenn irgendwer irgendwelche Daten anhäuft, hat das keine unmittelbar ersichtlichen Auswirkungen. Um das zu einem Thema für den Wahlkampfs zu machen, hätte man erklären müssen, wie jeder Einzelne persönlich davon betroffen ist.
Für diese Bundestagswahl war das Internet also nebensächlich; sowohl als Thema im Wahlkampf wie auch als Infrastruktur für den Wahlkampf. Mal angenommen, die Legislaturperiode dauert die vollen vier Jahre: Wird das Netz 2017 eine entscheidende Rolle spielen?
Rhomberg: Zumindest die Verknüpfung aus Online- und Offline-Wahlkampf wird zunehmend wichtiger werden. Wie viele neue Technologien folgt auch der politische Einsatz von Social Media dem sogenannten Hype Cycle: Sobald eine Innovation in den Fokus der Öffentlichkeit gerät, wird sie mit Erwartungen überfrachtet, die sie nicht erfüllen kann. Nach dem „Gipfel der überzogenen Erwartungen“ folgt das „Tal der Enttäuschungen“. Erst danach führen realistische Einschätzungen zu einem produktiven Einsatz im Alltag. Im Moment sind viele Politiker von Facebook und Twitter ernüchtert, weil der Aufwand größer und der Ertrag kleiner ist als gedacht. Aber ich bin überzeugt, dass soziale Medien in einigen Jahren ganz selbstverständlich zum politischen Tagesgeschäft dazugehören werden.
Titelbild: eigener Screenshot
Text: Bertram Rusch | eigener Screenshot | Tom Blackwell (CC BY-NC 2.0)