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Sigfried Eisenmeier studiert im sechsten Semester an der ZU Sociology, Politics & Economics (SPE). Die Forschungsreise nach Peru fand im Rahmen seines Humboldt-Jahres statt. Es war aber nicht sein erster Aufenthalt dort. Von 2010 bis 2011 arbeitete er ehrenamtlich bei der Asosiación Cultural Arpegio, einer Non-Profit-Organisation, die sich in Peru um die Steigerung der Lebensqualität bemüht.
Die Reise zu seinem Ziel muss anstrengend gewesen sein. Von der Hauptstadt Lima mit einem kleinen Bus vom Pazifik weg in Richtung Osten des Landes. Ziel: die Region Tarma. Das bedeutet: einmal quer über die Anden reisen. Auf einem kleinen Pass hinauf auf 4.5oo Höhenmeter. Und dann wieder hinunter. Eine Reise in eine andere Welt. „Da herrscht tropisches Klima, fast schon Regenwald, und da wachsen Zitrusfrüchte, Ananas, Mangos und Bananen“, erzählt Sigfried Eisenmeier, der für sein Projekt mit einem deutschen Handelsunternehmen zusammen arbeitet. Die Frage, der er in diesem entlegenen Winkel Perus nachgeht, ist: Wie lassen sich die einkommensschwachen peruanischen Bauern erfolgreich in eine internationale Wertschöpfungskette integrieren? Sein Forschungsanliegen ist ihm nicht einfach zugeflogen. Es hat Monate gedauert, bis der SPE-Student es in Absprache mit dem Kooperationspartner und seinem Betreuer an der ZU, Tim Weiss, akademischer Mitarbeiter am Civil Society Center, entwickelt hatte.
Dem deutschen Handelsunternehmen brannte vor allem die Frage unter den Nägeln, wie es hierzulande tropische Früchte bzw. ein Fruchtpüree in bestmöglicher Qualität anbieten kann. Werden Ananas und Co. frisch nach Deutschland importiert, bedeutet das, dass sie im Moment der Export- und nicht im Moment der Genussreife geerntet werden. Die Frucht reift im Container, statt ihre Güte in der tropischen Sonne zu entfalten. Das mindert die Qualität. Die Idee, die das Unternehmen gemeinsam mit dem ZU-Studenten entwickelte, war also: die Früchte erst zum Zeitpunkt der perfekten Reife ernten und direkt vor Ort verarbeiten. Dieser Prozess optimiert die Produkt-Qualität, bietet darüber hinaus aber noch weitere Vorteile: So können Transportkosten gespart werden und die organischen Reste wie Kerne und Schalen, die bei der Verarbeitung anfallen, bleiben in ihrem Herkunftsland, bleiben Teil des biologischen Kreislaufs, während sie in Deutschland auf dem Müll landen würden.
Bei der Frage nach der Vor-Ort-Verarbeitung spielen jedoch nicht nur ökonomische, sondern insbesondere auch gesellschaftliche Aspekte eine Rolle. Und die interessieren Eisenmeier: „Wie können wir vermeiden, dass wir die Primärressource Frucht aus dem globalen Süden wegschaffen und die Wertschöpfung im globalen Norden stattfinden lassen? Wenn wir vor Ort produzieren, können wir Arbeitsplätze schaffen und das Einkommen in der Region steigern.“ Mit dieser Frage lenkt Eisenmeier auf das theoretische Grundgerüst seines Projekts. „Base of the Pyramid“, kurz BoP, heißt der Ansatz, der vernachlässigte Bevölkerungsschichten in unternehmerische Wertschöpfungsketten einbinden soll. „Base of the Pyramid“ steht dabei für den untersten Teil der Welteinkommenspyramide – für etwa vier Milliarden Menschen, die unter der Armutsgrenze leben. Diese Menschen, so der klassische BoP-Ansatz, wurden von den "multinational companies" (MNCs) bisher noch überhaupt nicht beachtet - ein großer, unerschlossener Markt. Durch Produkt- und Prozessinnovationen sollte es den MNCs, so die Theorie, möglich sein, mehr Gewinn zu machen und gleichzeitig die Armut am BoP zu bekämpfen, in dem passende Produkte verkauft werden. Die vier Milliarden Menschen werden als Konsumenten gesehen, die nur darauf warten, dass für sie passende Produkte angeboten werden – in günstigeren, kleineren Verpackungen etwa, die sich ab und zu auch die Ärmsten der Armen leisten können. Dieser klassische Ansatz wurde heftig kritisiert und daraufhin weiterentwickelt. „Im Gegensatz zum klassischen BoP-Ansatz, die den Menschen lediglich als Konsumenten versteht, beinhaltet der BoP-2.0-Ansatz, dass wir Menschen als Partner, Unternehmer, Produzenten und Lieferanten in Wertschöpfungsketten integrieren“, erklärt Eisenmeier. Unternehmen können durch Zusammenarbeit mit dem BoP kompetitive Vorteile schaffen, während gleichzeitig die Armut am BoP bekämpft wird.
