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Dr. Joachim Landkammer wurde 1962 geboren und studierte in Genua und Turin. Nach seinem dortigen Philosophiestudium, abgeschlossen mit einer Arbeit über
den frühen Georg Simmel und einer ebenfalls in Italien durchgeführten Promotion über den Historikerstreit, hat Joachim Landkammer als Assistent und wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. Dr. W. Ch. Zimmerli an den Universitäten Bamberg, Marburg und Witten/Herdecke gearbeitet. Seit 2004 ist er Dozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Zeppelin Universität und Verantwortlicher des ZU-artsprogram für den Bereich Musik.
Joachim Landkammer arbeitet neben seiner Lehrtätigkeit und einer gewissen journalistischen Textproduktion an verschiedenen interdisziplinären Themen in
den Anwendungs- und Grenzbereichen der Philosophie, der Ästhetik und der Kulturtheorie. Ein dezidiertes Interesse gilt dem Dilettantismus und der Kunst- und Musikkritik.
Nicht alles, was unsere alpenländischen Nachbarn so per Basisdemokratie entscheiden, darf als der Volksweisheit letzter Schluss gelten – man denke nur an Minarettverbote und Zuwanderungsbegrenzungen. Daher dürfte auch die deutliche Ablehnung des bedingungslosen Grundeinkommens – 77 Prozent der Stimmen, freilich relativiert durch eine Wahlbeteiligung von 46 Prozent – nicht unbedingt das letzte Wort sein, das in dieser Angelegenheit zu sprechen sein wird. In der Tat scheint die Vorstellung, dass man irgendwie „Geld fürs Nichtstun“ bekommt, einigermaßen klärungs- und gewöhnungsbedürftig; vollkommen absurd ist sie freilich nicht. Helfen bei der Gewöhnung an diese Idee können vielleicht ein paar Überlegungen grundsätzlicher Art zum Begriff der Arbeit und zu deren heutigen Bedingungen.
Denn zunächst wird wohl das Missverständnis auszuräumen sein, dass das Nicht-Arbeiten, also das „keiner-herkömmlichen-Erwerbsarbeit-nachgehen“, gleichzusetzen sei mit Nichts-Tun im Sinne von „keine-gesellschaftlich-nützliche-Tätigkeit-ausüben“. Wie immer man „gesellschaftlichen Nutzen“ definieren (und sich über die dazu nötigen Grenzziehungen einigen) will: Es hat schon immer Formen des für eine Gesellschaft absolut überlebensnotwendigen Tuns und Leistens gegeben, die nicht als Arbeit im herkömmlich honorierten Sinne gewürdigt, ja überhaupt wahrgenommen wurden. Wenn es „Geld fürs Nichtstun“ gäbe, erhielten nicht nur Hausfrauen und Eltern, sondern auch alle Ehrenämtler, Freizeitaktivisten und Feierabend-Dilettanten eine monetäre Anerkennung für ihren meist unverzichtbaren Beitrag zum Gemeinwohl – denn es ist ja nur die naive Fixierung auf den Fetisch der „Professionalität“, der verkennen lässt, dass die Gesellschaft sehr viel effektiver von den vielen Laien und Grassroots-Aktiven zusammengehalten wird als von den sogenannten „Spitzenleistern“ im Rampenlicht oder von den wenigen hochbezahlten professionellen Spezialisten (nicht, dass man auf diese verzichten könnte, aber sie sind nur abstrakte, jederzeit konstruierbare, austauschbare Dienstleister).
Aber radikaler ist ein einzuforderndes Umdenken, das uns langsam an die Vorstellung gewöhnen sollte, dass wir das von den Gegnern des Grundeinkommens perhorreszierte „Geld fürs Nichtstun“ doch an vielen Stellen schon längst haben und praktizieren. Heinrich Böll konnte sich schon vor 60 Jahren lustig machen über die damaligen zeitgenössischen Arbeitskontexte, in denen der bürokratische Stillstand damit verschleiert werden sollte, dass dauernd etwas lautstark zu „geschehen“ hatte („es muss etwas geschehen“) – genauso wie in seiner „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ (1963) der verschlafene italienische Fischer dem deutschen Leistungs- und Produktionssteigerer eine triftige Abfuhr erteilt.
Heute ist es aber noch sehr viel deutlicher geworden, dass bezahltes „Arbeiten“ zu großen Teilen schlicht darin besteht, nichts zu tun. Denn kaum jemand wird ernsthaft all das „produktive Arbeit“ nennen können, was heute als solche genannt und bezahlt wird: das end- und sinnlose Herumsitzen in „Meetings“, das langwierige Ausarbeiten und Aushandeln von Programmen, Plänen, Absichtserklärungen, Anträgen (die meist alle nur kurzlebige Fassadenarbeit bleiben), die permanente Beschäftigung mit sekundären und reflexiven Fragen (Evaluationen, Methoden, Prozesse, Strategien, „Missionen“), die an den eigentlichen Problemen nichts ändern und lösen (können und wollen!). Dazu kommen noch all die Fälle, in denen „Arbeiten“ schlicht „Verhindern“ oder zumindest „Verlangsamen“ heißt: zum Arbeitsplatzprofil vieler heutiger Angestellter scheint es zwingend zu gehören, erst einmal alles, was andere tun wollen, durch standardmäßig abgerufene Bedenk-und Vorsichtsroutinen zu verschleppen, einzuschränken, wenn nicht zu annullieren. Angeblich einzuhaltende Vorschriften, Regeln und „Erfahrungswerte“ über mögliche gravierende „Folgen“ dienen einzig dazu, das wenige noch zu „Tuende“ auch noch zu verunmöglichen, zumindest: auszubremsen.
Heinrich Bölls Protagonist seiner „handlungsstarken Geschichte“ wechselt am Ende in eine Arbeitsstelle, bei der „Nichtstun [s]eine Pflicht ist“: Er geht mit „seiner Gestalt und seinem Gesicht, die sich vorzüglich für schwarze Anzüge eignen“ hinter fremden Särgen auf dem Friedhof her und wird „berufsmäßiger Trauernder“. Heute kennen wir sehr viel mehr Berufe und ganze Berufszweige, wo es die meiste Zeit vollkommen genügt, mit angemessener Gestalt, richtigem Gesicht und tadellosem Anzug herumzustehen, einfach da zu sein und sonst nichts zu tun: vom Security-Mann bis zum Fluglinien-Bodenpersonal, vom Museumswächter bis zum Manager, vom Parkhausangestellten bis zum Präsidenten und Vorstandsvorsitzenden. Die Liste der Dinge, die man heute „auf Arbeit“ nicht tun darf, ist sehr viel länger als die, die man tun soll und für die man eigentlich bezahlt wird (vor allem, wenn man sie verlängert um die vielen Dinge, die man „lieber nicht tun sollte“).
Wir beziehen es also schon längst, das „Geld fürs Nichtstun“ (und wir leben ganz gut davon). Wenn das allgemein anerkannt würde, wäre es vermutlich nur noch ein kleiner Schritt zur Einsicht, dass man genauso gut auf die Scheinheiligkeit heutiger „Arbeitswilligkeit“ und auf die Farce einer ordentlichen „Anstellung“ verzichten kann, und rundheraus jedem, unabhängig von solchen traditionellen Formalitäten, seinen Lebensunterhalt ermöglichen sollte. Unter anderem steht zu hoffen, dass man dadurch verhindert, dass bestimmte Leute anstatt einfach nichts tun zu können etwas auf kriminelle Weise tun müssen, was sie in die Lage versetzt, hinter teuren staatlichen Gittern endlich nichts tun zu dürfen (und dabei beobachtet werden zu müssen von Leuten, die die meiste Zeit ebenfalls – nichts tun).
Titelbild:
| Generation Grundeinkommen / flickr.com (CC BY-NC 2.0)
Bilder im Text:
| Paul Ito / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
| Bari Bookout / flickr.com (CC BY-NC 2.0)
Beitrag (mit Bildauswahl und -unterschriften): Dr. Joachim Landkammer
Redaktionelle Betreuung: Florian Gehm