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Coco Aglibut studierte bis Sommer 2020 an der Zeppelin Universität im Bachelor Soziologie, Politik und Wirtschaft. Neben der politischen und soziologischen Theorie interessiert sie sich vor allem für die Schnittstellen von Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft. Ihre bisherigen Praktika führten sie in den lateinamerikanischen Wahlkampf, in den Bundestag, zum Begegnungsprojekt Hangar 1 im ehemaligen Tempelhofer Flughafen und in die Berliner Start-up-Szene. Während ihrer Zeit an der Zeppelin Universität brachte sie sich als SPE-Programmschaftssprecherin und Studentische Senatorin vor allem in der Hochschulpolitik ein, um die Universität aus studentischer Perspektive aktiv mitzugestalten und sich für das Ziel „Klimaneutrale Universität“ einzusetzen. Während sich die Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung in der akademischen Welt besonders zu Hause fühlt, treiben sie gleichsam Fragen der verantwortungsvollen und nachhaltigen Gesellschaftsgestaltung um. Sie studiert derzeit im Doppelstudium Rechtswissenschaften und Geschichte (MA) in Berlin.
Wie bist Du auf das Thema Deiner Bachelorarbeit gestoßen?
Coco Aglibut: Ursprünglich habe ich mich für das Thema Sucht aus soziologischer Perspektive interessiert, da ich auf den TedTalk „Everything You Think You Know About Addiction Is Wrong“ von Johann Hari gestoßen bin. Darin geht es ihm darum zu argumentieren, dass der entscheidende Faktor, der den Unterschied macht, ob aus einem gelegentlichen Drogengebrauch ein missbräuchliches Verhalten wird, die (psycho-)soziale Situation des Menschen ist. Wenn man davon ausgeht, dass er recht hat, werden gewisse Maßnahmen im Umgang mit süchtigen Menschen – wie Ultimaten im privaten Bereich, kalter Entzug und Gefängnisaufenthalte – als kontraproduktiv entlarvt, da sich soziale Situationen dadurch verschlechtern und menschliche Vertrauensverhältnisse zusätzlich beschädigt werden.
Allerdings spielen auch genetische Veranlagungen und neuronale Faktoren eine große Rolle in der individuellen Anfälligkeit für Abhängigkeiten. Daher habe ich mich dagegen entschieden, die Entstehung von Suchtverhalten als (rein) soziales Problem zu untersuchen. Stattdessen begann mich die gesellschaftstheoretische Perspektive zu interessieren. Also die Frage, wie Gesellschaften mit Suchtverhalten als Formen von abweichendem Verhalten umgehen. Die funktional differenzierte Gesellschaft tut dies zum einen durch Pathologisierung und zum anderen durch Kriminalisierung oder vermehrt: durch regulierte Duldung.
Mit der Zeit ging mir auf, dass dieser – erst einmal relativ „einfach“ zu beobachtende und zu beschreibende – Vorgang von Kriminalisierung, Regulierung und Pathologisierung des Glücksspiels doch mehr mit der Sache selbst zu tun haben könnte. Um das zu verstehen, musste ich das Glücksspiel als Phänomen untersuchen und versuchen zu beschreiben, was im Glücksspiel eigentlich vor sich geht – ergebnisoffen und nachvollziehend, nicht hypothesentestend.
Könntest Du für die Leser kurz den Inhalt zusammenfassen?
Aglibut: Meiner Bachelorarbeit stelle ich ein Zitat von Georges Bataille voran, der in seinem Werk „Der verfemte Teil“ schreibt: „Ein weitläufiges Vorhaben zusammenzufassen heißt immer, es [zu] verraten.“ Wie es Hartmut Rosa über seine soziologische Methode formuliert, versucht diese Arbeit einen best account darzulegen, die (mir) bestmögliche Deutung einer Erfahrung oder eines Problems.
Das Phänomen, um dessen Bedeutung es geht, ist das Glücksspiel. Die besondere Herausforderung dieser phänomenologisch-hermeneutischen Herangehensweise bleibt dabei, dem Untersuchungsgegenstand in seiner Vielfalt, Komplexität und Pluralität gerecht zu werden und nicht in die Falle der einfachen Erklärungen oder der „Vereindeutigung“ (Thomas Bauer) zu tappen. Gerade die Glücksspielwelt ist von einer Vielzahl an Ambiguitäten und Mehrdeutigkeiten geprägt, denen man selbst durch Typisierung nicht gerecht werden kann. Die Schlussfolgerung aus so einer Erkenntnis lautet in der Regel: Eingrenzung. Das heißt, dass man solche umfassenden Themenstellungen meidet und sich stattdessen für eine „beantwortbare“, oft empirische Forschungsfrage entscheidet – also einen klar umrissenen realweltlichen Zusammenhang auf einer fremden oder eigenen Datenbasis aufzudecken versucht.
Dazu wird man meistens (und aus guten Gründen) schon ab dem ersten Semester angehalten. Das habe ich aber nicht gemacht. Ich habe versucht, ein facettenreiches Phänomen von vielen verschiedenen Seiten zu betrachten und ein umfassendes Verständnis davon zu entwickeln. Dass ich das machen durfte, war für mich ein großes Glück und dafür habe ich meiner Betreuerin zu danken, die mir die Freiheit ließ, eine sehr eigenständige, kontingente Arbeit zu schreiben – die sich leider nicht kurz zusammenfassen lässt.
Welche Elemente machen das Spiel mit dem Feuer, also das Glücksspiel, so reizvoll?
Aglibut: Gewissermaßen gilt das Glücksspiel seit der Aufklärung als Inbegriff von Modernität, da es als Urbild des Kampfes eines Menschen gegen unbekannte Faktoren fungiert, die duellhaft herausgefordert werden. Das Glücksspiel könnte als Metapher herhalten für den Versuch, Unergründliches zu ergründen, Unberechenbares der Berechenbarkeit zuzuführen und das (wieder wird vermutet: noch) Unbeherrschbare beherrschbar zu machen. Der Reiz des Glücksspiels liegt in zweierlei Hinsicht in dessen Unbeherrschbarkeit, die sich aus seiner Unergründlichkeit (Nicht-Wissen über Ursachen) und Unvorhersehbarkeit (Nicht-Wissen über Folgen) ergibt.
Einerseits könnte man vermuten, dass es sich im Glücksspiel letzten Endes um ein agonales Kampfspiel dreht, mit einem ungewöhnlichen Gegner: dem Zufall – als Endgegner zivilisatorischen Fortschritts. Andererseits könnte es jedoch auch sein, dass es dem/der Spieler/in gar nicht zwangsläufig darum geht, den Zufall zu besiegen, sondern um seine Gunst zu „werben“, sich seiner auszusetzen, sich ihm hinzugeben in dem Wissen um die eigene Einflusslosigkeit. In dieser Hinsicht wäre es gänzlich unmodern – geradezu subversiv. Diese Form der Selbstaufgabe kann als Eingang des Menschen in die „selbstverschuldete [da im Spiel immer freiwillige] Unmündigkeit“ gedeutet werden, aus der Immanuel Kant die Menschen führen wollte. Die Lust am Kontrollverlust oder am „Kult der Unberechenbarkeit“ (wie Juri Lotmann für den russichen Adel beschreibt) ist eben in keinster Weise modern, sondern im epochalen Sinne romantisch.
Während es die einen mit dem Zufall als Metapher fürs Unbekannte – materialisiert durch die nicht-triviale (Heinz von Foerster) decision machine (Erving Goffman) – aufnehmen, um zu triumphieren, liegt ebenfalls nahe, dass der Reiz ein konträrer ist und eben in der Tatsache liegt, dass es auf die eigenen Kalkulationen, Fähigkeiten, Eigenschaften und Entscheidungen nicht ankommt, da die Entscheidungsgewalten letztlich extern und unkontrollierbar sind. In einer Moderne, in der die Erwartung, seines eigenen Glückes Schmied zu sein, an das vermeintlich stets absichtsvoll wählende Individuum gestellt wird, kann das Sich-Einlassen auf Zufälle einer Erlösung gleichkommen – in ihr kann eine Akzeptanz von Nicht-Wissen und vom Leben als Folge von „Handlungs-Wiederfahrnis-Gemischen“ (Odo Marquard) liegen.
Gerade dort, wo das Versprechen des Aufstiegs durch Leistung oder harte Arbeit – und somit Möglichkeitsversprechen – nicht gehalten werden, scheint das Glücksspiel seinen besonderen Reiz zu entfalten – dort verkörpert es die Potenzialität der reinen Potenzialität. Im Spiel wird möglich, dass alles möglich wird.
Was ist das Wesen des Spiels und was unterscheidet das Glücksspiel von anderen Arten des Spiels?
Aglibut: Mit Johan Huizinga (Homo ludens) und Roger Caillois (Les Jeux et les Hommes) gehe ich davon aus, dass das Spiel eine „freie Betätigung“ ist, die auf Freiwilligkeit basiert – was später auch für das Thema des Risikos und die Zurechnung von Folgen relevant wird. Das Spiel ist eine „gesonderte Betätigung“ und vollzieht sich innerhalb von räumlichen und zeitlichen Grenzen. Es ist eine „geregelte Betätigung“: Durch Spielregeln herrscht eine eigene und unbedingte Ordnung. Es ist eine „unproduktive Betätigung“: Es wird um seiner selbst willen gespielt und ist keinem weiteren Zweck dienlich. Zudem ist es eine „fiktive Betätigung“, ein Heraustreten aus dem alltäglichen „Ernst des Lebens“, eine „zeitweilige Aufhebung der ,gewöhnlichen Welt‘“ (Johan Huizinga). Zuletzt ist das Spiel eine „ungewisse Betätigung“ und durch diese Kontingenz spannend.
Auf der Suche nach einem Ordnungsprinzip der Arten des Spiels schlägt Caillois eine Klassifikation in vier Hauptrubriken vor: Agon, Alea, Mimicry und Ilinx – „je nachdem, ob bei dem jeweiligen Spiel das Moment des Wettstreits [Fußball, Billiard oder Schach], des Zufalls [Roulette oder Lotterie], der Verstellung [man spielt Seeräuber [...] oder Hamlet] oder des Rausches [etwa Karussell] vorherrscht“.
Was sind die Eigenheiten des Zufalls?
Aglibut: Angenommen A hält auf ihrem Arbeitsweg an einem Café, um einen Coffee to go zu kaufen. Sie muss etwas länger warten, da sie in Berlin ist und die Bedienung nicht einsieht, sich von der gehetzten Geschäftsfrau stressen zu lassen. A muss entscheiden, ob sie wartet oder ob sie versucht, ihre Bahn zu kriegen. Sie hat drei Möglichkeiten, das zu entscheiden: a) Sie wirft eine Münze. b) Sie wartet auf die nächste Person, die den Laden betritt. Trägt die Person keine Mütze, nimmt sie die Bahn; trägt sie eine Mütze, wartet sie auf ihren Kaffee. c) Sie schaut in ihren Kalender, was heute Morgen ansteht und überlegt sich, ob sie es sich leisten kann, zu spät zu kommen. Sie wägt Für und Wider ab und kommt zu einer absichtsvollen, vernunftgeleiteten Entscheidung. In den Fällen a) und b) würden wir sagen, die Frau macht ihre Entscheidung vom Zufall abhängig.
Doch wie unterscheiden sich diese beiden Arten des Zufalls? Marquard unterscheidet hier zwischen Schicksalszufällen und Beliebigkeitszufällen. a) liegt im Bereich dessen, was der Mensch nicht kontrollieren kann (das Schicksalhafte). b) liegt im Bereich fremden, menschlichen Handelns (das Beliebige) und ist eine unbeabsichtigte Nebenwirkung absichtsvoller, menschlicher Entscheidung (der Entscheidung von X, (k)eine Mütze anzuziehen). Beide sind mehr oder weniger wahrscheinlich. Die Chancen, dass A ihren Kaffee bekommt, wenn sie a) nimmt, lassen sich mathematisch-quantitativ genau angeben (50/50). Sie kann sich jedoch auch überlegen, wie wahrscheinlich sie ihren Kaffee bekommt, wenn sie sich für b) entscheidet. Sie rechnet mit einer etwas höheren Wahrscheinlichkeit, da es Winter ist. Die Wahrscheinlichkeit ist hier der Grad des subjektiven Fürwahrhaltens, es kann mit subjektiv-qualitativen Wahrscheinlichkeiten, also mit auf Erfahrung basierten Erwartungen, gerechnet werden.
