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Seit 2009 leitet Prof. Dr. Marcel Tyrell das Buchanan Institut für Unternehmer- und Finanzwissenschaften an der Zeppelin Universität. Vorher lehrte er unter anderem an der Universität Frankfurt, der University of Pennsylvania und der European Business School. Schwerpunktmäßig forscht er zu Veränderungen von Finanzsystemstrukturen, mikro- und makroökonomischen Auswirkungen von Finanzkrisen und der Verschuldungsdynamik von Volkswirtschaften.
Was wird beim Stresstest der Europäischen Bankenaufsicht EBA genau überprüft?
Prof. Dr. Marcel Tyrell: Beim Banken-Stresstest wird überprüft, welche Eigenkapitalpositionen der Banken sich ergeben, wenn eine drei Jahre währende schwere Rezession die europäische Volkswirtschaft treffen würde. Dabei schaut man sich an, wie sich über den Dreijahreshorizont die Bilanzpositionen der Banken entwickeln, wenn im Krisenszenario Aktiva und Passiva mit Fälligkeit durch vergleichbare Finanzinstrumente ersetzt werden müssen. Damit wird unterstellt, dass sich das Geschäftsmodell der Kreditinstitute im Stresstesthorizont nicht verändert. Die sich dabei ergebende Kernkapitalquote ist der Puffer, den die Banken als Eigenkapital dann noch zur Verfügung haben.
Die 51 untersuchten Geldhäuser haben sich überwiegend als krisenfest erwiesen. Müssen wir uns jetzt also gar keine Sorgen mehr machen über die europäischen Banken?
Tyrell: Doch, wir müssen uns weiterhin Sorgen machen. Das zeigt sich an der schlechten Kursentwicklung von Bankaktien in den Tagen nach der Bekanntgabe der Stresstestergebnisse. Europas Großbanken sind, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung tituliert, im Niedergang und die Aktien befinden sich weiter im freien Fall. So hat zum Beispiel die Deutsche Bank seit Jahresbeginn fast 50 Prozent seines Börsenwertes verloren, und auch die Commerzbank büßte in diesem Zeitraum immerhin 44 Prozent ein. Aber auch bei anderen Großbanken sieht es kaum besser aus: So verlor die Credit Suisse ebenfalls fast 50 Prozent und die italienische Großbank Unicredit sogar mehr als 60 Prozent ihres Börsenwertes.
Wie beurteilen Sie darüber hinaus die Ergebnisse der groß angelegten Bankenanalyse?
Tyrell: Sie zeigen in erster Linie, dass gerade die Großbanken in Europa sich weiterhin in einem sehr fragilen Zustand befinden. Die Ergebnisse haben nicht beruhigend auf die Märkte gewirkt, sondern eher zu einer weiteren Verunsicherung beigetragen. Deshalb reagieren die Börsen so enttäuscht auf den Banken-Stresstest. Ich kann das nachvollziehen. Mit der Veröffentlichung dieser Ergebnisse kann keine Entwarnung für den Bankensektor gegeben werden.
Experten monieren, dass bei dem Stresstest die anhaltende Niedrigzinsphase schlichtweg ignoriert wird. Wie berechtigt ist die Kritik?
Tyrell: Die Kritik ist berechtigt. Das latente Risiko einer lang anhaltenden Niedrigzinsphase ist nicht entsprechend berücksichtigt worden. Den Banken brechen aber dadurch die Gewinne weg, und viele Banken können ihr Geschäftsmodell nicht entsprechend adjustieren. Noch entscheidender ist meiner Meinung nach allerdings, dass die Kernkapitalquote im Stresstest aus dem Verhältnis von Eigenkapital zu risikogewichteten Assets berechnet wird. Sehr viel relevanter ist meines Erachtens jedoch die sogenannte „Leverage Ratio“, also das Eigenkapital im Verhältnis zur Bilanzsumme. Wenn sie diese Kennzahl heranziehen, dann stellt sich heraus, wie Kollegen von mir errechnet haben, dass nicht nur die italienische Bank Monte dei Paschi di Siena im Stressszenario einen zusätzlichen Kapitalbedarf hat, sondern insgesamt 29 Banken. Und der Gesamtkapitalbedarf beträgt dann nicht 5,6 Milliarden, sondern knapp 129 Milliarden Euro.
Zu den Verlierern des Stresstests gehören mit der Deutschen Bank und der Commerzbank auch zwei deutsche Finanzinstitute. Welche Schwächen hat der Stresstest diesbezüglich offengelegt?
Tyrell: Zusätzlich zu allen anderen Problemen, die ich weiter oben schon dargelegt habe, kommen insbesondere bei der Deutschen Bank noch die operationellen Risiken hinzu, die Fehlverhalten von Bankmitarbeitern abdecken sollen. Hier haben die Rückstellungen, welche die Bank für Rechtsrisiken bilden musste, zusätzlich negativ im Stresstest zu Buche geschlagen. Grundsätzlich muss man jedoch konstatieren, dass gerade die deutschen Großbanken auch im europäischen Vergleich nicht besonders gut aufgestellt sind.
Warum erfolgt die Veröffentlichung an einem späten Freitagabend um 22 Uhr?
Tyrell: Man wollte damit einer Beunruhigung der Märkte vorbeugen. Eine Abkühlphase am Wochenende ohne Handelsgeschehen kann Panikreaktionen vermeiden helfen. Insbesondere wusste man ja im Vorhinein nicht, wie der Stresstest ausfallen würde.
Für wie wichtig und sinnvoll erachten Sie den Banken-Stresstest? Was ist Ihre persönliche Einschätzung?
Tyrell: Der Banken-Stresstest könnte ein wichtiges Instrument sein. Aber dann darf er zum einen nicht so aufgesetzt sein, dass er letztendlich den Bankensektor doch schont. Zum anderen müssten Konsequenzen folgen: Die regulatorischen Kapitalanforderungen müssten verstärkt und von den Aufsehern umgesetzt werden. So lange das nicht passiert, kann man sich die ganze Sache auch sparen.
Titelbild:
| Bernard Golbach / flickr.com (CC BY 2.0)
Bilder im Text:
| harrivicknarajah0 / pixabay.com (CC0 Public Domain)
| Nico Trinkhaus / Commerzbank Tower and the Skyline of the Old Town of Frankfurt am Main, Germany (CC BY-NC 2.0)
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm