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Das Humboldt-Jahr startet im sechsten Semester - also genau zur richtigen Zeit, wenn gute Studierende den dringenden Wunsch verspüren, endlich mal etwas vollkommen selbständig zu machen: Das Humboldt-Jahr ist eine selbstgewählte spezialisierende, individualisierende Forschungsorientierung im Dialog mit einem Lehrstuhl oder einem der acht ZU-Forschungsverbünde im In- oder Ausland.
Im Humboldt-Jahr und somit in einem fortgeschrittenen Stadium des Studiums haben die Studierenden die Chance, ihren eigenen wissenschaftlichen Schwerpunkt zu setzen und damit ihr weiteres Studium ganz individuell zu gestalten. Sie können ihren eigenen Forschungsinteressen nachgehen und dadurch bestimmte Themenbereiche vertiefen und zusätzliche wissenschaftliche Kompetenzen erwerben. Sie können sich entweder auf ein Forschungsprojekt der Lehrstühle bewerben oder eine eigene Idee für ein Forschungsprojekt entwickeln.
Auf ihrem Blog halten die sieben Studenten der Zeppelin Universität Interessenten, Forschungsbegeisterte und Reisewütige über ihre aktuellen Erfahrungen auf dem Laufenden: Dort wechseln sich wissenschaftliche Fortschritte mit Einblicken in die privaten Erfahrungen ab und bieten einen spannenden und lesenswerten Mix zum Mitlesen.
Mit dem Auto dauert die Reise 191 Stunden. Doch um die Sonne Südafrikas zu genießen, brauchen sie weder Praktikumsplatz noch Urlaubssemester. „Humboldt-Reise“ nennt sich das Projekt der Bachelor-Studenten, die ein Semester am anderen Ende der Welt verbringen. Catharina Bühring, Niklas Egberts, Per Braig, Eva Hunger, Alma Sammel, Nora Schäfer und Daniel Schulte-Hillen beschäftigen sich dort in sieben unabhängigen Forschungsprojekten mit Themen von Freiwilligen-Tourismus über Investitionsmuster bis zu sozialer Exklusion. Und anstatt einen Koffer zu packen, haben sie gleich einen ganzen Container vollgestopft und mit nach Kapstadt genommen. Wo der zu finden ist, was drinsteckt und warum es die Studenten in die zweitgrößte Stadt Südafrikas verschlagen hat, erklären sie auf ZU|Daily. Ein Reisebericht.
„Ich habe noch keine größere Forschungsarbeit geschrieben, sondern immer nur kleine Hausarbeiten, die nicht so viel Platz für eigene Forschung gelassen haben“, erinnert sich Nora Schäfer an ihr bisheriges Studium. Die Idee, solch ein großes Projekt zu realisieren, hat sie nun mit ihren Kommilitonen nach Südafrika verschlagen. Zum ersten Mal befinden sich die Studenten im sogenannten Humboldt-Jahr: Im sechsten Semester dürfen sie erstmals selbst anpacken und ihre Ideen an Lehrstühlen im In- und Ausland, gefördert durch die Gips-Schüle-Stiftung, umsetzen. „Trockene Theorien und Methoden werden nasser, also verständlicher, in konkreten Praxis- oder Forschungsprojekten“, kommentiert ZU-Präsident Prof. Dr. Stephan Jansen. Genau an diesem Punkt wollen die sieben Nachwuchs-Forscher nun ansetzen, erklärt Studentin Eva Hunger: „Ich persönlich habe mich für die Forschung und für Südafrika entschieden, da ich es als wunderbare Möglichkeit sehe, mich nicht nur akademisch weiterzuentwickeln, sondern auch persönlich. Außerdem treibt uns alle der Anspruch an, etwas Ausgefallenes aus dem Humboldt-Jahr zu machen. Wir sind schließlich die Ersten und wollen auf jeden Fall zu exzellenter Forschung, aber eben auch zu gewagten Projekten animieren.“
Ebenso gewagt wie die Forschungsprojekte der Studenten ist auch die Wahl eines Gepäckstücks, das seine Reise nach Südafrika bereits deutlich vor der Reisegruppe angetreten hat: Denn ein Fracht-Container bildet den zentralen Dreh- und Angelpunkt für viele Ideen in Kapstadt. An der Stadtniederlassung des „College of Cape Town“ haben sich die Studenten mit ihrem mobilen Forschungslabor niedergelassen. „Wir bieten dort einen Raum, wo alles möglich sein kann“, berichtet ZU-Studentin Alma Sammel. In Zukunft wollen die Forscher dort Workshops und Interventionen planen; jenseits von Unternehmen oder gesellschaftlichen Gruppen, die sie im Humboldt-Jahr untersuchen. „Wir sind alle Beobachter und werden auch von den Menschen beobachtet, die sich auf den Platz aufhalten“, beschreibt Sammel die Idee des „blauen Begleiters“. Doch bis der Container endlich seinen Platz gefunden hatte, war es für die Studenten ein langer Weg, erinnert sich Per Braig: „Von vernichtender Kritik bis großem Interesse habe ich alle Reaktionen erlebt. Der Container ist ein Objekt, das sowohl uns, als auch die gesamte Umwelt aus der Komfortzone holt. Die Kontakte, die wir bisher in Kapstadt geknüpft haben, wurden zum großen Teil auch genau deshalb geknüpft.“ Ein Ort für Forschung, Austausch und Intervention in Kapstadt ist also geschaffen: „Der Container ist für mich ein Stück meiner Universität in Südafrika. Er fungiert in meinem Forschungsprojekt als Bibliothek, Labor, Lounge und Arbeitsraum“, fasst Studentin Catharina Bühring zusammen.
Was hat es aber mit den genauen Forschungsprojekten auf sich? Er seit Kurzem sind die Studenten vor Ort und so fällt es noch etwas schwer, über konkrete Forschungsergebnisse zu sprechen. Denn genau wie der Container, finden sich auch die Projekte irgendwo zwischen Experiment, Intervention und Irritation wieder.
So zieht es beispielsweise auch Nora Schäfer in einen Zwischenraum. Sie beschäftigt sich im Rahmen ihrer Forschung mit dem Mix aus Freiwilligen-Arbeit und Tourismus. „Voluntourismus“ nenne man das, erklärt sie. Mit solchen Anbietern wolle sie sich beschäftigen, dabei weg vom Schreibtisch kommen und sich die Sache vor Ort ansehen. „Südafrika und insbesondere Kapstadt ist als Ort für dieses Thema prädestiniert, da es für Voluntouristen das wilde, weiterzuentwickelnde Afrika, aber gleichzeitig Sicherheit, Coolness als World Design Capital 2014 und Backpacker-Feeling als Naturparadies verspricht“, erklärt Schäfer ihr spannendes Forschungsumfeld. Aktuell wähle sie gerade verschiedene Anbieter aus, bei denen sie schon bald eine Woche Zeit verbringen, Interviews führen und viel beobachten wolle.
Nicht nur für Schäfer ist die Beobachtung ein zentrales Instrument. In Verbindung mit dem Container liefert das Beobachten sogar gleich ein konkretes Forschungsprojekt für eine Studentin. „Ich untersuche letztendlich, was in und um dem Container über die drei Monate passiert“, beschreibt Eva Hunger ihre Forschungsidee. „Wie reagiert man auf ein solches, deplatziertes Objekt? Wie gehen die Leute mit dieser Unsicherheit um? Ändert sich der Umgang und die Interaktion zwischen den Menschen durch den Container?“, ergänzt ihr Kollege Per Braig einige Fragen, auf welche die Studenten immer wieder treffen. Bisher hat sich Hunger vor allem mit Literaturrecherche beschäftigt und ihre Arbeit theoretisch abgesteckt. Denn schließlich will auch beobachten gelernt sein.
Ganz anders will ihr Kommilitone Daniel Schulte-Hillen vorgehen. Er plant Interviews mit Experten. Dabei will er sich mit den Unterstützer von „Social Entrepreneurship“ auseinandersetzen und die Frage beantworten, wie man diese Branche „effektiv und effizient fördern kann“ und „welche Rolle Akteure des regionalen Ökosystems für den Erfolg“ spielen. Und so unterschiedlich die Ideen und Themen sind, an einer Stelle gleichen sich fast alle Forschungsprojekte. Denn auch Schulte-Hillen will den Container für seine Forschung nutzen und ihr für Meetings zu ausgewählten Themen nutzen: „In dieser Hinsicht bietet er Raum, um Silos aufzubrechen und Sensibles zu thematisieren. Aus diesen Reibungen erhoffe ich mir Erkenntnisse für meine Forschung“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler. Und zusätzlich zu aller Forschung, betreiben die ZUler in Kapstadt sogar einen eigenen Blog und halten ihre Leser, Freunde und Kommilitonen über Forschungsergebnisse und persönliche Erlebnisse auf dem Laufenden.
Auch, wenn die Zeit zwischen Forschung, Container und Bloggen knapp ist: Die Studenten erfahen und erleben ihr Forschungsumfeld in Kapstadt sehr bewusst - und das ist Arbeiten aus einer völlig neuen Perspektive. „Offene Menschen, Tanzfreude und fabelhaftes Wetter“, so beschreibt Nora Schäfer die zweitgrößte Stadt Südafrikas. Dass die Zeit nur so rast, sei ein gutes Zeichen, sagt sie. Und in der „lebenswertesten Stadt im Jahr 2014 zu sein“, müsse man einfach lieben, fügt Kommilitonin Bühring hinzu.
Auch Schulte-Hillen ist begeistert von Südafrika: „Wenn ich jetzt ein Foto schicke, glaubt uns keiner, dass wir hier forschen und arbeiten“, sagt er grinsend. „Aber wenn uns Kapstadt jetzt wirklich eine große Freude machen möchte, erteilt es die schriftliche Aufstellungsgenehmigung für unseren Container lieber heute als morgen“, fügt er noch hinzu. Trotz Sommer, Sonne und Strand ist also noch nicht alles perfekt in Südafrika. Und da kann die Zeppelin Universität in Friedrichshafen dann doch noch einen Vorteil ausspielen: Hier stehen die Container schließlich schon - auch wenn es mit der Aufstellungsgenehmigung tatsächlich auch dort seine Zeit gedauert hat.
Titelbild: Zeppelin Universität / Humboldt-Reisegruppe
Bilder im Text: Zeppelin Universität / Humboldt-Reisegruppe