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Prof. Dr. Michael Scharkow hat den Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Digitale Kommunikation an der Zeppelin Universität seit 2017 inne. Vorher war er unter anderem an der Universität Hohenheim, der Universität Münster oder der Universität der Künste Berlin. Er setzt sich vor allem mit (digitaler) Mediennutzung und Methoden auseinander.
Ob Amberg oder goldenes Steak – in den vergangenen Monaten scheint der Ton im Netz noch schärfer als ohnehin. Täuscht der Eindruck?
Prof. Dr. Michael Scharkow: Vermutlich täuscht der Eindruck tatsächlich – Stichwort „Recency Bias“, womit gemeint ist, dass zuletzt wahrgenommene Informationen einen stärkeren Einfluss auf die Erinnerungsleistung eines Menschen ausüben als früher eingehende Informationen –, aber ohne empirische Daten lässt sich das schwer sagen. Und man müsste auch erst einmal klären, woran man das festmachen würde: Beschimpfen sich mehr Leute in sozialen Medien als bisher? Oder sind dieselben Leute jetzt nur noch unflätiger? Tatsache ist, dass Flaming, Trolling und Co. praktisch so alt sind wie das Internet, aber die Medien vor allem erst dann berichten, wenn es von öffentlichem Interesse sein könnte.
Warum richtet sich der Zorn so explizit auch gegen Einzelpersonen wie Franck Ribéry nach seinem Restaurantbesuch?
Scharkow: Franck Ribéry wird ja nicht einfach als Privatperson kritisiert, sondern als Prominenter, der noch dazu nicht gezwungen wurde, seine kulinarischen Aktivitäten zu veröffentlichen. Wenn man seinen Lebenswandel öffentlich zur Schau stellt, muss man mit entsprechenden Reaktionen rechnen, auch wenn solche Reaktionen wie bei Ribéry eher selten sind. Das meiste, was Prominente in sozialen Medien posten, verhallt mehr oder minder ohne Reaktionen. Den Zorn und andere emotionale Reaktionen auf Medienpersonen gibt es zudem ja nicht erst seit dem Internet. Aber früher wurde dann nur zuhause, am Stammtisch oder höchstens einmal in einem Leserbrief dem Unmut Luft gemacht, und die Betroffenen haben es – wenn überhaupt – nur indirekt mitbekommen. Heute kann ich Ribéry direkt per Kommentar beschimpfen und dies auch noch für alle (oder zumindest viele Interessierte) sichtbar.
Genauso harsch fiel die Antwort des Fußballers aus. Passen sich jetzt die Stars ihren Trollen an?
Scharkow: Ich bezweifle, dass Ribéry jetzt schlagartig ein anderer Mensch geworden ist. Plausibler ist doch, dass seine sonstigen Social-Media-Aktivitäten einfach professionell begleitet werden, das heißt entweder nicht von ihm stammen oder er zumindest entsprechend geschult wird. Ein Kollege hat vor einiger Zeit anhand der Tweets vom offiziellen Trump-Account demonstriert, wie unterschiedlich die Inhalte ausfallen, je nachdem, ob er selbst oder sein PR-Team postet. Diejenigen, die Stars für ihre Authentizität in sozialen Medien loben, müssen dann auch mal solche Ausbrüche tolerieren. Andernfalls gibt es nur noch Pressefotos und recycelte O-Töne und Imagevideos auf diesen Accounts. Und: Ausfällig werdende Fußballstars samt dazugehöriger Medienschelte gab es auch schon lange vor Facebook und Twitter. Fragen Sie einfach mal Stefan Effenberg.
Statt auf Debatte setzte der Grünen-Chef Robert Habeck nach Kritik an einem Wahlkampfvideo auf Rückzug und löschte seine Social-Media-Accounts gleich ganz. Wie bewerten Sie diese Entscheidung?
Scharkow: Ich sehe das kritisch – ebenso wie zuletzt einige Journalisten etwa beim Handelsblatt oder Bayerischen Rundfunk. Natürlich ist es eine sehr effektive Maßnahme: So trivial es klingt, aber aus der Cybermobbing-Forschung wissen wir, dass Personen, die weniger online aktiv sind, auch weniger gemobbt werden. Und auch in der politischen Kommunikation haben Kollegen jüngst in einer international vergleichenden Studie gezeigt: Je dialogorientierter man als Politiker in sozialen Medien kommuniziert, desto mehr negative Reaktionen erhält man auch. Und das kann natürlich dazu führen, dass man wieder in alte Verlautbarungskommunikation zurückfällt oder es eben ganz lässt. Letztlich ist aber Abstinenz eine Kapitulation vor dem Medium und vor den Trollen und Hetzern und wird sich angesichts des Medienwandels auch nicht als erfolgreiche Strategie erweisen.
In den vergangenen Jahrzehnten mussten sich politische Akteure und andere Personen öffentlichen Interesses zunehmend an die sogenannte Medienlogik anpassen, das heißt knackige Soundbites statt endlose Schachtelsätze liefern, sich an Nachrichtenwerten und journalistischen Arbeitsprozessen statt an Parteitagsbeschlüssen orientieren. Auch das war für viele ein unangenehmer Prozess. Im Gegenzug gab es einen Konsens, was Journalisten fragen und worüber sie schreiben und vor allem in welchem Ton man miteinander umgeht. Dieser Medialisierungsprozess geht nun einfach weiter, und je direkter man ohne professionelle Vermittler dem Publikum gegenübersteht, desto mehr muss man willens und in der Lage sein, mit Beleidigungen oder Beschimpfungen umzugehen.
Problematisch finde ich eher, dass vor allem Frauen und Angehörige von Minderheiten deutlich häufiger Opfer solcher Anfeindungen in sozialen Medien sind und sie es damit auch auf dieser Ebene schwerer haben als wohlhabende weiße Männer.
Ein Grund für Habecks Entscheidung war möglicherweise auch die Veröffentlichung privater Daten aus einem aktuellen Hackerangriff. Ist daran unser sorgloser Umgang mit Daten schuld?
Scharkow: Ganz klar ja – die Daten wurden ja nicht von Bundestagsservern oder ähnliches gestohlen, sondern wahrscheinlich aus übernommenen Social-Media- und E-Mail-Accounts. Der Umgang ist im übrigen gar nicht so sorglos: Aus der Privacy-Forschung wissen wir, dass gerade in Deutschland viele Nutzer recht stark dafür sensibilisiert sind. Aber letztlich ist es eine Art Kosten-Nutzen-Kalkül: Ich kann die Vorteile der Dienste – sei es soziale Unterstützung auf Facebook oder Musikempfehlungen auf Spotify – nur erhalten, wenn ich auch Informationen über mich preisgebe. Wenn ich als Politiker private Accounts nutze statt (relativ gut gesicherter) Dienste von Bundestag und Co., dann habe ich auch ein erhöhtes Risiko was Datenleaks betrifft. Das ist ein häufiges Problem selbst auf der höchsten Ebene: Ich kann mich noch gut an Diskussionen über Angela Merkels Dienst- vs. Privathandy erinnern, ebenso an die E-Mails von Hilary Clinton oder die eben erwähnten Trump-Tweets. Politiker wollen eben auch bequeme Lösungen für die interne oder externe Kommunikation nutzen.
Trotzdem kann man am aktuellen Fall sehen – bei dem ja auch IT-kompetente Politiker wie Konstantin von Notz betroffen waren –, dass einerseits die Accounts gar nicht technisch gehackt, sondern über Social Engineering und Anrufe beim Telefonsupport übernommen wurden, und andererseits auch der beste Selbstdatenschutz nichts nützt, wenn meine Parteifreunde meine Telefonnummer in ihren schlecht gesicherten iCloud-Kontakten haben.
Ob Steak oder Grünen-Chef: Viele Medien kritisieren jede Reaktion oder Handlung, die aktuell im Netz stattfindet. Schüren Sie damit selbst neuen Hass in sozialen Netzwerken?
Scharkow: Der Hass-Begriff wird in diesem Zusammenhang meiner Meinung nach deutlich zu leichtfertig verwendet. Nicht jede Kritik und noch nicht einmal jede unflätige Beschimpfung von Kritikern und deren Müttern – um noch einmal auf Ribéry zurückzukommen – gefährdet die demokratische Grundordnung. Als Kommunikationswissenschaftler gehen wir seit Jahrzehnten davon aus, dass die Wirkungen der Medien auf Individuum und Gesellschaft eher gering sind – die positiven wie die negativen. Bislang gibt es kaum gesicherte empirische Belege, dass das, was in sozialen Netzen passiert, schwerwiegende Konsequenzen hat – von prominenten Einzelfällen abgesehen. Zumindest ist es schwierig, diesen Einfluss analytisch zu isolieren: Mobbing gibt es auch ohne soziale Medien im Job oder in der Schule, und ausländerfeindliche Demonstrationen werden sich nicht durch Abschalten von Twitter-Accounts verhindern lassen.
Dieser zunehmende Hass könnte auch zum Problem für die Meinungsfreiheit werden: Nach einer repräsentativen Studie bekennen sich viele Deutsche im Internet weniger zu ihrer persönlichen Einstellung, weil sie Angst vor Online-Hetze haben. Eine Gefahr?
Scharkow: Das Thema hatten wir vor 40 Jahren auch schon mit der Schweigespirale. Da ging es um persönliche Gespräche, in denen es ja auch unangenehm sein kann, eine wahrgenommene Minderheitenposition zu vertreten. Empirisch hat sich das alles wenig gezeigt. Zum einen, weil es immer genügend Leute gibt, die von ihrer Meinung überzeugt sind und einfach nicht schweigen wollen, zum anderen, weil wir den Kontext, in dem wir unsere Meinung äußern, zumeist sehr gut auswählen können. In sozialen Medien, in denen man sich oft in thematisch und sozial homogenen Gruppen und Communities aufhält, ist das eher noch einfacher als im Alltag, wo man ja doch manchmal mit unangenehmen Zeitgenossen in der Bahn sitzt. Bisher hat sich zumindest bei uns die Meinungsfreiheit, übrigens auch die von AfD-Anhängern und pro-russischen Trollen, als ziemlich robust erwiesen.
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Redaktionelle Betreuung und Umsetzung: Florian Gehm