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US-Wahlkampf

Der unberechenbare Donald Trump

Solange Donald Trump Kandidat für das Amt des amerikanischen Präsidenten bleibt, ist Donald Trump auch eine Gefahr für die Menschheit.

Prof. Dr. Hans Ulrich Gumbrecht
Gastprofessur für Literaturwissenschaften
 
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    Zur Person
    Prof. Dr. Hans Ulrich Gumbrecht

    Der gebürtige Würzburger Prof. Dr. Hans Ulrich Gumbrecht ist ständiger Gastprofessor für Literaturwissenschaften an die Zeppelin Universität. Er studierte Romanistik, Germanistik, Philosophie und Soziologie in München, Regensburg, Salamanca, Pavia und Konstanz. Seit 1989 bekleidete er verschiedene Professuren für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Stanford University. Einem breiteren Publikum ist er bereits seit Ende der 1980er Jahre durch zahlreiche Beiträge im Feuilleton vor allem der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Neuen Zürcher Zeitung sowie durch seine Essays bekannt.  

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Seit einem halben Jahrhundert dominiert in der internationalen Berichterstattung über die Vereinigten Staaten – mit je kontinental gefärbten Nuancen – ein Ton von Herablassung und Häme, den als Bürger jenes Landes am ehesten verkraftet, wer darin Reaktionen auf eine vermutete oder wirkliche Hegemonie sieht, die seit dem Kollaps des Staatssozialismus um 1990 ohne Alternative geblieben ist. Phänomene und Geschichten aus der Politik sind keinesfalls einziger Bezugspunkt dieses Tons. Erst vor wenigen Wochen schrieb eine deutsche Tageszeitung während der Leichtathletikweltmeisterschaften von den „amerikanischen Staffel-Trotteln“, als es vier Sprintern unseres Landes – wieder einmal – nicht gelungen war, den Staffelstab innerhalb einer Stadionrunde dreimal regelgerecht weiterzugeben. Kaum vorstellbar, dass Worte dieser Schärfe etwa in Bezug auf Sportler aus anderen europäischen Ländern fielen. Andererseits bin ich aber auch überrascht, zu sehen, dass dieselbe Häme in Berichten über den Wahlkampf von Donald Trump weitgehend ausbleibt, obwohl er dazu eigentlich jeden Tag Anlass gibt – und dass die Rede schon gar nicht auf seine deutschen Großeltern kommt, auf Friedrich Drumpf und Elisabeth Christ aus Kallstadt in der Pfalz. Offenbar löst Trumps bisher ungebrochener politischer Erfolg eine für Herablassung allzu ernste Befürchtung vor dem Szenario aus, die ganze Menschheit seinem Willen als Oberkommandierendem ihrer stärksten Militärmacht ausgeliefert zu sehen.

Um über diesen Status plausibler Intellektuellenpanik hinaus zu einer mehr als bloß pessimistischen oder optimistischen Antwort auf die Frage zu kommen, ob Donald Trump eine Chance hat, nächster Präsident der Vereinigten Staaten zu werden, sollten wir uns erstens bemühen, hinter allen Einzelheiten und Widersprüchen ein greifbares „Trump-Phänomen“ als Fluchtpunkt auszumachen, um dann zweitens zu überlegen, ob eine spezifische Affinität zwischen einem solchen Phänomen und der Mehrheit der amerikanischen Wähler existieren könnte. Nicht wenige Optionen und Effekte teilt Trumps Erscheinung ja zunächst mit einer heute weltweit anzutreffenden Stimmungslage.