Damit die peruanischen Obst-Bauern langfristig nicht mehr am Fuße der Einkommenspyramide stehen, begibt sich Sigfried Eisenmeier im Herbst 2014 zwar nicht an den Fuß, aber ans Knie der nordöstlichen Anden. Vor Ort wartet viel Arbeit auf ihn. Seine Forschungsfrage hat er mittlerweile konkretisiert. Sie lautet: Welche Rolle spielt Vertrauen, wenn es darum geht, Produzenten am BoP und Unternehmen zusammenzubringen? Sein Forschungsdesign: eine explorative Fallstudie. Eisenmeier spricht mit Bauern, peruanischen Unternehmern, Zwischenhändlern und Regierungsvertretern, die für Agrar-Subventionen zuständig sind. Mit allen führt er Leitfaden-Interviews und group discussions durch, insgesamt 27. Dazu kommen teilnehmende Beobachtungen und viele Memos. Per Telefon oder Email lassen sich die Daten in diesem Fall nicht sammeln. Tarma ist eine kleine, arme Provinz, weitab von der Hauptstadt Lima. Und so macht sich der SPE-Student zu Fuß auf den Weg, um seine Informationsquellen zu finden. Obwohl er nicht weiß, wie die Bevölkerung auf ihn reagiert, lässt er sich nicht entmutigen, klappert die Dörfer ab, stapft über die Felder und führt dort auch teilweise seine Interviews durch. Ein bisschen abenteuerlich ist das schon, aber Abenteuer gehört zu jeder Reise und auch zu jedem Forschungsprojekt, findet Eisenmeier, der ohne seine Spanischkenntnisse aufgeschmissen gewesen wäre.
Nach und nach macht er eine wirklich wichtige Entdeckung: Die Menschen vor Ort in Tarma sind misstrauisch. Insbesondere, was Kooperationen mit Unternehmen angeht, und insbesondere bei ausländischen Unternehmen. Doch das ist nicht alles: „Was eigentlich relevant ist für meine Arbeit: Die Bauern vertrauen noch nicht mal ihrem eigenen Nachbarn. Dieser Mangel an Vertrauen führt dazu, dass sich die Menschen untereinander nicht organisieren. Es gibt keine Formen der Kooperation. Jeder arbeitet vor sich hin und jeder bringt seine Früchte auf den lokalen Markt, um sie zu verkaufen. Das macht es natürlich schwer für Unternehmen, die in dieser Region erfolgreiche Handelsbeziehungen aufbauen wollen. Für ein Unternehmen ist es ein bedeutsamer Unterschied, ob es mit 20 Produzenten, die sich zusammengeschlossen haben, oder mit 20 einzelnen Produzenten zusammenarbeitet. Wir sollten uns also fragen, ob das geringe gegenseitige Vertrauen der Bauern in diesem Sinne nicht sogar ein Entwicklungshemmnis darstellt.“
Alkoholismus, Terrorismus, Eroberungen
Die Sache mit dem fehlenden Vertrauen lässt Sigfried Eisenmeier nicht los. Er macht sich auf die Suche nach den Ursachen und findet mehrere: Manche seiner Interviewpartner verweisen auf das Leben in Armut, das in die Kriminalität zwinge. Und wer klaut und betrügt, dem vertraut man nicht. Andere machen den weit verbreiteten Alkoholismus in der Gegend für das mangelnde Vertrauen verantwortlich. Wo Alkohol präsent sei, würden moralische Werte verloren gehen. Man betrügt einander, bis schließlich jedes Vertrauen abhanden gekommen ist. Weitere Gründe liefern die von Eisenmeier befragten Regierungsvertreter: Sie führen vor allem historische und politische Gründe für das verbreitete Misstrauen an. Die große Landreform unter General Velasco, Perus Machthaber von 1968 bis 1975. Oder die linksgerichtete Guerilla „Sendero Luminoso“ („Leuchtender Pfad“) zum Beispiel, die bis heute auf der EU-Liste der Terrororganisationen steht. Sie sorgte vor allem in den 1980er Jahren für bürgerkriegsähnlichen Zustände. Tausende Menschen aus der Landbevölkerung ließen bei den Kämpfen zwischen Terroristen und Militär ihr Leben. Man könnte aber auch noch viel weiter in die Geschichte Perus zurückblicken, erzählt Eisenmeier: Immerhin wurde die peruanische Urbevölkerung schon zwei Mal brutal erobert: zuerst von den Inka, dann von den Spaniern.
Die Feldforschung hat Eisenmeier gefallen, das hört man ihm an, wenn er von seinen Erfahrungen spricht. Zwei Monate hat er für sein Projekt in Peru verbracht. Die Strapazen langer Wanderungen und ungemütlicher Busfahrten sind jetzt allerdings erst einmal vorbei. An den Bodensee ist Eisenmeier zwar noch nicht zurückgekehrt, doch Peru hat er bereits im Dezember verlassen. Momentan verbringt er ein Auslandssemester in Berkeley (USA).
Und was ist mit dem Smoothie?
Zurück zur Ausgangssituation: Wird es demnächst einen in Peru hergestellten Smoothie geben? Bis es so weit ist, könne es noch eine Weile dauern, schätzt Eisenmeier. Trotzdem aber hat der SPE-Student einen Beitrag geleistet, damit irgendwann in Zukunft vielleicht die Wertschöpfung eines Fruchtpürees vor Ort stattfinden kann. Bis dahin müssen die Menschen aus Tarma, dieser abgelegenen Region in Peru, weiterhin jeden Tag um ihr Überleben kämpfen.
Titelbild: Maria Tzankow / ZU
Bilder im Text: Sigfried Eisenmeier / ZU