a) ist Schicksalskontingenz, b) ist Beliebigkeitskontingenz und c) ist Entscheidungskontingenz. Was a) und b) – also Zufälle – gemein haben, ist, dass sie durch unterschiedliche, sich kreuzende – naturgesetzliche und menschliche – Kausalketten und Determinationsmechanismen bedingt sind, die A jedoch nicht kontrollieren kann. Zufallsereignisse sind nach von Foerster [1] unvorhersagbar, [2] geschichtsabhängig, [3] „synthetisch deterministisch“ (oder: ontisch kausal determiniert) und [4] undurchschaubar oder „analytisch [oder epistemologisch] indeterminierbar“. Dort, wo Undurchschaubarkeit, also Nicht-Wissen über Kausalzusammenhänge, akzeptiert wird oder werden muss, wird mit Wahrscheinlichkeiten (im mathematischen wie auch im erweiterten Sinne) hantiert, wodurch Orientierung möglich bleibt. Zufall ist letzten Endes (ein-)kalkulierbar, aber im Ergebnis nicht vorhersehbar oder beherrschbar; Zufall ist das, was außerhalb menschlicher Absicht (oder „Kontrolle“) liegt.
Welche Bedeutung hat das Geld im Glücksspiel?
Aglibut: Durch das Geld wird aus dem scheinbar harmlosen Spiel eine schicksalhafte Situation, die Goffman in seinem häufig übersehenen Aufsatz „Where the Action Is“ Action nennt. Action sind Situationen, die folgenreich [consequential] und ungewiss [problematic] [und damit: schicksalhaft oder fateful] sind und um ihrer selbst willen unternommen werden. Das Spiel haben wir bereits als ungewisse, freiwillige und unproduktive (also selbstzweckliche) Betätigung definiert. Aber folgenreich wird das Spiel erst, weil es um Geld geht und es dadurch Auswirkungen hat, die seine räumlichen und zeitlichen Grenzen überschreiten. Geld als Mittel macht „potenziell und tendenziell die nicht erreichbaren und unverfügbaren Gegenstände verfügbar“ und wird darüber „reine Potenzialität“: Als absolutes Mittel inkorporiert es „die Möglichkeit aller Werte als den Wert aller Möglichkeit“ (Hans Blumenberg). Dadurch wird es zum ultimativen Desiderat, welches auf dem Spiel steht und das Spiel dadurch riskant macht.
Was ist das Risiko im Glücksspiel und weshalb wird es eingegangen?
Aglibut: Eine Wette, wie das Setzen im Glücksspiel, kann immer zweierlei ausgehen: im Sinne der Hoffnungen des Wettenden oder zu seinen Lasten. Die Aussicht auf ersteres – etwa auf Sieg oder auf Erwiderung einer Liebeserklärung – stellt die Chance der Wette da, während die Aussicht auf letzteres – etwa auf Niederlage oder auf Nicht-Erwiderung – ihr Risiko ist. Um eine Chance zu bekommen, wird ein Risiko eingegangen. Die Wette ist daher die ultimative Kontingenzerfahrung: Es könnte so oder anders ausgehen. Der Konjunktiv – das was sein könnte – verführt zum Eingehen von Risiken. Im Glücksspiel wird die Erlangung eines „Vermögens“ (darin steckt bereits sprachlich: „das Können, das Imstandesein schlechthin“ (Georg Simmel)) möglich. Somit wird möglich, dass (fast) alles möglich wird: Das nenne ich die Potenzialität der reinen Potenzialität.
Hinzu kommt die Kontingenzerfahrung: Ob Kampfansage, Hingabe oder Kapitulation an und vor dem Zufall bleibt das Populäre des Glücksspiels – oder wie Urs Stäheli formuliert: das Vergnügen an der rauschhaften Entsubjektivierung, das Vergnügen daran, vom handelnden Subjekt zum Objekt zu werden, mit dem etwas geschieht, zum Schauplatz seiner Affekte zu werden. Es geht um die Intensität des Erlebens – um Action. Die dritte Chance schicksalhaften Risikos besteht darin, dass in diesen Momenten Charakter bewiesen werden kann (nach Goffman insbesondere: Mut, Ausdauer, Integrität, Galanterie und Haltung) – und die ist nicht zu unterschätzen.
Das Glücksspiel führt ein gesellschaftliches Randdasein. Womit hat diese ablehnende Haltung gegenüber dem Glücksspiel zu tun?
