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Dr. Dennis Lichtenstein ist Akademischer Mitarbeiter am Zentrum für Politische Kommunikation. Zuvor war er Mitarbeiter an den kommunikationswissenschaftlichen Professuren in Düsseldorf und Augsburg. In Düsseldorf hat er im Rahmen des DFG-Projekts „Nationale Konstruktionen europäischer Identität“ mit einer Arbeit zu Identitätskonstruktionen in den Leitmedien ost- und westeuropäischer EU-Länder promoviert. Das Fach Kommunikationswissenschaft hat er an den Universitäten Salzburg, Augsburg und Wien studiert. Heute forscht und lehrt er zu Themen der politischen Kommunikation, darunter Fragen zur europäischen Öffentlichkeit und Identität, zur Mediendarstellung und Mediatisierung von Krisen und internationalen Konflikten sowie zur politischen Satire. Zur medialen Berichterstattung zur Ukrainekrise leitet er eine Kooperation mit der russischen North-Eastern Federal University Yakutsk.
Satiresendungen sind in Deutschland ein fester Bestandteil der politischen und medialen Öffentlichkeit. Unter Verwendung von Stilmitteln wie Ironie, Parodie und Aktionskomik setzen sie sich auf ebenso unterhaltsam-humorvolle wie kritische Weise mit dem aktuellen Zeitgeschehen auseinander. Die Sendungen üben Kritik an den Großen und Mächtigen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, definieren gesellschaftliche Missstände und können zu politischen Handlungen auffordern.
Die Frage nach der Rolle von Satire in der politischen und medialen Öffentlichkeit hat längst das Interesse der Forschung in Politik-, Medien- und Kommunikationswissenschaft geweckt und Kontroversen entfacht. Während Skeptiker satirischer Formate argumentieren, eine humoristische Darstellung von Politik verkürze und verfälsche politische Inhalte und Positionen und begünstige durch ihren Zynismus Politikverdrossenheit beim Publikum, behaupten optimistischere Stimmen, Satire unterstütze die politische Informationsaufnahme durch das Publikum, erhöhe die Verständlichkeit politischer Inhalte, gebe Orientierung zur kritischen Meinungsbildung und stärke so Demokratien.
Ein wesentlicher Einflussfaktor für demokratietheoretisch wünschenswerte oder unerwünschte Wirkungen sind die konkreten Inhalte der Satireformate. Satiresendungen im Fernsehen unterscheiden sich in ihrer Darstellung von Politik erheblich voneinander und bereiten politische Informationen zuweilen sehr unterschiedlich auf. Die Anstalt ist derzeit die prominenteste Vertreterin des Genres Kabarett im deutschen Fernsehen. Dabei stehen sowohl aktuelle Themen wie das Taktieren der Parteien nach dem Rücktritt von Kanzlerin Merkel als CDU-Vorsitzende als auch Dauerthemen wie Steuergerechtigkeit oder die EU-Einwanderungspolitik im Fokus. Die Themen werden häufig in Form von Rollenspielen und mit Hilfe erklärender Schautafeln inszeniert.
In einer breit angelegten Studie haben wir untersucht, wie Politik in ausgewählten deutschen Satiresendungen dargestellt wird. Analysiert wurden hierfür alle Ausgaben der Formate heute show, Neo Magazin Royale und Die Anstalt, die zwischen Januar 2014 und April 2016 gesendet wurden. Im Folgenden stellen wir einen Ausschnitt dieser Studie vor und konzentrieren uns dabei auf die Ergebnisse für Die Anstalt.
In der Erforschung der Politikdarstellung in Die Anstalt haben wir nach dem Informations- und Orientierungsgehalt des Formats gefragt, also danach, welche politischen Informationen in der Sendung in welcher Form aufbereitet werden und inwieweit diese dem Publikum zur politischen Orientierung und Meinungsbildung dienen können. Konkret interessierte uns: 1) Wie häufig nimmt Die Anstalt auf Politikthemen Bezug und in welcher Tiefe präsentiert Die Anstalt politische Informationen? 2) Wie oft und wie explizit positioniert sich Die Anstalt zur Politik und wie bewertet sie politische Akteure?
Innerhalb der 18 untersuchten Ausgaben von Die Anstalt haben wir insgesamt 180 Beiträge unterschieden und mit Blick auf unsere Fragestellungen untersucht. Um herauszufinden, wie politische Informationen in Die Anstalt vermittelt werden, haben wir zunächst erhoben, welche Themen (z. B. Politik, Wirtschaft, Medien) die Beiträge hauptsächlich ansprechen. Außerdem haben wir festgehalten, wie tiefgehend und hintergründig politische und nicht-politische Informationen präsentiert werden. Um zu untersuchen, inwieweit Die Anstalt dem Publikum politische Orientierung vermitteln kann, haben wir die politischen Informationen daraufhin untersucht, ob sie Positionierungen und Bewertungen enthalten. Die Ergebnisse lassen Schlüsse darauf zu, wie ausführlich, informativ und wertend Die Anstalt politische Themen aufbereitet und welche Themen tatsächlich in den Sendungen adressiert werden.
Für die Auswahl der Themen zeigt sich, dass Die Anstalt in ihren Beiträgen den Schwerpunkt auf Politik- (38 Prozent) und Gesellschaftsthemen (33 Prozent) legt. Deutlich weniger Aufmerksamkeit bekommen die Themenbereiche Wirtschaft (14 Prozent), Medien (6 Prozent), Kultur (4 Prozent) und Sport (3 Prozent).
Während Die Anstalt der gesellschaftlichen Relevanz von Politik einen hohen Stellenwert zuweist, zielt sie innerhalb der klassischen politischen Themen nur selten auf Skandale, Wettbewerb und Skurrilitäten aus dem Politikbetrieb ab. Dies ist insofern bemerkenswert, als andere Satiresendungen solche Themen häufig und gern aufgreifen, da sie kaum Vorwissen beim Publikum voraussetzen und für die Zuschauer leicht verständlich sind. Die Anstalt bezieht sich hingegen in erster Linie auf inhaltliche Politikfelder und betont insbesondere die Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie die Arbeits- und Sozialpolitik. Darin zeigt sich bereits, dass Die Anstalt anspruchsvolle Themen aufbereitet und auch beim Publikum ein gewisses politisches Vorwissen und Interesse voraussetzt.
Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man die konkreteren Inhalte und Informationen, die in Die Anstalt vermittelt werden, betrachtet. Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass Politik und politische Inhalte in Die Anstalt – insbesondere im Vergleich zu anderen Satireformaten – ausführlich aufbereitet und tiefergehend diskutiert werden. Unabhängig von dem Hauptthema der Beiträge enthalten in Die Anstalt nahezu neun von zehn Beiträge (87 Prozent) politische Informationen. Unsere Studie zeigt weiterhin, dass Die Anstalt in 57 Prozent der Beiträge substanzielle Kontexte und Hintergründe zu den adressierten Themen liefert. Dieser Anteil ist für Satiresendungen sehr hoch und verdeutlicht die Informationstiefe der Anstalt.
Von besonderem Interesse in unserer Studie war die Frage, ob Die Anstalt auch Position zu den behandelten politischen Themen bezieht. Positionierungen können den Zuschauern als Orientierung dienen und ihnen dabei helfen, sich eine eigene politische Meinung zu bilden. Tatsächlich lassen 87 Prozent der Beiträge mit politischen Informationen in Die Anstalt eine politische Position erkennen. Dabei legt Die Anstalt entsprechend der kabarettistischen Aufklärungstradition und der Motivationen der Moderatoren den Schwerpunkt auf explizite Positionierungen (56 Prozent), die auf inhaltliche Kritik ausgerichtet sind und eine klare Meinung enthalten. Indirekte Positionierungen (31 Prozent), die über Spott und Ironie werten, dabei keinen inhaltlichen politischen Standpunkt erkennen lassen und dem Publikum – je nach eigener politischer Einstellung – Raum für Interpretationen lassen, kommen deutlich seltener vor.
Als weiterer Indikator für die Vermittlung politischer Orientierung wurde untersucht, ob und wie politische Akteure in der Satiresendung bewertet werden. Hier zeigt sich, dass in 78 Prozent der Beiträge politische Akteure in Die Anstalt entweder positiv oder negativ bewertet werden, wobei es sich überwiegend um negative Wertungen (90 Prozent) handelt. Während eine überwiegend negative Bewertung von Politikern in Die Anstalt durchaus auch kritisch gesehen werden kann, da diese zu Politikerverdrossenheit beim Publikum beitragen kann, ist die Tatsache, dass die Kritik an den politischen Positionen und politisch relevanten Eigenschaften einer Person und nicht an ihren persönlichen Eigenschaften festgemacht wird, positiv hervorzuheben. Die Anstalt kritisiert demnach mehrheitlich politische Inhalte, Positionen und Leistungen und kann damit zur politischen Orientierung des Publikums beitragen. Ihre Diskursfähigkeit beweist Die Anstalt nicht zuletzt darin, dass sie ihre Quellen und Rechercheergebnisse zu den Beiträgen im „Faktencheck“ online offenlegt. Das unterscheidet Die Anstalt nicht nur von anderen Formaten, sondern verdeutlicht zudem den journalistischen Anspruch der Sendung.
Insgesamt illustriert unsere Studie, dass Die Anstalt in besonderem Maße Wert auf die Aufbereitung politischer Information legt und die jeweiligen politischen Inhalte tief- und hintergründig darstellt. Dies liegt sicherlich nicht zuletzt daran, dass Die Anstalt ein politisches oder gesellschaftspolitisches Thema zum Hauptgegenstand einer jeden Sendung macht und damit Fakten und Hintergründen ausreichend Platz einräumen kann. Die intensive Aufbereitung einzelner Themen kann es den Zuschauern ermöglichen, komplexere Zusammenhänge zu durchdringen und sich eine eigene politische Meinung zu bilden. Die Informationstiefe setzt beim Publikum allerdings Vorwissen und Interesse an Politik voraus. Zudem können die häufig expliziten Positionierungen zu politischen Themen in der Anstalt von Teilen des Publikums auch abgelehnt werden, da sie entweder als inhaltlich falsch oder als zu belehrend empfunden werden mögen. Die Anstalt ist damit auch „Geschmacksache“. Angesichts der Kombination aus politischer Tiefe, Kritik und Unterhaltung darf Die Anstalt aber als produktive Satiresendung verstanden werden, die Information und Orientierung zu aktuellen politischen Themen anbietet. Sie gibt ihrem Publikum inhaltliche Anregungen zur Meinungsbildung – und hebt sich damit von vielen anderen Satiresendungen im deutschen Fernsehen ab, die politische Inhalte weniger detailliert und umfassend aufbereiten. Im Gegensatz zu Formen der sogenannten pseudokritischen Satire, die zwar ebenfalls Politik thematisiert und meist negativ bewertet, ihre Kritik aber selten inhaltlich fundiert, steht Die Anstalt für inhaltliche Auseinandersetzung und bietet dabei ihrerseits Ansatzpunkte, sich mit ihren kritischen Positionen auseinanderzusetzen.
Der Artikel ist eine gekürzte Version von dem Aufsatz mit dem Titel „Produktive Pointen: Wie die Anstalt Politik verarbeitet“, erschienen in: Dietrich Krauß (Hg.): Die Rache des Mainstreams an sich selbst, Westend Verlag, Frankfurt am Main 2019.
Weitere Autorinnen:
| Dr. Cordula Nitsch, Akademische Rätin a. Z. am Institut für Sozialwissenschaften (Abteilung Kommunikations- und Medienwissenschaft) der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
| Anna Wagner, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medien, Wissen und Kommunikation der Universität Augsburg
Titelbild:
| Ben White / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Bilder im Text:
| ZDF / JürgenNobel (Presseportal.de) | Link
| Franck V. / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link
Beitrag (redaktionell unverändert): Dr. Dennis Lichtenstein
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm