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Michael Pfefferle ist ZU-Alumnus und Träger des Best Master Thesis Awards. Vor seinem Studium an der Zeppelin Universität studierte er an den Universitäten Freiburg und Waterloo (Kanada) Politikwissenschaft und Betriebswirtschaftslehre. Während seines Masterstudiums der Politik- und Verwaltungswissenschaft an der ZU und der University of Tasmania (Australien) beschäftigte es sich insbesondere mit der Modernisierung öffentlicher Verwaltung und politischen Steuerungssystemen.
Was war der Hintergrund Deiner Thesis?
Michael Pfefferle: Zur Erbringung von Leistungen im Rahmen der Daseinsvorsorge greifen Städte und Kommunen häufig auf öffentliche Unternehmen oder gar teil-privatisierte Unternehmen zurück. Ein Beispiel hierfür ist der Frankfurter Flughafen FRAPORT, der zwar in einer Aktiengesellschaft organisiert ist, aber auch zu zwei Dritteln der öffentlichen Hand gehört. Zum Teil bestehen aber auch Beteiligungen, nur um Gewinne zu erwirtschaften – wie es bei der staatlichen Brauerei Rothaus und dem Land Baden-Württemberg der Fall ist. Auf kommunaler Ebene bestehen heute vielfältige Beteiligungen an überregionalen Verkehrsbetrieben oder Zweckverbänden. So kommt es, dass beispielsweise die Stadt Freiburg Beteiligungen an 32 Unternehmen und vier Zweckverbänden sowie fünf Eigenbetriebe unterhält, die es zu überwachen und mitzugestalten gilt.
Du hast Deine Masterarbeit „Dekonstruktion eines Mythos“ getauft. Das ist beileibe kein geringer Anspruch. Was hat es denn mit dem Mythos überhaupt auf sich?
Pfefferle: Die Organisationssoziologen John W. Meyer und Brian Rowan von der Standford University beschreiben in einem 1977 erschienenen Artikel die Beobachtung, dass sich viele Organisationen nach und nach in ihren Strukturen angleichen. Als „Mythos“ beschreiben sie nun formelle Strukturen, die Organisationen aus ihrem Umfeld übernehmen, um Legitimität und Anerkennung zu erreichen und nicht um zwingend ihre Effizienz zu steigern. Das können Prozesse, Strukturen oder Managementmethoden sein. In meiner Masterthesis ging ich nun zwei Fragen nach: Warum adaptieren Kommunen nach und nach Kodizes als Regelwerk der freiwilligen Selbstregulierung? Und wie entfaltet dieser „Mythos Kodex“ seine Steuerungswirkung?
Du sagst, dass Public Corporate Governance Kodizes zunehmend als Reaktion auf Steuerungsdefizite in öffentlichen Unternehmen adaptiert werden. Welche Defizite lassen sich denn überhaupt beobachten?
Pfefferle: Wird von Steuerungsdefiziten in öffentlichen Unternehmen gesprochen, so fallen den meisten Menschen öffentliche Infrastrukturprojekte wie der Berliner Flughafen BER ein, an dem neben dem Bund die Länder Berlin und Brandenburg beteiligt sind. Überregional bekannt geworden sind auch grobe Managementfehler bei der HSH Nordbank oder der Berliner Bank AG, bei der öffentliche Kontrollgremien versagten. Bei all diesen Fällen ist von Bedeutung, dass das Missmanagement öffentlicher Unternehmen uns alle als Bürger, Teilhaber oder Kunde betrifft. Entweder, weil ein öffentliches Unternehmen dann seiner Aufgabe nicht vollständig nachkommt und zum Beispiel den öffentlichen Nahverkehr nicht adäquat unterhält, oder, weil Managementfehler erhebliche Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte haben. Steuerungsdefizite bestehen also dann, wenn öffentliche Gremien und die kommunale Verwaltung ihre Kontrollfunktion nur unzureichend wahrnehmen. Das sind gewählte Gemeinderatsmitglieder, die in Aufsichtsräte entsandt werden, und die öffentliche Verwaltung, für die ein professionelles Beteiligungsmanagement daher immer wichtiger wird.
Wieso hast Du dich in deiner Masterarbeit explizit auf Stadtwerke als kommunale Unternehmen bezogen?
Pfefferle: Eine Vielzahl kommunaler Unternehmen wirtschaftet defizitär und ist kaum rentabel zu führen, dies gilt insbesondere für den öffentlichen Nahverkehr oder auch Schwimmbäder. Bei kommunalen Energieversorgungsunternehmen, kurz Stadtwerke, ist dies aber häufig nicht der Fall. Diese werfen hohe Gewinne ab, und viele Kommunen sind auf ihre Stadtwerke finanziell angewiesen.
Aus historischer Betrachtung sind Stadtwerke sehr kommunal verwurzelte Unternehmen, häufig mehr als 100 Jahre alt und galten lange lediglich als biederes Anhängsel der Kommunalverwaltung. Heute agieren diese jedoch in einem hoch kompetitiven und hoch regulierten europaweiten Energiemarkt – und sind dabei häufig sehr erfolgreich. Zudem agieren diese in einer Zwitterposition als Wirtschaftssubjekte im Wettbewerb bei gleichzeitiger öffentlich-rechtlicher Kontrolle, weshalb sie auch „Wettbewerber mit Fußfesseln“ genannt werden. Diese Gegensätze machen Stadtwerke zu einem interessanten Untersuchungsgegenstand.
Und wie können solche Kodizes dabei helfen, die Defizite zu beseitigen? Papier ist schließlich geduldig.
Pfefferle: An dieser Stelle sollte betont werden, was der Kodex als Steuerungsinstrument darstellt: Eine freiwillige Selbstverpflichtung ohne Sanktionen. Kodizes enthalten daher normalerweise Regelungen zu Informations- und Offenlegungspflichten sowie Regeln zur Zusammenarbeit zwischen Geschäftsführung und Aufsichtsrat. Häufig werden schlicht bekannte Managementgrundsätze oder Normen wiederholt, die bereits im Aktiengesetz oder der Gemeindeordnung stehen. Dabei kann ein Kodex bei der Steuerung und Überwachung öffentlicher Unternehmen unterschiedliche Funktionen haben. Er kann eine Ordnungsfunktion haben, indem detailliert Berichtspflichten benannt werden. Er kann eine Ethisierungsfunktion haben, in dem normative Standards zu Interessenkonflikten für die Geschäftsführung benannt werden. Von Bedeutung ist allerdings, dass in vielen Städten sowohl Unternehmen, Verwaltung und Aufsichtsrat an der Erarbeitung des Kodex beteiligt sind. In vielen Fällen schafft der Kodex somit einen Rahmen, in dem sich Geschäftsführung, Gemeinde- beziehungsweise Aufsichtsrat und Verwaltung erstmals gemeinsam mit den Anforderungen der guten Steuerung und Überwachung kommunaler Unternehmen auseinandersetzen. Der Kodex hat daher auch die Funktion eines Diskursagenten und eines Aufmerksamkeitsdirigenten.
Du stützt Dich auf institutionentheoretische Ansätze. Wie haben diese bei der Ausarbeitung Deiner Forschungsarbeit geholfen?
Pfefferle: Die Theorie des Neo-Institutionalismus habe ich als durchaus sehr hilfreich bei der Forschungsarbeit empfunden. Der Neo-Institutionalismus thematisiert die Schnittstelle zwischen Organisationen und ihrer Umwelt – demnach gestalten sich Organisationen nach den Erwartungen ihrer Umwelt. Gleichen sich Organisation beispielsweise innerhalb einer Wirtschaftsbranche an, wird von Strukturangleichung oder Isomorphie gesprochen. Werden nun in öffentlichen Unternehmen und Kommunen immer häufiger Public Corporate Governance Kodizes übernommen, verweisen neo-institutionalistische Erklärungsansätze auf öffentlichen Druck sowie gegenseitige Erwartungen und weniger auf eine wirkliche wirtschaftliche Steuerungsabsicht.
Als Beispiel hast Du Dir kommunale Energieversorger am Beispiel der Stadt Fellbach ausgesucht. Wie bist Du auf dieses doch spezielle Praxisbeispiel gekommen?
Pfefferle: Die Anzahl deutscher Städte mit einem Public Corporate Governance Kodex ist recht überschaubar, allerdings variieren diese in ihrem Umfang und inhaltlicher Tiefe erheblich. So werden im Kodex der Stadt Saarbrücken etwa 125 Empfehlungen abgegeben, im Mannheimer Kodex lediglich 18. Der Berliner Kodex enthält rund 28, während der Städtetag Nordrhein-Westfalen einen Musterkodex mit 50 Anregungen zur öffentlichen Steuerung vorlegte. Bei all diesen Kodizes war Fellbach aus mehreren Gründen von besonderem Interesse. Der Fellbacher Kodex wurde erst 2015 eingeführt und ist somit noch relativ neu. Dies ermöglichte mir, vor Ort noch mit den verantwortlichen Personen im Aufsichtsrat und im Unternehmen zu sprechen. Bei Städten, in denen der Kodex bereits vor zehn Jahren eingeführt wurde, wäre dies kaum der Fall gewesen. So waren die Gründe und die Debatte bei den Interviewpartnern sehr präsent, da sich der Kodex quasi noch in der Einführungsphase befindet. Und zum anderen handelt es sich um eine vergleichsweise kleinere Kommune mit der Stadtwerken Fellbach GmbH, die mit 65 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 63 Millionen Euro eher zu den kleineren Akteuren am Markt gehört. Die interessante Frage war somit, warum ausgerechnet eine so kleine Kommune sich einen Kodex erarbeitet, die eigentlich nur zwei öffentliche Beteiligungen hat.
Als Methode hast Du Dich auf Experteninterviews konzentriert. Wie hast Du Deine Interviewpartner ausgewählt und wie verliefen die Gespräche?
Pfefferle: Da der Kodex die Interaktion an der Schnittstelle aus Wirtschaft, Politik und öffentlicher Verwaltung regelt, war es mir wichtig, dies auch durch Interviews abzubilden. Die Kontaktaufnahme, aber auch die Interviews verliefen sehr angenehm und unkompliziert. Zur Vorbereitung konnte ich zudem einen Referatsleiter einer Stadt ohne Kodex interviewen.
Abschließend eine Frage mit Blick auf Deine persönliche Zukunft. Wo sieht man Dich denn demnächst wieder? Als Schreiber eines vernünftigen Kodex? Als Reformer in einer Kommune in Baden-Württemberg?
Pfefferle: Nach meinem Studium bin ich bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft im Geschäftsbereich Public Management Consulting tätig geworden. So habe ich mittlerweile täglich in Projekten mit öffentlichen Einrichtungen mit diesen Fragestellungen zu tun, von Kitas, Landespolizeien bis hin zu Infrastrukturprojekten. Inhaltlich bin ich somit meiner Ausrichtung treu geblieben und kann auch meine Kenntnisse in meine tägliche Arbeit einbringen.
Titelbild:
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Redaktionelle Umsetzung: CvD