Aglibut: Ich denke, das hat mit der „Irrationalität“ des Glücksspiels zu tun. Zuallererst ist da das Spiel, das schon mal fragwürdig ist, denn es ist freiwillig, also unnötig und unproduktiv und damit nutzlos. Einen gesellschaftlichen Wert hat es vermeintlich nur, wenn es dazu dient, nützliche Fähigkeiten auszubilden, die auch außerhalb des Spiels brauchbar sind. Dann ist da der Zufall – ein Störfaktor, der modernen Versuchen der Naturbeherrschung widersteht und als mystisches Überbleibsel zu Aberglauben Anlass gibt und alles in allem aus der modernen Welt geschafft zu gehören scheint. Sich dem Zufall hinzugeben, ist geradezu ein Affront gegen die Vernunft. Im Spiel wird drittens das Geld von Arbeit, Leistung und (Ver-)Dienst abgekoppelt, es wird möglich „to get something for nothing“ (auch wenn es in der Casino-Realität meistens genau andersherum ist). Dieses Unterlaufen des ökonomischen Äquivalenzdenkens hat ebenfalls etwas Anstößiges, da leistungsgesellschaftliche Ansprüche verpönt werden.
Den Zufall über sein Geld entscheiden zu lassen, stellt zudem eine unnötige Selbst- und nicht selten auch Fremdgefährdung (von finanziell abhängigen Familienmitgliedern) dar: Der Spieler macht sich zum Betroffenen einer anderen, fremden Entscheidung (nämlich der des Zufalls). Er gibt für den Moment seine Selbstbestimmung auf. Dies widerspricht der Auffassung, dass sich der Mensch um einen beständigen Lebensverlauf bemühen sollte, der es anderen ermöglicht, ihn in effektiver und angemessener Weise in ihre Pläne mit einzubeziehen. Dieses legitime gesellschaftliche Interesse (Sicherheit, Beständigkeit, Verlässlichkeit) wird ebenfalls verletzt. In vielerlei Hinsicht passt das Glücksspiel der modernen Gesellschaft einfach nicht in den Kram.
Wie hat sich Dein eigener Blick auf das Glücksspiel verändert?
Aglibut: Ich habe viel besser verstanden, was das Glücksspiel für den/die Einzelne/n leisten kann. Vieles konnte ich hier gar nicht mehr erwähnen. Zum Beispiel wäre da noch die Blindheit der Fortuna – der Schicksalsgöttin, vor der nicht zählt, wer man ist und was man kann. Im Glücksspiel wird eine Form der Gleichheit hergestellt, die ohnegleichen ist und ebenfalls entlastend wirken kann. Das Glücksspiel steht emblematisch für die eigensinnigen Augenblicke des Lebens, die nichts und niemandem dienlich sind, sondern nur erlebt werden wollen. Der Preis dafür kann dennoch erheblich sein, sodass es auch nicht verwunderlich ist, dass dem Glücksspiel misstraut wird. Gleichzeitig zu kurz gekommen ist aber auch ein herrschaftskritischer Blick auf das Glücksspiel. Wer sich das „Vermögen“ (im doppeldeutigen Sinne) nicht selbstbestimmt erhandeln konnte, dem bleibt nur die Hoffnung darauf, dass es ihm durch Schicksal, Zufall oder einfach: Widerfahrnis zufällt. Das Glücksspiel bedient diese Hoffnungen, die keine ordnungsbedrohende Gefährlichkeit besitzen, sondern machterhaltend wirken.
Wann hast Du zum letzten Mal Dein Glück bei einem Spiel herausgefordert?
Aglibut: Ich komme aus einer Familie, in der sehr viel gespielt wird – also Gesellschaftsspiele – und zwar durchaus mit einem gewissen Ehrgeiz. Meine Mutter, mein Vater und mein Bruder sind sehr erfahrene, geübte und geschickte Spieler. Im Spiel sind wir alle recht kompetitiv – wenn ich gewinnen will, bin ich meistens auf mein Glück angewiesen. Meine Freunde dagegen sind interessanter- und (wie ich finde) sympathischerweise alle eher weniger kompetitiv. Da traue ich mich noch mehr, mein Glück zu strapazieren. Um Geld habe ich noch nie gespielt, auch wenn ein Selbstversuch im Rahmen der Arbeit angebracht gewesen wäre. Vielleicht muss ich das Preisgeld für den Award, der Anlass dieses Interviews ist, im Roulette einsetzen. Aber ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich ja eher risikoavers veranlagt bin.
Titelbild:
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Bilder im Text:
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Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm