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Kübra Karatas hat von 2013 bis 2018 im Bachelor „Communication, Culture and Management“ an der Zeppelin Universität studiert. Ihren akademischen Weg setzt sie im September dieses Jahres in Rotterdam mit einem Master in „Cultural Economics“ fort. Praktika während ihres Studiums führten sie unter anderem zur „art berlin“, ans Goethe-Institut nach New York und an die Deutsche Botschaft in Washington. Aktuell lernt sie die Arbeit der Kulturstiftung des Bundes in Halle kennen. Auslandserfahrung sammelte sie zudem in Toronto und Kentucky, ehrenamtlich engagierte sie sich für das Kulturfestival Seekult, im Artsprogram der ZU oder als Mentorin der Mentoring Community.
Könntest Du für den Leser kurz zusammenfassen, um was es in Deiner Arbeit geht?
Kübra Karatas: In meiner Arbeit geht es um die Armut unter Bildenden KünstlerInnen. Ich stelle mir die Frage, warum die staatliche Förderung dieser Armut nicht entgegenwirken kann. Dabei beschreibe ich die aktuelle Situation des Kunstfeldes, in dem ich auf die letzten Entwicklungen im Kunstmarkt eingehe und die Veränderungen der künstlerischen Arbeit von der produktbasierten hin zur prozessorientierten Kunst näher betrachte. Es stellt sich heraus, dass sich diese Dynamiken auf dem Feld in den staatlichen Förderinstrumenten nicht widerspiegeln; diese stammen aus einer Zeit, in der ein anderes KünstlerInnenbild vorherrschte und der Kunstmarkt diversifizierter war. Diese Diskrepanz führt letztendlich dazu, dass die Armut unter Bildenden KünstlerInnen verstärkt wird und die staatliche Förderung so ihre Aufgabe der Armutsbekämpfung verfehlt.
Immer mehr BürgerInnen müssen neben ihrem Hauptberuf eine Tätigkeit ausüben, um finanziell über die Runden zu kommen. Ist es da nicht auch KünstlerInnen zuzumuten, ihren Lebensunterhalt durch eine Tätigkeit im nichtkünstlerischen Bereich aufzubessern?
Karatas: Tatsächlich bezieht eine große Mehrheit der Bildenden Künstlerinnen Einkünfte aus nicht-künstlerischer Tätigkeit. Laut einer vom Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler BBK durchgeführten Umfrage aus dem Jahr 2016 berichten ungefähr 80 Prozent von Einkünften aus nicht-künstlerischen Quellen. Zum Beispiel üben etwa 40 Prozent der KünstlerInnen eine nicht-künstlerische Nebentätigkeit aus und rund 34 Prozent werden von der PartnerIn, von Verwandten oder FreundInnen finanziell unterstützt. Interessant ist, dass sich in den vergangenen Jahren die Zusammensetzung der Einnahmequellen verschoben hat. Im Jahr 2011 lag der Anteil aus nicht-künstlerischer Tätigkeit noch bei rund 50 Prozent, das heißt KünstlerInnen konnten damals viel eher ihren Lebensunterhalt durch ihre künstlerische Arbeit bestreiten als heute.
Setzt die Möglichkeit eines Grundeinkommens durch die Vergabe von bedingungslosen Zeitstipendien den StipendiatInnen nicht kontraproduktiv unter enormen Druck, sich in dieser Zeit etablieren zu müssen?
Karatas: Zeitstipendien ist ein von der Koalition der Freien Szene in Berlin vorgeschlagenes Alternativkonzept zur Förderung von KünstlerInnen. Anders als Exzellenzstipendien, die nur einigen wenigen zugutekommen, handelt es sich bei den Zeitstipendien um eine breite Förderung von KünstlerInnen: Halbjährig sollen ein paar hundert Stipendien ohne große Nutzungsauflagen und unbürokratisch vergeben werden. Bei den Zeitstipendien geht es gerade nicht darum, in dem halben Jahr der Förderung etwas zu produzieren, das am Ende präsentiert werden kann. Die Initiative behauptet: „Durch die Schaffung finanzieller Freiräume zur autonomen künstlerischen Entwicklung reagieren die Zeitstipendien strukturell auf eine veränderte Kunstpraxis im Übergang von einem produktionsorientieren zu einem zeitbasierten und interdisziplinären Werkbegriff […]“. Diese Forderung nach bedingungsloser Förderung von KünstlerInnen, die bereits teilweise in Berlin Umsetzung findet, wird oft als Vorläufer eines Grundeinkommens gesehen. Ein solches Grundeinkommen für KünstlerInnen – wenn auch sehr attraktiv als Gedanke – fordert ein radikales Umdenken im Feld und wirft viele Fragen rund um Grenzen der Kunst auf: Wo und wer zieht die Grenze, wer KünstlerIn und was Kunst ist. Und woran soll künstlerische Qualität festgemacht werden, wenn der Prozess im Vordergrund steht?
Die Erhebung einer kommunalen Steuer – z.B. die Bettensteuer in Berlin – könnte zusätzliche Einnahmen für die Kulturszene generieren. Aber was machen kleinere Kommunen, um der Verlagerung der Kulturszene in wenige Metropolen entgegenzuwirken?
Karatas: Kultur steht unter dem Prinzip der Subsidiarität, so werden immerhin etwa 45 Prozent der Gesamtausgaben der öffentlichen Hand für Kultur durch die Gemeinden ausgeben, das heißt auf der kommunalen Ebene passiert sehr viel. Dennoch bleibt der Posten der Kulturförderung ein freiwilliger, und jeder Kommune ist es selbst überlassen, ob und wie viel sie für kulturelle Angelegenheiten ausgibt. In der Sparte der Bildenden Kunst stellen Kommunen oft Residenzstipendien und Atelierräume zur Verfügung, um KünstlerInnen zu fördern. Eine deutsche Ausnahme stellen auch die zahlreichen Kunstvereine dar, die auf kommunaler Ebene als Schaufenster für zeitgenössische Kunst eine wichtige Rolle bei der KünstlerInnenförderung spielen. Jedoch können nur die wenigsten Kunstvereine sich die Ausstellungshonorare für KünstlerInnen leisten. So müssen Künstlerinnen meistens draufzahlen, um eine Ausstellung zu realisieren. Noch immer werden Bildende KünstlerInnen erst durch den Verkauf ihrer Werke vergütet. In einer Zeit, in der sich die Kunst konzeptioneller und immaterieller gestaltet, ist diese Art der Vergütung nicht adäquat und führt zu einem Marktimperativ. Um diesem Zwang entgegenzuwirken, sollten die Kommunen in ihren Haushalten Budgets zu Ausstellungshonoraren einräumen, um die KünstlerInnen zu fördern und die kommunalen Kunstvereine zu entlasten.
Hat es der Staat bisher verkannt, dass Ausgaben für Kultur kein „lästiges Haushaltsübel“ sind, sondern die Attraktivität einer Kommune – z.B. für den Tourismus – steigern können?
Karatas: Schaut man sich die kulturpolitischen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte an, würde man eher das Gegenteil behaupten: Die Einrichtung der Bundesbeuftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), der stetig steigende Kulturetat, die Gründung der Bundeskulturstiftung – das sind alles Maßnahmen, die zeigen, dass der Staat kulturellen Angelegenheiten eine wichtige Rolle einräumt.
Staatliche Förderung bedeutet immer auch Bürokratie. Wer soll beurteilen, welche Arbeiten förderungswürdig sind?
Karatas: Meistens wird diese Entscheidung im Feld selbst getroffen. In der Bildenden Kunst haben sich Konsekrationsprozesse etabliert, in denen verschiedene, meist interdependente Akteure darüber urteilen, was Kunst und deshalb förderungswürdig ist und was nicht. Die ersten Akteure in diesem Prozess sind die Kunsthochschulen, später kommt mit den Galerien der Markt ins Spiel, die Kunstkritik und dann die Museen. Sicherlich entwickeln sich mit der Digitalisierung und der Netart auch alternative Wege der Anerkennung von KünstlerInnen und Kunst.
Im Konkreten wird die Entscheidung über die Vergabe von Fördergeldern oder Stipendien über Juryverfahren vergeben. In der Regel handelt es sich bei den JurorInnen um Personen, die im Feld etabliert sind und denen man zuschreibt, sie könnten über Qualität von Kunst urteilen. Nicht selten kommt es vor, dass in diesen Gremien dann immer wieder die gleichen Personen sitzen, die sicherlich auch ihre eigene Agenda haben und durch ihre JurorInnenrolle Macht im Feld ausüben wollen. Die bürokratische Struktur innerhalb der KünstlerInnenförderung – wenn auch sehr lästig für viele KünstlerInnen und Kultureinrichtungen – vergrößert die Objektivität dieser Verfahren.
Welchen Weg, KünstlerInnen ein Arbeiten, ohne in Armut abzurutschen, zu ermöglichen, hältst Du in der heutigen Zeit persönlich für erfolgversprechend?
Karatas: Ich wünschte, es gebe da ein Best Practice. Aber es scheint, das Bild der KünstlerIn als Geniefigur oder die einsame, tüchtige im Atelier ist aus der Mode gekommen. Viele KünstlerInnen sind heutzutage NetzwerkerInnen, vermarkten sich selber über soziale Netzwerke. Und sicherlich ist es von großem Vorteil, sich bereits im Studium Skills anzueignen, die später im Arbeitsleben relevant werden. So wissen die wenigsten AbsolventInnen, wie sie sich bei der Künstlersozialkasse anmelden oder wie man gute Projektanträge stellt. Hier kommt vor allem den Kunsthochschulen eine große Verantwortung zu. Neben der künstlerischen Ausbildung sollten auch Angebote geschaffen werden, die KünstlerInnen praktische Erfahrungen mit auf den Weg geben. Erfreulicherweise kommen immer mehr Kunsthochschulen dieser Aufgabe auch nach.
Könntest Du Dir eine Alternative zur Künstlersozialkasse vorstellen, die allen KünstlerInnen in Deutschland einen Zugang zu Sozialleistungen ermöglicht?
Karatas: Die Künstlersozialkasse (KSK) ist eine beispiellose Institution, die freischaffenden KünstlerInnen die Möglichkeit einer Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung bietet. Daher würde ich kein alternatives Modell vorschlagen, sondern die KSK – wie so oft schon passiert – reformieren. Denn so wie sie jetzt ist – mit strengen Aufnahmebedingungen und einem starren KünstlerInnenbild – bleibt sie für viele KünstlerInnen unzugänglich. Es bleibt die Forderung nach einer Institution, die das Feld sehr gut beobachtet und sich dem stets anpasst, um dem ursprünglichen Ziel der Förderung von KünstlerInnen, die den Risiken der Freiberuflichkeit ausgesetzt sind, gerecht zu bleiben.
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Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm