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Resilienz

Die Fähigkeit zum Widerstand

Widerstandsfähige Organisationen sind genau dann interessant, wenn sie einmal nicht direkt reagieren – also die Kettenreaktion der Krise unterbrechen.

Stephan A. Jansen
 
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    Zur Person
    Stephan A. Jansen

    Professor Dr. Stephan A. Jansen wurde im Mai 2003 zum Gründungspräsidenten und Geschäftsführer der Zeppelin Universität berufen. Im gleichen Jahr wurde er durch das Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg als Professor auf den Lehrstuhl für „Strategische Organisation & Finanzierung | SOFI“ ernannt. Mit 31 Jahren war er der jüngste deutsche Universitätspräsident. Nach einer Banklehre als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes absolvierte er ein Studium der Wirtschaftswissenschaft in Witten/Herdecke, an der New York University sowie Tokyo Keizai University mit Auszeichnung. 1997 bis 2003 schlossen sich weitere wissenschaftliche Stationen an der Stanford University sowie der Harvard Business School mit der Promotion (summa cum laude) an.

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    Factbox
    Literatur-Hinweise

    Scott Somers (2009): Measuring Resilience Potential: An Adaptive Strategy for Organizational Crisis Planning. In: Journal of Contingencies and Crisis Management, 17, 1; S. 12-23

    Jody Hoffer Gittell / Kim Cameron / Sandy Lim / Victor Rivas (2006): Relationships, Layoffs, and Organizational Resilience: Airline Industry Responses to September 11. In: Journal of Applied Behavioral Science 42; S. 300-329

    Nassim Nicholas Taleb (2010): Der Schwarze Schwan - Konsequenzen aus der Krise Yana Milev (2011): Emergency Design

    Cynthia A. Lengnick-Hall / Tammy E. Beck (2005): Adaptive Fit Versus Robust Transformation - How Organizations Respond to Environmental Change. In: Journal of Management, 31; S. 738-757

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    Mehr ZU|Daily
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Resilienzfähigkeit heißt die Hoffnung dieser Tage. Der Begriff bezeichnet eine besondere Toleranz gegenüber Turbulenzen.

Terror, Natur- und Zivilisationskatastrophen, Wirtschaftskrisen, Staatspleiten, Konjunkturzyklen, sprunghafte Veränderungen der Nachfrage oder rigide Gesetzesänderungen – all das sind gute Gründe, mal abzustürzen. Gab es in den Achtzigerjahren das politische Projekt „Great Moderation“, also die Hoffnung, abrupte Ausschläge zu dämpfen, leben wir nun wieder in einem „Paradigma der Plötzlichkeit“, das im engeren Sinne politische und unternehmerische Geistesgegenwärtigkeit braucht. Der Warnwert von Vokabeln wie Krise oder Krisenmanagement hat nach einer Vergleichsanalyse der Soziologin Jenny Preunkert anhand des Social Science Citation Index von 1960 zu 2010 deutlich verloren: Die Nennungen haben sich versechsfacht.

Seit Nassim Taleb in seinem Bestseller „Der schwarze Schwan“ das unwahrscheinliche Ereignis zur Normalität er klärte, ist es zum Volkssport geworden, über extrem unwahrscheinliche Ausnahmesituationen zu spekulieren. Wer aber nach Vorbildern für wahrhafte Turbulenzen sucht, wird in der Luftfahrtindustrie fündig. Ein Forscherteam um Jody Hoffer Gittell zeigte: Der Terrorangriff am 11. September 2001 war ein extrem unwahrscheinliches Ereignis. Alle großen Fluggesellschaften haben gleichermaßen unmittelbare wie massive Kurseinbrüche an den Börsen zu verzeichnen gehabt – psychologisch gut begründbar.

Die Kurserholung war jedoch ausgesprochen unterschiedlich: Während Southwest Airlines vier Jahre später zumindest wieder 92 Prozent des Ausgangsniveaus erreichte, lagen United Airlines und US Airways lediglich bei 12 beziehungsweise 23 Prozent dieses Niveaus. US Airways stand seit 2004 unter Gläubigerschutz. Die Analyse zeigt interessante Ergebnisse: eine negative Korrelation zwischen Wiederaufstieg und Entlassungen – und eine positive Korrelation zwischen der Höhe des Kassenbestandes und der Entlassungspolitik. Widerstandsfähiger waren Fluglinien mit höherem Kassenbestand, der ihnen in turbulenten Zeiten eine nachhaltigere Personalpolitik ermöglichte. Southwest stellte in der Folge Personal der schrumpfenden Konkurrenten ein und ist heute nach Delta die Fluggesellschaft mit den meisten Passagieren auf der Welt.

Was sich im Sturm biegt, aber stabil bleibt, beeindruckt nicht nur Bambus-Züchter. Die aktuellen Organisations- und Managementtheorien widmen sich seit gut zehn Jahren vermehrt der Resilienzforschung, kurz: der Erforschung der Bedingungen, wie der Ausnahmezustand in den (nächsten) Grundzustand überführt werden kann. Dabei geht es zunächst erstens um Prävention durch Vorhersage, zweitens Reaktionsgeschwindigkeit und drittens das Erzielen von Vorteilen durch klugen Umgang mit plötzlich geänderten Umweltbedingungen.

Katastrophen, Trauer und Depression oder die Fehlertoleranz technischer Systeme – das sind längst die großen Themen der Resilienzforschung in den Umweltwissenschaften, der Psychologie oder den Ingenieurwissenschaften. Die Wirtschaftswissenschaften und die Managementtheorie dagegen hofften auf die Selbstreinigung der Märkte. Aber die Verwundbarkeiten – ob bei Staaten oder den fragilen Giganten, die absichtlich oder zufällig für das Too-big-to-fail-Prinzip stehen – erfordern von der Politik fortwährend Ad-hoc-Maßnahmen.

Widerstandsfähigkeit entsteht in einem besonderen Beziehungsmanagement, wenn es gelingt, das vermeintlich Fragile, Lockere, Unnötige und Noch-Unsortierte in Beziehung zu setzen. Die Frage, wie schnell und wie gut eine Organisation Innovationen umsetzen kann, wird zur Kernaufgabe des Managements und der Aufsichtsorgane.

Die Designanthropologin Yana Milev fordert mit Bezug auf den Schriftsteller Ernst Jünger in ihren Überlegungen zu einem „Emergency Design“: „Runter von den Mamorklippen!“ In der neuen Tektonik werden fragilere Designs benötigt, Paläste sind unpraktisch in Zeiten der Plötzlichkeit. Die beiden amerikanischen Managementforscherinnen Cynthia Lengnick-Hall und Tammy E. Beck schlagen vor, unter der Widerstandsfähigkeit einer Organisation jene firmenspezifisch einzigartige Mischung zu verstehen, mit der sie bei Problemen reaktionsschnell Lösungen entwickelt und immer wieder überprüft, entweder als Anpassung oder als robuste Transformation von Geschäft und dessen Organisation. Diese Prinzipien sind abstrakt und deswegen praktisch:

Wie erkennt man Überraschungen? Indem man seine Beobachtungsroutinen beobachtet und sich fragt, ob man Überraschendes überhaupt wahrnimmt – oder nur noch selbstbestätigende Informationen. Dabei hilft, nicht nur mit den bekannten, sondern auch mit eher fernen Anspruchsgruppen in Beziehung zu treten – so lässt sich die Komplexität der Beobachtung erhöhen, um sie dann für das Unternehmen zu reduzieren.

Der Organisationspsychologe Karl E. Weick nennt das in Bezug auf den Anthropologen Claude Lévi-Strauss „Bricolage“, was – abgeleitet vom Verb „bricoler“ (basteln, tüfteln) – jene aus der Jugendkultur bekannte Technik beschreibt, Gegenstände in neuen Kontext zu stellen und künstlich zusammenzusetzen. Interessant sind alle nicht vorgezeichneten und nicht abstrakt erklärbaren Bewegungen. Wer so seine Beobachtungsfähigkeit schult und auf Überraschungen eicht, kann in der Arbeit mit Krisenszenarien vorbereitete Lösungsszenarien schneller schalten.

Redundanz ist die Versicherungsprämie für Unternehmen in Zeiten der Plötzlichkeit: Sei es durch Ersatz (Notstromaggregate), durch Vervielfältigung und Verlinkung (redundante Zugrifforte und -wege) oder durch Spiegelung, wo Einzelteile die Information des Ganzen enthalten.

Redundanz ist also teuer – keine Redundanz kann teurer werden. Es gibt die Faustregel der Sicherheitsökonomie: „Jeder Euro für Risikominimierung spart vier bis sieben Euro an Folgekosten.“ Versicherungen sind in diesem Falle sowohl eine Vielfalt von Produkten, Märkten, Prozessen und eben auch Finanzierungsmittel oder ein potenzielles Netzwerk von Akteuren, die Hilfe leisten können. Die klassische Betriebswirtschaftslehre weiß vor allem, was sich durch den Verzicht auf Redundanz einsparen lässt – nicht aber, welchen Wert sie schaffen kann. Während auf Effizienz schauende Unternehmen im Dauerlauf reduzieren und wieder aufbauen, können redundantere resiliente Organisationen tanzen.

Resilienz bekommt damit eine besondere Qualität: „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.“ Und die Redundanz wird zu einer Art Zeit-Puffer, der einem im Paradigma der Plötzlichkeit hilft. Dies war übrigens bei Arbeitszeitkonten, Kurzarbeit und weiteren beschäftigungssichernden Flexibilisierungs-Maßnahmen zu beobachten und wird es wieder sein.

Domino-Spielen ist eigentlich nur überraschend, wenn ein Steinchen nicht umfällt. Widerstandsfähige Organisationen sind genau dann interessant, wenn sie einmal nicht direkt reagieren – also die Kettenreaktion der Krise unterbrechen. Dann kann ein Zeitgewinn entstehen, mit dem vermieden werden kann, dass ein Fehler von einem Teilsystem das Gesamtsystem lahmlegt. Wenn die Steine der Reihe nach fallen, lässt sich oft noch etwas durch Überholen retten – komplexere Kettenreaktionen aber lassen sich nicht mehr überholen, nur unterbrechen. Und zwar nicht, indem man die Ursache ausschaltet, sondern sich verantwortlich gegen die infektiöse Wirkung schützt. Resiliente Organisationen suchen deshalb nach Möglichkeiten, sich der Kettenreaktion durch die Analyse einseitiger Abhängigkeiten zu entziehen.

Sie brauchen also ein Design, das die Überraschung routinisiert, die Redundanz achtet und auf Bewegungen nicht nur automatisch reagiert. Nur dann bleibt Organisationen die Zeit, zum Grundzustand zurückzukehren oder eben auch eine Transformation noch zu erleben. Und dann fliegt auch das turbulente Geschäft.



Der Artikel erschien in brand eins, November 2012.

Foto: manun / photocase.com

Zum Weiterlesen: Literatur-Hinweise


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