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Geboren in New York und aufgewachsen im schönen Schwarzwald, hat es Victoria Kempter schon immer in die weite Welt gezogen. Trotzdem konnte die ZU sie für ihren Bachelor in „Communication, Culture & Management“ an den Bodensee locken. Hier war sie vor allem bei Welle20 aktiv und engagiert sich nach wie vor für NePals e.V. Zwei Praktika in Berlin, eines im Wilden Westen der USA sowie ein Auslandssemester in Tel Aviv konnten ihr Fernweh etwas stillen. Während des Studiums hat sie eine Ausbildung zur Yogalehrerin absolviert und unterrichtet seitdem immer dort, wo sie gerade steckt. Nach dem Bachelor ist sie für zwei Monate nach Barcelona gezogen, um Programmieren zu lernen. Ab Juli wird sie an der Miami Ad School in Berlin „Art Direction“ studieren.
Wie bist Du auf das Thema Deiner Humboldt-Arbeit gestoßen?
Victoria Kempter: Während meiner Zeit an der ZU war ich lange beim studentischen Internetradio Welle20 aktiv. Bei einer der regelmäßigen Sitzungen war ZU-Professor Jan Söffner anwesend, der den Wunsch äußerte, einen eigenen Podcast zu moderieren. So haben wir begonnen, zusammenzuarbeiten. Zur gleichen Zeit ging es bei mir um die Kurswahl in Anbetracht eines näher rückenden Auslandssemesters sowie einer drohenden Bachelorarbeit.
Die Idee, davor eine Humboldt-Arbeit zu schreiben, hatte ich zunächst abgeschrieben. Erst Iris Niki-Nikolopulous konnte mich im (aller)letzten Moment davon überzeugen, es doch noch zu tun. Sie verlängerte mir die bereits abgelaufene Frist um zwei Tage, doch: Welcher Prof ließe sich innerhalb von zwei Tagen von der Betreuung einer Arbeit überzeugen, die noch kein Thema hat? Wie das Universum so will, war ich zwar schon auf halbem Fuß auf dem Weg in die Sommerpause, hatte aber noch einen Termin mit Herrn Söffner, um einen Podcast aufzunehmen. Und hier schließt sich der Kreis: Zwischen den Wänden des Welle20-Studios wurde Jan Söffner innerhalb von drei Sätzen zum Betreuer einer Arbeit, die zu mir und unserer Zusammenarbeit nicht besser hätte passen können.
Könntest Du für den Leser kurz den Inhalt zusammenfassen?
Kempter: Podcasts erleben aktuell eine Renaissance; ein Medium, das seit (nun) fast 20 Jahren existiert, bekommt seit 2014 in den USA und seit 2016 in Deutschland eine ungehaltene Aufmerksamkeit. Dabei waren Podcasts schon lange – bevor das Medium von der Nische in den Mainstream hüpfte – für uns zugänglich: So ist seit 2003 die Podcast-Funktion auf allen Apple-Geräten vorinstalliert, um nur ein Beispiel zu nennen.
Die Forschungsarbeit nimmt sich – anhand von sehr beschränkter Literatur zum Thema und spannenden Interviews mit Podcastern – verschiedener Fragen an. Im Kern geht es um folgende Fragestellung: Warum erlebt das Medium Podcast erst beziehungsweise gerade jetzt einen solchen Aufschwung? Dazu habe ich in die Geschichte des Podcasts geblickt, eine Definition des Mediums vorgenommen, mir die aktuelle Entwicklung – auch vor dem Hintergrund anderer Medienformen – angeschaut, einen Ausflug zu Marshall McLuhan gemacht und die wirtschaftliche Seite des Ganzen durchleuchtet. Dabei haben sich mehrere Antworten herauskristallisiert.
Was genau ist ein Podcast?
Kempter: Fun Fact: Als ich begonnen habe, meine Arbeit zu schreiben, hatten Podcasts noch keinen eigenen deutschen Wikipedia-Eintrag. Ich habe mir also selbst eine Definition zusammengebastelt.
Zunächst kann jede digitale Datei als Podcast bezeichnet werden, die entweder im Stream oder als Download konsumiert und abonniert werden kann. Die Wortzusammensetzung erfolgt aus den Worten „Pod“ („Kapsel“) und „Cast“, von „Broadcast“, was zu Deutsch „übertragen“ bedeutet und meist in Verbindung mit Radiosendungen verwendet wird. „Pod“ allerdings kann auch als Abkürzung für „Portable on Demand“ („Tragbar auf Anfrage“) verstanden werden. Für meine Arbeit habe ich das etwas mehr spezifiziert: „Als Podcast wird ein Audio-Sendungsformat bezeichnet, das einen seriellen Charakter aufweist und von verschiedenen Akteuren ausschließlich über das Internet veröffentlicht wird. Durch die Veröffentlichung im Podcasting-Verfahren kann der Konsument das Format abonnieren und unabhängig von Ort und Zeit abrufen.“
Welche Podcast-Arten gibt es überhaupt?
Kempter: Das Besondere an dem Medium Podcast ist, dass quasi jedes Thema bedient werden kann – und auch wird. Geduldiger als Papier, unabhängiger als die Pressefreiheit und kinderleicht sowie quasi kostenfrei zu produzieren, ist die Format-Fantasie hier grenzenlos. Populär sind vor allem Interview-Podcasts, aber auch „Laber-Podcasts“ beziehungsweise Personality-Podcasts mehr oder weniger bekannter Persönlichkeiten finden großen Anklang. Seit sich große Verlage und Rundfunkanstalten eingeschaltet haben, sind Nachrichten- und Wissens-Podcasts groß im Kommen. Sogenannte Themen-Podcasts waren ursprünglich dazu gedacht, in die Tiefe zu gehen und Nischen abzudecken, die im Radio keinen Platz haben. In Meta-Podcasts wiederum podcasten Podcaster über das Podcasten. Aufgrund datenschutzrechtlicher Komplikationen machen schließlich Musik-Podcasts inzwischen keine große Fläche in der Podcast-Landschaft mehr aus.
Wie ist das Medium Podcast entstanden und wie hat es sich entwickelt?
Kempter: Wie gesagt: Podcasts gibt es schon seit Ende der 1990er. Damals haben sich Forscher im Silicon Valley damit beschäftigt, die Techniken im Internet möglichst zu standardisieren – wichtige Namen sind hier Tim Berners-Lee und Tristan Louis: Sie entwickelten den sogenannten RSS-Feed, durch den Daten im Internet hoch- und heruntergeladen werden können. Dieser wurde von Dave Winer weiterentwickelt, der dann 2001 auch das erste Podcast-Format hochlud: die „Morning Coffee Notes“. 2002 baute er auf seiner Website einen Aggregator ein, der die Funktionen des Sendens und Empfangens von RSS-Dateien vereinte.
Als letzter Schritt vom „Audio Blogging“ zum Podcasting musste nur noch ein Weg gefunden werden, um die Dateien direkt in einem Audioplayer abspielen zu können. Der ehemalige MTV-Moderator Adam Curry hat dem neu geschaffenen Medium dann den Schritt in die Öffentlichkeit ermöglicht. Er schrieb das Programm für den „iPodder“ und schuf so den ersten Podcatcher. Seine Sendung „Daily Source Notes“ konnte innerhalb von nur einem Jahr Abonnentenzahlen in Millionenhöhe für seine und ähnliche Audioprogramme erzielen. 2005 stellte dann Apple-Gründer und -Chef Steve Jobs Podcasts als Teil seiner neuen Musiksoftware „iTunes“ vor. Trotz über einer Million Abonnenten nach nur wenigen Tagen war das Medium noch immer nicht ganz angekommen; obwohl große Namen wie die „New York Times“ oder „Stanford“ sich dem Format annahmen, brauchte der Podcast noch einmal gute zehn Jahre, um im Mainstream anzukommen.
Was sind die Gründe für die Renaissance von Podcasts?
Kempter: Die Technik des Podcastings hat sich nicht groß verändert: Datei aufnehmen, vielleicht bearbeiten, hochladen, fertig. Auf der Konsumentenseite ebenso: Podcast finden, abonnieren, hören, fertig. Doch musste beispielsweise ein iPod immer mit einem Computer, ein Gerät immer mit dem Internet verbunden sein, um eine neue Datei zu erhalten. So hat sich in den vergangenen zehn Jahren seit der Entwicklung von Smartphones das Hören stark vereinfacht: Wir sind inzwischen immer und überall online.