Diese Stimmungslage ist gefärbt von einer Politikverdrossenheit, die sich als Frustration über die vielfachen Vermittlungsebenen der „Repräsentation“ im klassisch-westlichen System artikuliert und teils von einer Sehnsucht nach archaischen Formen der Unmittelbarkeit motiviert ist, teils von der durch elektronische Technik suggerierten Illusion direkter Intervention – aber gewiss auch von der Enttäuschung über die „Politikerklasse“ in einer Zeit, wo dieser Beruf offenbar einen immer geringeren Anteil von kompetenten und charismatischen Protagonisten jeder Generation anzieht. Hinzu kommt – zeitlich spezifischer, aber doch mit potenziell globaler Resonanz – eine Neigung zur Abschottung von Landesgrenzen gegenüber vielfältigen Migrantenströmen (auch als Geste der Rückkehr zu vergangener nationaler Größe) und schließlich die Leugnung aller unangenehm wirkenden ökologischen Prognosen.

Donald Trump Portrait

All das sind populistische Motive, welche innerhalb einer besonderen Logik von Frustration an vermeintlicher Authentizität nur gewinnen, je mehr sie als skandalös zurückgewiesen werden. Die Empörung über Trumps drastisches Bild von einer Mauer, welche die Vereinigten Staaten gegenüber illegaler Einwanderung aus Mexiko schützen soll, oder über seine Bemerkung, die ihm unbequemen Fragen einer Fernsehjournalistin seien Symptome ihres Menstruationszyklus’ gewesen, haben ihn – den aggressivsten Redner der amerikanischen Öffentlichkeit – in den Augen seiner oft als „leidenschaftlich“ gepriesenen Anhänger zu einem Opfer politischer Korrektheit gemacht.

Die amerikanisch-nationale Spezifik des Trump-Phänomens setzt erst mit dem Ausbleiben des – in Europa garantierten – Ressentiments gegenüber einem Mann ein, dessen Vermögen nach nüchternen Schätzungen bei zwei und nach eigenen Aussagen bei zehn Milliarden Dollar liegen soll. Seine vor allem der unteren Mittelschicht angehörigen potenziellen Wähler identifizieren sich mit Trump nicht trotz, sondern gerade wegen dieses Reichtums. Anders als Europäer oder Südamerikaner assoziieren sie ihn keinesfalls mit Manipulation oder Gesetzesbruch, sondern mit einer Tüchtigkeit, die sie kaum je als Folge von Trumps Wirtschaftsstudium an der prominenten Wharton School der University of Pennsylvania ansehen – weshalb sie lebenslang an der Hoffnung auf einen eigenen Durchbruch zum Reichtum festhalten können. Dass der heute 69-jährige Trump in seiner Wirtschaftskarriere viermal den Bankrott erklären musste, macht sein Heldenbild in der epischen Version des amerikanischen Lebens nur noch markanter, weil dort nichts mehr bewundert wird als die Überwindung von Momenten tiefer Krise.

Während sich seine republikanischen Konkurrenten nun endlich daranmachen, den in den Umfragen immer weiter entkommenden Trump festzunageln auf Widersprüche zwischen seinen heutigen Positionen und Äußerungen aus der Vergangenheit, als er für höhere Besteuerung großer Vermögen eintrat, für das Recht von Frauen auf Schwangerschaftsabbruch und gegen den Irakkrieg, steht zu vermuten, dass er gegen solche Vorwürfe immun bleiben wird. Trump baut nämlich weniger auf ein stabiles Profil aus Optionen in spezifischen Problemkontexten als auf den Glauben an die Kraft seiner in einem Leben der Höhen und Tiefen gewachsenen Gesamtpersönlichkeit. Gerade weil er zum Beispiel die „Intuition“ einer Affinität zu Wladimir Putin nicht begründen kann, trägt sie zur besonderen Tonalität seines Charismas bei – so wie auch die vielfach nachgewiesene Zusammenarbeit mit Mafiabossen und sogar seine frühere Freundschaft mit den Clintons. Wesentlich ist allein, dass Donald Trump als Teil einer Welt großer Protagonisten erlebt wird, wo ideologische Unterschiede, aber auch die Unterschiede zwischen verschiedenen Berufen und vor allem der Unterschied zwischen Wirklichkeit und Fiktion neutralisiert sind. Trump hat nicht nur das von seinem Vater ererbte Immobiliengeschäft weiterentwickelt, sondern auch mit Hotels und Casinos meistens Profit gemacht, mit Misswahlen, mit einer am Ende gescheiterten alternativen American-Football-Liga und Veranstaltungen im Berufsringen, vor allem aber mit einer Realityshow unter dem Titel „The Apprentice“, in der er – hoch bezahlt natürlich – das eigene Leben als Investor und gestrenger Boss auf Talentsuche unter dem Vorzeichen der Fiktion spielte und seinen an die Mitspieler gewandten Lieblingssatz „You are fired“ zu einem Medien-Emblem machte.

