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Dr. Martin R. Herbers ist seit September 2012 am Lehrstuhl für Allgemeine Medien- und Kommunikationswissenschaft als Akademischer Mitarbeiter beschäftigt. Zu seinen Arbeits- und Interessensgebieten zählen Phänomene der politischen Öffentlichkeit, politische Unterhaltungskommunikation und visuelle Kommunikation. 2013 schloss er erfolgreich sein Promotionsprojekt zur Produktion politischer Unterhaltungssendungen im deutschen Fernsehen ab.
In den Jahren 2008 bis August 2012 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster auf verschiedenen Positionen und Projekten tätig.
Von 2003 bis 2007 studierte er an der Westfälischen Wilhelms-Universität Kommunikationswissenschaft mit den Nebenfächern Psychologie und Deutsche Philologie.
Wie ist die Idee entstanden, sich wissenschaftlich mit dem Thema Kochsendungen im deutschen Fernsehen zu befassen?
Dr. Martin R. Herbers: Das wissenschaftliche Interesse an Kochsendungen im deutschen Fernsehen ergab sich allein schon aus dem Phänomen, dass egal zu welcher Zeit man den Fernseher einschaltet, irgendwo wird immer irgendwie und irgendwas gekocht. Daraus entwickeln sich dann ziemlich schnell Anschlussfragen: Woher kommt diese „Überversorgung“ mit Kochshows? Was sind die Gründe, die dazu geführt haben, dass genau zu diesem kulturhistorischen Zeitpunkt in Deutschland so viele Kochshows ausgestrahlt werden? Daher haben wir eine kultur- und medienhistorische Fragestellung gewählt: Welche Aspekte des Kochens werden überhaupt präsentiert? Und wie ändert sich diese Darstellung über die Zeit?
Welche Methoden kommen dabei zur Anwendung?
Herbers: Zuerst haben wir festgestellt, welche Kochshows wann im deutschen Fernsehen gelaufen sind. Hierzu haben wir die Fernsehzeitschrift „Hörzu“ im Zeitraum von 1960 bis 2014 herangezogen und mittels Samples die rein quantitative Anzahl dieses Sendeformats erhoben. Die inhaltliche Ebene besonders prominenter Kochsendungen haben wir dann mit Hilfe von Publikationen zu diesen Angeboten erfasst.
Wann sind überhaupt Kochsendungen entstanden und was war deren Inhalt?
Herbers: Zumindest in Deutschland schlägt die Geburtsstunde der Kochshows mit der Sendung „Wilmenrod bittet zu Tisch“ (1953). Clemens Wilmenrod, eigentlich ein Schauspieler und kein Koch, präsentierte einfache Rezepte sehr instruktiv für die „deutsche Hausfrau“. Dies waren klar serviceorientierte Angebote, die darüber hinaus versuchten, mit der Lebensmittelversorgungssituation der 1950er Jahre umzugehen: Der kreative Umgang mit wenigen, manchmal auch knappen Mitteln stand im Fokus – wie übrigens auch im Fernsehen der DDR, wo die Sendung „Der Fernsehkoch empfiehlt“ (1958) den Grundstein legte. Aber auch Exotisches wurde gezeigt: In der Sendung „Herr Tschang kocht Chinesisch“ (1966) wurde dieser Küche ein Forum geboten. Übrigens: Wilmenrod entwickelte seinerseits in diesem Zusammenhang den berühmt-berüchtigten Toast Hawaii.
Wie hat sich in den Anfangsjahren die weitere Entwicklung dieses Sendeformats gestaltet?
Herbers: Insgesamt zeichnete sich die klare Serviceorientierung als bestimmendes Merkmal der Kochsendungen der 1950er und 1960er Jahre aus. Damit verbunden war auch eine klare Kommunikationsstruktur: Der Koch instruierte ein Fernsehpublikum, ohne dass Letzteres größere Möglichkeiten hatte, sich zu artikulieren, etwa durch Nachfragen. Erst mit der Sendung „Lirum larum Löffelstiel“ ab 1974 ändert sich diese kommunikative Struktur. In dieser speziellen Kochshow waren Kinder im Studio anwesend, die mit dem Koch zusammenarbeiteten, ausprobierten und nachhakten. Die Kommunikation war sehr viel dialogischer und damit auch unterhaltender und lockerer.
In den 80er Jahren erfolgte mit dem Aufkommen der Dritten Programme eine stärkere Ausdifferenzierung der Sender. Wie hat sich dies ausgewirkt?
Herbers: Die Dritten Programme brachten einen regionalen Fokus in die Küche ein: Während die bundesweit tätigen Sender ARD und ZDF eher Sendungen boten, die inhaltlich für Zuschauer des gesamten Bundesgebiets interessant waren, gab es in den Dritten Programmen eine klare geografische Zielgruppenverengung. Dabei wurde die regionale Küche auch im regionalen Stil präsentiert, etwa durch Köche, die in Mundart sprachen.
Was hat sich diesbezüglich mit dem Erscheinen der privaten Rundfunksender verändert?
Herbers: Mit dem Aufkommen der privaten Rundfunksender kommt eine neue Präsentationsform im Genre auf: In der Sendung „Komm doch mal in die Küche“ (1984) auf RTL präsentierten etwa die Moderatoren Friederun Köhnen und Horst Tempel nicht nur die Lebensmittelzubereitung, sie zeigten auch, dass Kochen ein hochgradig sozialer und unterhaltender Prozess ist. Sie kochten gemeinsam, unterhielten sich dabei über dies und das und „kabbelten“ sich hin und wieder einmal – wie Freunde in der Küche.
Wie haben sich seither private und öffentlich-rechtliche Sender gegenseitig beeinflusst?
Herbers: In Anlehnung an die in der deutschen Kommunikationswissenschaft diskutierte Konvergenzthese zeigt sich, dass sich die privaten und die öffentlich-rechtlichen Sender in ihren Inhalten wie Präsentationsformen immer weiter angleichen und jeweils die Stärken der anderen Organisationsform übernehmen: Die öffentlich-rechtlichen Kochshows wurden bunter und unterhaltsamer, die privaten informativer, aber auch innovativer in ihren Darstellungsformen.
Welche Formate werden heutzutage ausgestrahlt und was bildet den Kern der meisten Kochsendungen?
Herbers: Man kann sich diesbezüglich der Dichotomie von Information und Unterhaltung bedienen, um die Inhalte der gegenwärtigen Kochsendungen zu beschreiben. Den Kern bilden immer noch die Prozesse der Nahrungsmittelzubereitung – das Was und Wie des Kochens wird immer noch kommuniziert. Der Modus dieser Vermittlung ist aber weniger instruktiv, sondern hochgradig unterhaltend und zugänglich geworden. Während die frühen Fernsehköche nahezu autoritär wirkten und in blitzsauberen Küchen arbeiteten, ist heute eher Lebensnähe das Motto. Die Köche treten kumpelhaft auf, ihr Präsentationsstil ist aufgeschlossen, und in der Küche darf auch mal was danebengehen.
Wie ist die ungemeine Vielfalt zu deuten?
Herbers: Die Vielfalt kann zum einen im Bereich der privaten Rundfunksender als Ausdruck der ökonomischen Orientierung gedeutet werden: Kochsendungen sind ein beliebter Programminhalt, in dessen Umfeld Werbung platziert werden kann. Daher werden mehr Kochsendungen angeboten, um möglichst große Publika zu erreichen und somit viel Werbung schalten zu können. Daneben kann das breite Spektrum an Kochsendungen über alle Sender hinweg als Ausdruck einer differenzierten Gesellschaft gesehen werden, in der kulinarische Lebensstile vielfältig sind und dies in einem entsprechenden Angebot reflektiert wird.
Gibt es eine Erklärung dafür, warum Kochshows in der Gesellschaft so beliebt sind?
Herbers: Zweierlei Gründe sind hier zu nennen. Einerseits ist der Prozess des Kochens beziehungsweise der Nahrungsmittelzubereitung generell etwas, das jeder von uns kennt und mit dem wir bestimmte, meist positive Assoziationen verbinden. Kochen hat etwas zu tun mit Heimeligkeit, mit Vorfreude, ist immer auch mit einer gewissen Lebenslust verknüpft, die bei der Rezeption der Sendung quasi nacherlebt wird. Andererseits ist zu sehen, dass Kochshows auch – medienpsychologisch begründet – aus parasozialen Beziehungen heraus rezipiert werden. Das bedeutet, dass eine bestimmte Sendung deswegen eingeschaltet wird, weil man eine bestimmte Köchin oder einen bestimmten Koch sympathisch findet und ihr oder ihm deswegen gerne bei der Arbeit zuschaut.
Lassen sich gesellschaftliche Prozesse an Kochsendungen ablesen? Können Sie einige Beispiele nennen?
Herbers: Gegenwärtig wird deutlich, dass in der deutschen Gesellschaft ein bewusster Umgang mit Lebensmitteln vorherrscht – dies zeigt sich nicht nur in Fragen der Zubereitung, sondern auch in Kontexten von Nahrungsmitteln: Woher kommen sie? Wie werden sie hergestellt? Diese und weitere Fragen beschäftigen die Menschen. Dies wird in den Shows reflektiert, wenn etwa bewusst mit Bio-Lebensmitteln gekocht wird. Ebenso werden kulinarische Lebensstile wie Veganismus repräsentiert. Kochsendungen, in denen gezeigt wird, wie Restaurants gegründet und optimiert werden, können aber auch Ausdruck der gesellschaftlichen Gegenwart sein: Kochen als Start-up.
Eine letzte persönliche Frage: Schauen Sie auch privat gerne Kochshows?
Herbers: Aber sicher doch! Nicht nur aus rein fachlichem Interesse, sondern auch als begeisterter Hobbykoch.
Titelbild: Matthias Weinberger / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
Bilder im Text: JaBB / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0) ,
„Kuechenschlacht Studio“ von Michail Jungierek - Eigenes Werk.
Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons,
By Udo Grimberg (Own work Udo Grimberg)
[CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm und Alina Zimmermann