Warum dann aber das „Loch“ zwischen 2008 und 2014? Das kann zum einen daran liegen, dass sich durch YouTube und Netflix zunächst alle auf die Bildschirme gestürzt haben, weil das Bewegtbild einfach spannender war. Außerdem fehlten die passenden Formate, denn: Wo keine Nachfrage ist, fällt auch das Angebot spärlich aus.
Das True Crime-Format „Serial“ war es dann, das im Jahr 2014 die Welle in den USA lostrat. In Deutschland hat der Podcast zwei Jahre später vor allem durch „Fest und Flauschig“ von Jan Böhmermann und Olli Schulz an Fans dazu gewonnen – was allerdings zunächst auch „nur“ als Zweitverwertung unter dem Namen „Sanft und Sorgfältig“ veröffentlicht wurde.
Und plötzlich sind sie überall, was auch wirtschaftliche Gründe hat: Die kostengünstigen Produktionsmöglichkeiten, die mangelnden Ad-Blocker und die Tatsache, dass die Werbung meistens von den Moderatoren selbst eingesprochen wird, machen den Podcast zu einem unverhältnismäßig reizvollen Werbemittel. Mit wachsender Popularität und Inhalten wuchs entsprechend auch die wirtschaftliche Motivation.
Was sind weitere mögliche Erklärungen für den aktuellen Boom?
Kempter: Viele Menschen sind von der ständigen Rundum-Beschallung übersättigt. Nach einem langen Arbeitstag am Computer möchte man abschalten, aber nicht schon wieder am Bildschirm: Im Auto, auf dem Fahrrad oder laufend geht das sowieso nicht, in der Bahn, beim Kochen, Putzen oder Bügeln ist es eher anstrengend, die Augen immer hin und her wechseln zu lassen. Hier kommt der Podcast wie gerufen. Er ist eine gewünschte Ablenkung und ermöglicht – je nach Inhalt – das Abschalten und Genießen. In unserer schnelllebigen, immer erreichbaren, bunt leuchtenden, blinkenden Welt eröffnet der Podcast eine willkommene Rückkehr zur Langsamkeit. Und obwohl der Podcast das perfekte Nebenbei-Medium ist, belegen Studien, dass viele Hörer Podcasts gerne konzentriert auskosten – ohne Candy Crush, Instagram oder Hausarbeit, wie es bei Netflix oft der Fall ist.
Wie steht es nun um die Zukunft des wiedergeborenen Mediums?
Kempter: Sehr rosig! Immer mehr Unternehmen entdecken das Medium für sich, inzwischen hat auch Google ein eigenes Podcast-Team, das sich der Integration in die Suchmaschine und den Voice Assistant widmet. Bisher waren um die 70 Prozent der Podcast-Hörer Applenutzer, inzwischen sind es weniger als 50. Dadurch werden ganz neue Zielgruppen und Themengebiete erschlossen. Spannend wird zu beobachten sein, wie sich der Podcast inhaltlich weiterentwickelt. Hat er bislang von der redaktionellen Freiheit und der relativen wirtschaftlichen Unabhängigkeit profitiert, so mischen Verlagshäuser wie Springer und ZEIT sowie Rundfunkanstalten wie der BR und ARD/ZDF nun die Karten neu. Langweilig wird es also so schnell nicht!
Würdest Du Dich selbst als Podcast-Fan bezeichnen und wenn ja, warum?
Kempter: Ja und Nein. Ich war noch nie ein großes Fan-Girl, mehr so ein Phasen-Mensch. Vor Beginn der Humboldt-Arbeit habe ich viel gehört – auch als Inspiration für meine Formate bei Welle20, einfach um im Thema drin zu sein. Witzigerweise habe ich dann aber, während ich die Arbeit zum Thema geschrieben habe, fast keinen Podcast gehört. Vielleicht weil es zu nah lag? Im Moment habe ich mich Netflix wieder abgewandt und bin erneut in die Podcast-Sphären eingetaucht. Dadurch wächst jetzt auch der Traum, endlich auch mal wieder was Eigenes auf die Beine zu stellen.
Titelbild:
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Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm