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Einen Ausstieg hat Roland Hipp schon hinter sich gebracht, sich auf seine Fahnen geschrieben: Den Ausstieg aus der Atomenergie nach dem Unfall in Fukushima. Hipp, Erster Geschäftsführer bei Greenpeace Deutschland, findet es noch immer bemerkenswert, dass die Bundesregierung 2011 genau die Kraftwerke abgeschaltet hat, gegen die Greenpeace schon länger wegen Sicherheitsmängeln geklagt hatte. Atomkraft ist das Thema für Hipp. Der gebürtige Baden-Württemberger setzte sich schon als Campaigner und Bereichsleiter für das Ende der Atomkraft ein. So untersuchte er an den atomaren Wiederaufbereitungsanlagen im französischen La Hague und britischen Sellafield die Strahlung im Meer, in Böden, Pflanzen und Häusern der Anwohner. Er leitete 1995 in Deutschland auch die erfolgreiche Kampagne gegen Shell und die drohende Versenkung der ausgedienten Ölplattform Brent Spar in der Nordsee. Energie wird für Hipp eine zentrale Aufgabe bleiben: „Bei der Energiewende wird Greenpeace am Ball bleiben. Das letzte Atomkraftwerk in Deutschland soll so schnell wie möglich und danach das letzte Kohlekraftwerk rechtzeitig abgeschaltet werden.“
Roland Hipp strahlt. „Natürlich mag ich Schokolade“, sagt er und blickt verschmitzt auf den kleinen Bauchansatz unter seinem Hemd, als er einen Schokoladen-Zeppelin als Gastgeschenk vom studentischen Club of International Politics in die Hand gedrückt bekommt. Das schwarze Sakko sitzt, die Haare kurz geschnitten – ein äußerlicher Muster-Öko-Aktivist hat mit Hipp nicht den Weg an die Friedrichshafener Zeppelin Universität gefunden. Als er seine Leidenschaft für den Umweltschutz entdeckte, stand Hipp selbst noch an vorderster Front – heute wirft er sich nicht mehr vor den Atommülltransport, sondern lenkt als erster Geschäftsführer die Geschicke des deutschen Ablegers der Nichtregierungsorganisation Greenpeace.
Sich an Gleise zu ketten, wäre 2017 wahrscheinlich ohnehin vergebens, denn die Zeit sichtbarer Umweltverschmutzung sei vorbei. „Wenn wir mit unseren Booten über den Rhein gefahren sind und schmutziges Abwasser entdeckt haben, dann haben wir die Rohre einfach an die Oberfläche gezogen und bewiesen, dass die Industrie dort ihre Abwässer in die Flüsse leitet.“ Schon 1983 kam Hipp zu Greenpeace, aus seiner ehrenamtlichen Arbeit wurde 1991 eine Festanstellung, der Aufstieg vom Kampagnenerfinder zum Bereichsleiter endete 2002 in der Geschäftsführung. „Ich hatte es mir damals zur Aufgabe gemacht, nach den berühmten Castoren zu suchen – in einer Zeit, in der hoch giftiger, radioaktiver Abfall noch einfach so kreuz und quer durch Deutschland gefahren wurde.“ Während Greenpeace damals mit Sitzblockaden von sich reden machte, testet die Organisation heute Lebensmittel, um den Einsatz von Pestiziden nachzuweisen.
Auch Hipp hat sich seitdem verändert – als geschäftsführender Vorstand wurde aus dem aktiven Kämpfer ein Lenker. Greenpeace Deutschland zählt mehr als 270 Mitarbeiter, ist der größte Landesableger weltweit. Hipp verwaltet 590.000 Fördermitglieder und 56 Millionen Euro Budget pro Jahr. Seinen Kampfgeist hat er dabei nicht verloren, die inhaltliche Arbeit steht für ihn noch immer an oberster Stelle: „Unsere zwei wichtigsten Themen sind Klimawandel und Artenschutz. Wir wollen alles dafür geben, den weltweiten Temperaturanstieg unter 1,5 Grad zu halten. 86 Prozent der Artenschwunds entstehen durch Menschenhand – durch Überfischung, Rohdung, Industrien. Unsere Lebensgrundlagen zu erhalten, bevor es zu spät ist, ist unsere tägliche Arbeit.“
Vor allem den Klimawandel stilisiert Hipp vom Umwelt- zum Zivilisationsproblem. Wenn über Klimaverträge verhandelt werde, dann gehöre die ganze Regierung mit an den Tisch. Hipp will zeigen: „Der Klimawandel wird unsere ganze Zivilisation beeinträchtigen, wenn wir ihn nicht aufhalten. Und das können wir nicht mit reiner Technik schaffen, sondern nur mit großen Veränderungen in Bereichen wie Landwirtschaft oder Mobilität.“ Für Hipp ist klar, dass Umweltschutz kein Nischenthema mehr sein dürfe. Zu oft werde die Umwelt zugunsten von Arbeitsplätzen, Wirtschaftswachstum und Finanzpolitik beiseite gestellt.
Hipp will das Thema deshalb im Alltag sichtbar machen, streicht über sein eigenes Sakko, schaut in die Runde: „Wollen wir wirklich jeden Modezyklus mitmachen? Brauchen wir wirklich immer das neueste Elektrogerät? Können wir auf Flüge und Autofahrten verzichten?“ Bei jungen Menschen, bei denen sich Smartphone an Smartphone, H&M-Kollektion an Primark-Shopping-Rausch reiht, wird es Hipp mit solchen Forderungen schwer haben. Dennoch ist er überzeugt: „Wenn alle minimalistischen Veränderungen im Alltag zusammenkommen, kann das unglaublich viel bewegen. Drehen Sie mal wieder die Heizung runter, kopieren Sie den Text für Ihr nächstes Seminar doppelseitig“, ruft Hipp den Studierenden zu. Doch während niedrige Heizkosten den eigenen Geldbeutel schonen, muss man sich viele andere Beiträge zum Umweltschutz auch leisten können: Wer morgens Fair-Trade-Kaffee schlürft, nachdem er in sein Outfit aus umweltverträglicher Baumwolle geschlüpft ist, zahlt drauf. „Der Staat und die Gesellschaft geben momentan demjenigen Geld, der sich umweltschädlich verhält“, kontert Hipp. „Der Kauf von Diesel wird vom Staat mit sieben Milliarden Euro pro Jahr subventioniert. Würde man dieses Geld in Mobilität investieren, könnte man in einem Jahr alle deutschen Busse auf Elektroantrieb umrüsten. Mit diesem Geld könnten wir also öffentlichen Nahverkehr subventionieren und neue Infrastrukturen in Städten schaffen. Umweltgerechtes Verhalten ist momentan nur teuer, weil umweltschädliches Verhalten subventioniert wird“, wettert Hipp.
Besonders die Zukunft der Mobilität liegt Hipp am Herzen. „Als ich in Hamburg gearbeitet habe, bin ich vier Jahre lang jeden Morgen mit dem Auto zum Dienst gefahren. Ich war überzeugt, dass ich so flexibler, schneller, erreichbarer bin. Irgendwann bin ich dann mal mit dem Zug gefahren, seitdem sehe ich beim Autofahren zwei tote Hände vor mir. Wer selbst fährt, der kann nichts anderes tun, als nach vorne zu schauen. In Zügen und Bussen kann ich essen, trinken, Filme schauen, habe sogar zunehmend Zugang zu WLAN-Netzwerken“, erzählt Hipp. Wer Menschen überzeugen will, müsse ihnen persönlich die positiven Seiten der Veränderung aufzeigen. „Ich bin heute übrigens mit dem Bus gekommen“, streut Hipp ein paar Minuten später fast zufällig ein – die kleinen Tricks der Kampagnenarbeit hat er auch nach 15 Jahren in der Geschäftsführung nicht verlernt. Das Auto aus dem Stadtbild verbannen will Hipp trotzdem nicht – über neue Innovationen von Carsharing bis zum Chauffeurdienst Uber freut er sich: „Diese Entwicklungen sind sehr positiv zu bewerten. Es ist ein wichtiger Schritt, dass Autos nicht mehr Statussymbol, sondern Gebrauchsgegenstand sind. Wir sollten viel mehr Produkte miteinander teilen und ressourcenschonend nutzen.“
Doch wer zur billigen Taxialternative greift, weniger Autos kauft und damit die Produktion ausbremst, der schützt nicht nur die Umwelt – er setzt auch viele sozialgesellschaftliche Prozesse in Bewegung, die Arbeitsplätze oder sogar ganze Industriezweige gefährden. Hipp räumt ein, dass Umweltschutz auch Veränderungen in der Arbeitswelt bedeutet: „Wenn die Atomkraftwerke abgeschaltet werden, dann werden diese Jobs definitiv wegfallen. Gleichzeitig haben wir im Bereich der erneuerbaren Energien 350.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Wir müssen uns langfristig überlegen, wie wir beispielsweise mit dem Ende der Braunkohleförderung umgehen wollen. Allein in der Lausitz hängen daran noch immer 8.000 Jobs.“
Wo Greenpeace den Finger in die Wunde legt, sieht Hipp die Politik in der Pflicht, schlussendlich die richtigen Stellschrauben zu drehen. Dass Umweltschutz mit politischer Rückendeckung schnell vorankommen kann, rechnet Hipp selbst vor: „1999 habe ich Greenpeace Energy gegründet, einen großen Verteiler für Öko-Strom in Deutschland. Als wir 2003 die erste Solaranlage gebaut haben, hat eine Kilowattstunde Solarstrom noch 50 Cent gekostet. Heute ist man mit 19 Cent dabei.“ Die Nutzung der richtigen Steuerelemente sei entscheidend, 57 Milliarden Euro für umweltschädliche Subventionen auszugeben der falsche Weg.
Hipp wird nicht müde, die Dringlichkeit seiner Worte zu betonen: „Laut unserer Satzung kämpfen wir für die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen – und das tun wir wirklich jeden Tag. Wenn der Klimawandel einmal ein bestimmtes Ausmaß erreicht hat, dann werden wir das nicht mehr mit Geld verändern können. Jede Art, die wir ausrotten, können wir nicht mit einem Scheck wiederbeleben. Wir leben auf einem Planeten, der uns ernährt, der uns Leben ermöglicht. Die Natur braucht den Menschen nicht, und wenn ganze Inseln im Meer verschwinden, dann haben wir das Problem. Die Natur kann auch ohne Homo Sapiens auskommen.“
Das Szenario, das Hipp nach allen Fortschrittsgedanken skizziert, klingt nun nach dem direkten Rückweg in die Steinzeit. Doch in seinem Schlussplädoyer betont Hipp, dass Umweltschutz nur über großen Fortschritt und umweltfreundliche Innovationen funktionieren kann. Hipps Vorstellung von einer gerechten Umwelt schaut nach vorne und klammert sich nicht an die gute alte Zeit von Castor-Transporten und Sitzblockaden. „Wir wollen die Menschen nicht zurück ans Lagerfeuer führen“, verspricht er am Ende seines Besuches. Kein Wunder, dort würde ein schmackhafter Schokoladen-Zeppelin auch nur halb so gut schmecken.
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Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm