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Dr. Stephanie Nau studierte Diplom-Kulturwirtschaft mit Schwerpunkt auf dem iberoromanischen Kulturraum an der Universität Passau. Sie promovierte sich mit einer Arbeit zur einheimischen Sichtweise auf das Alltagsleben in Fidel Castros Kuba im Fachgebiet Sozialgeographie und lebte zwischen den Jahren 2002 und 2005 viele Monate in Havanna. Sie schrieb zum Thema unter anderem für den National Geographic. Ihr besonderes Forschungsinteresse gilt der einheimischen Sichtweise auf Veränderungsprozesse in lokal geprägten Lebenswelten. Seit 2007 arbeitet die gebürtige Ravensburgerin als Programmdirektorin an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen.
„Vermutlich besteht bei jedem einzelnen von uns die Gefahr eines Herzinfarkts vom bloßen Zuhören der Worte des Präsidenten der Vereinigten Staaten.“ So resümiert Fidel Castro in der Parteizeitung „Granma“ den Inhalt von Barack Obamas Rede im Gran Teatro von Havanna. Für ein Treffen mit dem „Hermano Obama“ war er nicht zu gewinnen gewesen. Wozu auch? Die Amtsgeschäfte führt sein Bruder Raúl, der während des dreitägigen Staatsbesuchs sichtlich um Contenance rang und keinen Zweifel daran aufkommen ließ, dass der Sozialismus auf der Insel indiskutabel sei. Was bleibt also zurück von diesem als historisch gefeierten Besuch? Ein paar zaghafte Schritte mehr in Richtung einer Auflockerung der Wirtschaftsblockade. Der Ausblick auf künftige Kooperationsmöglichkeiten in denjenigen Sektoren, die einst Vorzeigeschild der Kubanischen Revolution waren – namentlich der Bildung und der Gesundheit (Pharmazie, Medizintechnik). Dies alles bei großen Vorbehalten, was die Realisierung der großen Worte anbelangt.
Obama war mit dem klaren Ziel in den Präsidentschaftswahlkampf eingestiegen, das US-Gefangenenlager in Guantánamo zu schließen. Heute plädiert er für ein Ende der Wirtschaftsblockade. Beides wurde bis dato vom US-Kongress verhindert. Die Republikaner in den USA verfolgen nach wie vor die Politik des Kalten Krieges mit Kuba, um das Castro-Regime und damit den Sozialismus vor der Haustür auszumerzen. Funktioniert hat diese Strategie in 57 Jahren nicht, was Obama unlängst zugab. Auf der anderen Seite galten „el bloqueo“ und der zum Feindbild hochstilisierte „imperialismo“ in unmittelbarer Nachbarschaft, von dem angeblich permanente Bedrohung ausging, als willkommene Entschuldigung Fidel Castros für jegliches Versagen der eigenen staatssozialistischen Planwirtschaft in der Versorgung seiner Landsleute mit Lebensmitteln, Wasser und Strom.
Jahrzehntelang konnte das Regime seine großzügigen Subventionen im Innern nie ohne fremde Hilfe stemmen – erst die UdSSR bis zum Zerfall des Ostblocks, dann Venezuela als Retter in der Not, eng verbunden mit der Person Hugo Chávez. Seit dessen Tod versinkt Venezuela in der Krise, die Erdöllieferungen nach Kuba werden weniger. Brasilien, unter Dilma Rousseff Hauptförderer der neuen Sonderfreihandelszone Mariel nahe Havanna, kämpft mit Korruptionsskandalen im eigenen Land. Durch den „Gemeinsamen Standpunkt“ zur Menschenrechtslage auf Kuba hat sich Europa in den vergangenen Jahrzehnten die Verhandlungstüren eher selbst geschlossen.
Folglich wittern die USA ihre Chance auf Milliardengeschäfte in Kuba, und Raúl Castro kann nicht anders als sie zögerlich geschehen zu lassen. Dies hat schwerwiegende Auswirkungen auf die kubanische Gesellschaft, die bis vor wenigen Jahren keinen „Blick über die Mauer“ und keine (Reise-)Freiheiten kannte. Mit Raúl kam die „Korrektur“ des Sozialismus Fidels, eine Hinwendung zur Privatwirtschaft mit diversifizierten Möglichkeiten des Devisenverdienstes, die Duldung des Internets und die zaghafte Öffnung der kubanischen Wirtschaft für Güter und Kapital aus den USA. Der Preis dafür sind soziale Disparitäten eines neuen Ausmaßes, wie zuletzt vor der Revolution des Jahres 1959, denn nicht jeder kann daran teilhaben.
Eine tragende Rolle bei alldem kommt dem kubanischen Exil in Miami zu. Die Höhe der jährlich nach Kuba geschickten Devisenbeträge und Güter macht den größten Teil des kubanischen Bruttosozialprodukts aus. „Gegenleistungen“ in Form von Mitspracherechten werden spätestens nach einer erfolgten politischen Transformation eingefordert. Dabei sind sich Exilkubaner und Insulaner bei weitem nicht einig über den wirtschaftspolitischen Kurs. Raúl Castro möchte nach eigenen Angaben bis ins Jahr 2018 im Amt bleiben – bis 2030 soll ein „nachhaltiger Sozialismus“ geschaffen werden, der die Vorzüge einer Marktwirtschaft mit den sozialen Errungenschaften der Revolution kombiniert. Es gibt nicht wenige Kubaner auf der Insel, die diesen Weg gutheißen, so lange sie an der globalen Vernetzung, den materiellen Möglichkeiten und der Reisefreiheit endlich partizipieren dürfen.
Wie nachhaltig der Besuch Obamas auf Kuba ist, wird sich folglich an mehreren Faktoren zeigen. Fällt die Wirtschaftsblockade, muss sich dies mit Castros zögerlicher Öffnungspolitik vertragen – im Innern wie im Äußeren. Tritt Raúl Castro tatsächlich 2018 zurück, muss die Amtsübergabe an einen Nachfolger erstens friedlich und zweitens im Sinne der Kontinuität der eingeschlagenen Liberalisierung geschehen. Das vielleicht gewichtigste Hindernis lauert in den USA selbst: Sollte Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten werden, wäre eine Rückkehr in den Kalten Krieg mit Kuba nicht ausgeschlossen.
Titelbild:
| Jordi Martorell / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
Bilder im Text:
| Dr. Stephanie Nau / Zeppelin Universität
Text (redaktionell unverändert): Dr. Stephanie Nau
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm