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Prof. Dr. Markus Rhomberg studierte Journalismus in Stuttgart und Weingarten, anschließend Politikwissenschaft, Theaterwissenschaft sowie Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Wien. Nach seiner Promotion arbeitete Rhomberg unter anderem in Friedrichshafen und Hamburg. 2010 kehrte Rhomberg an die Zeppelin Universität zurück und hat dort seit August 2013 den Lehrstuhl für Politische Kommunikation inne.
Was haben Gerhard Schröder, Joschka Fischer, Roland Pofalla, Eckhard von Klaeden, Dirk Niebel und Daniel Bahr gemein? Alle diese ehemaligen Bundeskanzler, Minister und Staatssekretäre gingen nach ihrer politischen Karriere in die Wirtschaft. Schröder zog es in den Aufsichtsrat der Gazprom-Tochter Nord Stream AG, Fischer wurde Lobbyist für Siemens, BMW und die Energieversorger RWE und OMV, Roland Pofalla wechselte vom Kanzleramt zur Deutschen Bahn, Eckhard von Klaeden aus dem Staatsministerium des Kanzleramtes zur Daimler AG, Dirk Niebel nach seinem Abschied als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zur Rüstungsschmiede Rheinmetall und nun jüngst Daniel Bahr, früherer Bundesgesundheitsminister, als Generalbevollmächtigter der Allianz Private Krankenversicherung.
Begleitet wird dies allenthalten mit einer Welle öffentlicher Empörung. Der Vorwurf: Ehemalige Politiker geben Insiderinformationen über die Tricks und Kniffe des politischen Berlin preis und vergolden so ihre langen (oder etwas kürzeren) politischen Karrieren.
Nüchtern betrachtet könnte man aber auch sagen: Manche schlagen Kapital aus ihren politischen Netzwerken und Insiderinformationen und organisieren nun Zugänge in die Politik. Andere, wie Daniel Bahr, beschreiben ihre neue Verwendung explizit als keine Lobby-Tätigkeit und verweisen auf ihre inhaltlichen Kompetenzen in dem gefragten Politikfeld.
Grundsätzlich ist der Transfer von Wissen aus einem gesellschaftlichen Bereich in andere Bereiche nicht verwerflich, sondern eher förderlich in einer komplexen Gesellschaft. Politisches Wissen kann die Wirtschaft im besten Falle genau so positiv irritieren wie zivilgesellschaftliches, wissenschaftliches oder eben wirtschaftliches Wissen die Politik. Kenntnisse über die Funktionsweisen und die Logik anderer Gesellschaftsbereiche – also interdisziplinäres Wissen – wäre eigentlich ein Grundpfeiler, um „gute“ Entscheidungen treffen zu können. Wenn dies für die Wirtschaft und Zivilgesellschaften gelten soll, dann auch für die Politik.
Zudem ist es auf der individuellen Ebene ermunternd zu sehen, dass auch Politiker über Exit-Strategien verfügen. Sie kleben nicht bis zu ihrer Pensionierung an ihren Sesseln im politischen Betrieb, sondern machen Plätze frei für neues Personal aus anderen gesellschaftlichen Bereichen.
Weniger zahlreich und weniger spektakulär sind jene Wechsel, die Insiderwissen aus gesellschaftlichen Bereichen in die Politik selbst bringen: Johanna Wanka führt das Bildungs- und Forschungsressort mit ihren langjährigen Kenntnissen des Wissenschaftsbetriebs als ehemalige Professorin und Rektorin der Hochschule Merseburg. Sven Giegold bringt seine zivilgesellschaftlichen und finanzpolitischen Kenntnisse als Mitgründer von ATTAC Deutschland nun als Abgeordneter der Grünen in das Europaparlament ein. Gesche Joost, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Designtheorie und -forschung und Vorstandsmitglied der Technologiestiftung Berlin, versuchte den Bundestags-Wahlkampf der SPD fit für digitale Themen zu machen und ist seit März Internetbotschafterin für Deutschland.
Diese Beispiele und die öffentlichen Erregungen um die Wechsel von Bahr, von Klaeden, Niebel, Pofalla und anderen zeigen uns mehrerlei. Der Weg als Quereinsteiger in die Politik ist noch immer um vieles steiniger und unwahrscheinlicher als umgekehrt. Das liegt auch an der Politik selbst: Sie hat es in der Hand, sowohl die Entry- als auch die Exit-Wege erfolgreicher zu gestalten. Sie muss es aber auch nutzen!
Ein- und Aussteiger sind Stellvertreter für die generelle Aufgabe der Politik, responsiver zu werden. Doch dazu bedarf es klarer und transparenter Regeln. Dass die deutsche Politik es immer noch nicht geschafft hat, eine verlässliche und transparente Karenzregelung für den Wechsel von Politikern in andere Bereiche auf den Weg gebracht zu haben, ist kein gutes Zeichen. Die Empörungswellen werden deshalb bleiben, weil der Nachweis dafür fehlt, dass es der Politik ernst damit ist, offener zu werden.
Titelbild: Andy Ducker / flickr.com (CC BY-SA 2.0)
Bilder im Text: Heinrich-Böll-Stiftung / flickr.com (CC BY-SA 2.0)
Dirk Vorderstraße / flickr.com (CC BY-SA 2.0)
„Gerhard Schroeder MUC-20050910-01“ von André Zahn - Beatpark, published on Wikipedia by User:Nic. Lizenziert unter CC-BY-SA-2.0-de über Wikimedia Commons.
Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Markus Rhomberg
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm und Alina Zimmermann