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Teddy Cruz wurde in Guatemala-Stadt geboren und begann nach seinem Schulabschluss ein Architektur-Studium an Rafael Landivar Universität in Guatemala-Stadt, das er an der California State Polytechnic Universität in San Luis Obispo fortsetzte. Er schloss sein Studium 1997 an der Harvard Universität ab und gründete 2000 das forschungsbasierte Architekturstudio „estudio teddy cruz“ in San Diego. In den folgenden Jahren war er als Associate Professor für Architektur an der Woodbury Universität tätig, wo er sich weiter mit grenzüberschreitender urbaner Dynamik beschäftigte. Derzeit ist er Professor für öffentliche Kultur und Städtebau im Visual Arts Department an der Universität Kalifornien, San Diego, wo er 2010 mit dem städtischen Kurator Kyong Park das Zentrum für städtische Umweltforschung gründete. Aktuell ist er zudem Sonderberater der Stadt San Diego für städtische und öffentliche Initiativen.
Cruz wurde international für seine Stadtforschung in der Grenzregion von Tijuana und San Diego bekannt, an Hand derer er sich mit fortschreitender Immigration, kultureller Produktion Städtepolitik, Wohnraum und Infrastruktur befasste. Cruz lehrte in den vergangenen Jahren an zahlreichen Studios und Universität unter anderem in Havard, Rotterdam, Paris, New York oder Barcelona. Als Redner sprach Cruz an zahlreichen renommierten Kulturinstitutionen einschließlich der Tate Modern in London, dem Museum of Modern Art in Sydney, auf der Kunstbiennale 2013 in Istanbul oder der TED-Global-Konferenz in Edinburgh.
Unter der künstlerischen Leitung von Margit Czenki und Christoph Schäfer gestalteten ZU-Studierende, Dozenten und Mitarbeiter die Container Uni 2012 frei nach ihren Wünschen und Bedürfnissen. Während des Symposiums „[PLATFORMS] of Urban Imagination“ Mitte Oktober bot der temporäre Campus erneut die Möglichkeit, neue Räume zu erproben und das städtische Gefüge neu zu denken. Interdisziplinäre Experten aus den unterschiedlichsten Ecken der Welt diskutierten im Hangar über die Zukunft der Städte in Zeiten einer möglichen Massenkreativität. So traf das Video-Projekt „Russel Market TV“ der indischen Künstlerin Shaina Anand aus Bangalore auf die T-City Friedrichshafen, das vor Ort von Michael Lobeck evaluiert wurde. Prof. Axel Kufus vom Design Reaktor Berlin stellte kreative Potentiale organisierter Zusammenarbeit zwischen Designern und Handwerkern vor. Der Architekt Markus Müller präsentierte sein mit Prof. Dr. Karen van den Berg geplantes Experiment „stadtLabor Friedrichshafen“ und Teddy Cruz aus San Diego erklärte, warum die Grenzregion zwischen Tijuana und San Diego als Mikrokosmos und Laboratorium für die Lösung globaler urbaner Konflikte dienen kann.
Die Grenze zwischen den USA und Mexiko trennt nicht nur zwei Nationen voneinander, sondern gilt auch als „Emblem exklusiver politischer Strategien“, an der sich die imaginäre Grenzlinie zwischen der nördlichen und der südliche Hemisphäre manifestiert. Der Urbanist und Architekt Teddy Cruz, der am Visual Arts Department der University San Diego lehrt, nennt diese Grenzlinie den ‚politischen Äquator’. Sie macht aus San Diego die größte ‚Gated Community’ der Welt, in der eine Kultur der Angst regiert, und forciert informelle, aus der Not geborene Praktiken auf der anderen Seite der Grenzmauer. Die Unterschiede zwischen einer der reichsten Viertel in San Diego und einer der größten informellen Siedlungen Mexikos, Los Laureles Canyon, lassen die Unterschiede zwischen den Nachbarschaften, die doch nur 20 Minuten voneinander entfernt liegen, unüberwindbar erscheinen. Die Gegend repräsentiert die gegenwärtigen Probleme und Konflikte aller urbanen Zentren in der Welt und macht diese sichtbar. Aus diesem Grund dient sie Cruz als Laboratorium, in dem er informelle und kreative Praktiken der Stadtentwicklung auf beiden Seiten der Grenze beobachtet und daraus innovative und nachhaltige Architektur entwickelt, die den sozialen Bedürfnissen der Bewohner entspricht.
Überrascht stellt er fest, dass die Bewohner von Los Laureles nicht mehr benötigte Materialien aus San Diegos Bauindustrie, wie zum Beispiel alte Autoreifen oder Garagentore, zum Häuserbau nutzen. Auch die von Cruz betitelte „Club Sandwich Urbanisierung“ ist eine häufig genutzte und unkonventionelle Praxis: In dicht besiedelten Gegenden stellen Laien-Ingenieure kleine Nachkriegsfertighäuser, die mit LKWs über die Grenze gekarrt werden, auf lange Metallstäbe direkt auf ein bereits existierende Gebäude. „Die besten Ideen entstehen heute aus dem Mangel heraus. Durch das hohe Maß an sozialer und politischer Intelligenz in den marginalisierten Nachbarschaften werden Stätten des Konflikts zu Zentren kollaborativer kreativer Praktiken. Diese informellen Strategien bilden Gegenentwürfe zur Arbeit offizieller Institutionen und fordern die Hierarchie sozioökonomischer Macht heraus“, betont Cruz. Auf US-amerikanischer Seite transformieren Immigranten die Städte, sie verpixeln sie und produzieren inklusive Formen des Wohnens, die zu ihrem Alltag passen. Trotz aller Bewunderung für die informelle Kreativität, lehnt Cruz jede Form des Romantizismus ab, sondern weist darauf hin, dass alle Bottom-up-Prozesse in der Regel nur durch institutionelle Unterstützung nachhaltig implementiert werden können.
Wie entstehen aus Cruz Beobachtungen architektonische Konzepte und Gebäude? Wichtig ist ihm vor allem die Frage, ob Architekten neben Gebäuden auch politische und ökonomische Prozesse, bei denen intelligente institutionelle Prozesse angewandt werden, designen können. „Urbane Pädagogik“ ist das Stichwort. Aus diesem Grund arbeitet er seit über zehn Jahren gemeinsam mit der Non-Profit-Organisation ‚Casa Familiar’, die sich über mehrere Jahrzehnte in der Gegend etablierte, im von Migranten geprägten Stadtviertel San Ysidro an neuen Modellen erschwinglicher und nachhaltiger Wohnungen. Dichte, verstanden als „sozialer Austausch pro Morgen“, dient als Werkzeug für soziale Integration. Die Architekten und Mitarbeiter der NGO arbeiteten gemeinsam mit den Bewohnern des Stadtteils an kollaborativen Wohnungskonzepten. Herzstück der Konzepte sind offene Gemeinschaftsräume, die Platz für kleine Entrepreneur-Projekte oder soziale Initiativen bieten. Junge Familien oder alleinerziehende Mütter bekommen die Möglichkeit, diese Räume zu co-managen. Künstler können umsonst in den Räumen arbeiten, wenn sie im Gegenzug soziale und künstlerische Projekte mit den Bewohnern auszuarbeiten und der Nachbarschaft zu einer neuen Perspektive des Zusammenlebens verhelfen. Leben die Familien in Großfamilien so sind Gemeinschaftsküchen vorgesehen. Gleichzeitig arbeitete Casa Familiar spezifische Formen von Mikrokrediten aus, die die Finanzierung der Wohneinheiten erst möglich machte.
Die Konzepte der postmarxistischen Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe, die auf die agonistische Seite von Öffentlichkeit hinweist, spielen für Cruz eine wichtige Rolle. Interventionen im öffentlichen Raum bedeuten bei Mouffe das Sichtbarmachen institutioneller Macht in Wirtschaft und Politik, um eine neue Form der öffentlichen Debatte zu erzeugen. Wie kann man zu einer solchen gelangen? Die urbanen Entwicklungen in Städten Lateinamerikas wie Curitiba, Porto Alegre, Bogotá und Medellín, in denen progressive Politik und wirtschaftliche Strategien die Infrastruktur, den Wohnungsmarkt und den öffentlichen Nahverkehr transformiert haben und so Alternativen zu neoliberalen Modellen von Urbanisierung boten, inspirieren Cruz besonders. Entscheidend ist hier der Zusammenhang der Ausweitung von öffentlicher Infrastruktur vom Zentrum in die Peripherie mit hohen Investitionen in Bildung und Kultur, als einziger Weg die Gewalt und sozioökonomische Ungleichheit zum Beispiel in Medellín zu bekämpfen. Die Modelle in Kolumbien nahm Cruz als Vorbild für das Civic Innovation Lab, ein institutionalisiertes Think Tank, in dem er nun als Berater des Bürgermeisters von San Diego unter anderem gemeinsam der Politikwissenschaftlerin Fonna Forman mit Initiativen für ziviles Engagement und Nachbarschaftsdesign die Stadtentwicklung in Südkalifornien reformieren will. Für ihn ist klar: „Die Zukunft der Städte heute hängt weniger auf Gebäuden sondern von der fundamentalen Reorganisation sozioökonomischer Beziehungen ab.“
Titelbild: Nicholas Brown / flickr.com (CC BY-NC-SA 2.0)
Bilder im Text: Kordian / flickr.com (CC BY 2.0),
Bysayan Lady / flickr.com (CC BY-NC-SA 2.0),
Dr. EG / flickr.com (CC BY 2.0)
Maurice Schönen | Zeppelin Universität (Bildergalerie)
Beitrag: Caroline Brendel
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm und Alina Zimmermann