Donald Trump Portrait 2

Aus dieser immer erneuerten Neutralisierung des Unterschieds zwischen Realityshow und Wirklichkeit gewinnt das Trump-Phänomen seine Dynamik. Denn die alle Varianten von Realityshows vereinende strukturelle Besonderheit liegt ja darin, dass das Vorzeichen des Spiels weder eine Ähnlichkeit zur Alltagswirklichkeit noch Konsequenzen für den Alltag „unter mildernden Umständen“ ganz ausschließt. Aus beiden Gründen vollziehen sich Realityshows tatsächlich „zwischen“ Wirklichkeit und Spiel. Obwohl sie auf Distanz zum Ernst des Alltags gesetzt sind, kann ihnen niemand prinzipiell eine Beziehung zur Wirklichkeit absprechen. Und während sie so alltägliche Interaktionsformen unter dem Vorzeichen der Fiktion zu Spielen mit finanziellen Konsequenzen werden lassen, hat andererseits dieses Vorzeichen der Fiktion – das heißt die Prämisse einer immer wieder aufhebbaren und zu erneuernden Formung der Wirklichkeit – mittlerweile auch jene populäre Welt der großen Protagonisten (von Paris Hilton über Meryl Streep und Donald Trump zu Putin und Obama) erobert. Ein Hauptinstrument von Trumps Spielen sind zahlreiche, stets gleichzeitig laufende juristische Verfahren, in denen er die kostenpflichtige öffentliche Zurückweisung von Bildern seines Lebens und seiner Welt durchzusetzen versucht, sobald sie nicht seinen (sich ständig verändernden) Selbstbildern entsprechen. Da die meisten dieser Verfahren mit „Vergleichen“ im juristischen Sinn enden, ist Trumps Leben zunehmend zur Resultante der Vergleiche zwischen eigenen und fremden Wirklichkeiten geworden, zu einer breiten Marge des Möglichen, welche nur reine Fiktion und empirisch nachzuweisende Wirklichkeit als Grenzwerte ausschließt (dies entspricht den eigenen Angaben über sein Vermögen, die weder ins rein Utopische abheben noch je druckbaren schwarzen Zahlen entsprechen). Keine Intuition bedarf in dieser Welt eines Arguments, um wirklich zu werden, und kein Verhalten ließe sich nicht in seinen Konsequenzen umdefinieren und umbiegen – aber zugleich bleibt Trumps Welt als Realityshow in ihren Inspirationen von Wirklichkeit durchdrungen und in ihren Konsequenzen mit ihr verknüpft.

Als spezifisch amerikanisches Phänomen fasziniert Trumps Welt vor allem jene – demografisch schwer zu definierenden – Gruppen seiner (und meiner) Landsleute, die auf Effekte der Quantität – in den Modalitäten von Pluralität und Ausmaß – fixiert sind. Vielleicht gibt es keine andere Gesellschaft mehr, in der sich Millionen für das „größte Exemplar der nationalen Flagge“ begeistern können, für den „ausgedehntesten Kirchenparkplatz der Welt“, für die am steilsten toupierte Frisur und für private Fahrzeuge, deren Chassis meterhoch über den Reifen schwebt. Donald Trump bedient diesen Quantitäts-Enthusiasmus mit jeder Dimension seiner Existenz: mit den Zahlen über sein Vermögen und seine finanziellen Zusammenbrüche (vier insgesamt), über seine Ehen (drei), seine Kinder und Enkel (fünf und sieben), über die unter seinem Namen veröffentlichten Bücher (mindestens zwanzig), über seine Berufsrollen und Geschäftsinitiativen, über die Produkte, welche als „Branding“ seinen Namen tragen, und über die laufenden juristischen Verfahren (alle kaum abzuschätzen) – aber auch mit der Tendenz, Gebäude, die seinen Namen tragen, durch vertikale Monumentalität („Trump Towers“) oder durch die Zahl ihrer Räume der Wahrnehmung aufzudrängen. Mit welcher Facette seiner Realityshow man ihn auch identifizieren möchte, „the Donald“, wie er seit dem eher bewundernden Interview einer Ex-Frau heißt, „is always BIG!“

Die Konvergenz aus archaisch-amerikanischem Quantitäts-Enthusiasmus und dem neuen Phänomen des Lebens als Realityshow hat die Welt der Politik noch nie vor Donald Trump mit einer solchen Intensität ihrer Verkörperung getroffen. Weil es vorgängige Erfahrungen also nicht gibt, halte ich es für riskant, auf ein „natürliches Abebben“ des Trump-Phänomens zu setzen. Gewiss, die gut 25 Prozent der ihn favorisierenden republikanischen Stammwähler, mit denen er das ungewohnt breite Bewerberfeld überlegen anführt, machen keine zehn Prozent der gesamten Wählerschaft aus, und auf der anderen Seite ist die Prozentzahl der Wähler, welche erklären, sich unter keinen Umständen Trump als Präsidenten vorstellen zu können, besonders hoch. Doch amerikanische Präsidentschaftswahlen sind seit je von überraschenden Dynamiken entschieden worden, zugunsten von George W. Bush ebenso wie von John F. Kennedy, Bill Clinton oder Barack Obama. Die wachsende Sichtbarkeit von Trump, der inzwischen alle republikanischen Konkurrenten auf seine Themen festgelegt hat, ist die einzige bisher sichtbare Dynamik dieser Art im Blick auf 2016 – während es auf demokratischer Seite schwer vorstellbar bleibt, dass Hillary Clinton die Vorwahlen verliert oder uns mit einer neuen Agenda (und einem bisher übersehenen Charisma) überrascht.

Aufgrund seiner Inkompetenz auf zentralen Wissensgebieten und seiner Apathie im Widerstand gegen potenziell kriminelle Tendenzen nahe der Regierung ist George W. Bush nach dem Urteil vieler amerikanischer Intellektueller zum schlechtesten Präsidenten der nationalen Geschichte geworden – aber daneben wirkte Bush doch auch wie der Typ des eher sympathischen und „an sich“ harmlosen Nachbarn. Donald Trumps nach den Gesetzen der Realityshow geformte Megalomanie hingegen könnte – angefeuert von der Quantitäts-Faszination seiner Anhänger – zu Initiativen und Fehlentscheidungen führen, deren Folgen den Irakkrieg wie ein Geplänkel aussehen ließen. Denn er müsste ja erst Präsident werden, um zu lernen, dass es Dimensionen einer komplexen Wirklichkeit gibt, in denen die Konsequenzen des eigenen Handelns irreversibel werden – anders als seine Bankrott-Krisen und irreversibel für die Menschheit. Solange er Kandidat für das Amt des amerikanischen Präsidenten bleibt, ist Donald Trump auch eine Gefahr für die Menschheit.

Der Gastbeitrag ist am 17.09.2015 in der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ unter dem Titel „Trumps Welt“ erschienen.

Titelbilder: Rene Schwietzke / flickr.com (CC BY 2.0); Ted Eytan / flickr.com (CC BY-SA 2.0)
Bilder im Text: Gage Skidmore / flickr.com (CC BY-SA 2.0)

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