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Martin Fenz studiert seit 2014 Communication, Culture and Management an der Zeppelin Universität. Nach seiner Matura, dem österreichischen Abitur, arbeitete Fenz zunächst bei einer PR-Agentur und organisierte dann verschiedene Ausstellungen und Kulturveranstaltungen im Großraum Wien, wo er 2013 ein Studium der Kultur- und Sozialanthropologie begann, dem er ein Jahr später für sein CCM-Studium am Bodensee den Rücken kehrte.
Mit dem Zerfall Jugoslawiens im Jahre 1991 erlangte Mazedonien seine Unabhängigkeit – am 8. September 2016 wird diese zum 25. Mal gefeiert. Der große Nachbar Griechenland wird nicht gratulieren – es wehrt sich vehement, den Namen des jungen Staates zu akzeptieren. Vor allem wenn es um EU-Beitrittsverhandlungen geht, wird die alte Forderung nach einer Namensänderung laut. Denn Mazedonien erkennen die Griechen nur als Teil der griechischen Geschichte an und nicht als Nachbarstaat. Da half es auch wenig, den neuen Flughafen in der mazedonischen Hauptstadt Skopje „Alexander the Great Airport“ zu nennen. Innenpolitisch steht Mazedonien vor weit größeren Aufgaben als einer neuen Namensfindung: So sehen viele die verfassungsmäßig gesicherte Demokratie in Gefahr.
Der Unmut über die national-konservative Regierung unter der VMRO-DPMNE gipfelte, als die Opposition im vergangenen Jahr Protokolle veröffentlichte, die einen Abhörskandal ungeahnter Größe belegen: Mehr als 20 000 Mazedonier wurden demnach abgehört. Kosta Krpaç, ein zentraler Zeuge der Abhöraffäre, wurde nun tot in seiner Wohnung aufgefunden – die Ermittler gehen entsprechend von Selbstmord aus. Laut Medienberichten war er der Besitzer jener Firma, die die notwendige Technik zum Abhören importierte – das Heikle: Krpaç wollte demnächst aussagen. Da erscheint es manchen mehr als seltsam, dass er noch davor den Freitod gewählt hat.
Die Opposition blockiert jedenfalls nicht erst seit der Veröffentlichung der Affäre die Regierungsarbeit – schon 2014 warf sie der VMRO-DPMNE Wahlfälschung vor. Doch nun werden die Forderungen nach Gerechtigkeit immer lauter. In anderen Worten: Ein Ende der national-konservativen Regierung unter der Führung von Nikola Gruevski ist gemeint. Dieser war bis 2016 Ministerpräsident und hat auf Druck der EU und der USA den Posten abgegeben – an Gjorge Ivanov, einen Vertrauten, wobei Gruevski selbst als Parteioberhaupt im Hintergrund die Fäden zieht. Er gilt gemeinhin als Zögling der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung und die Europäische Volkspartei scheint seine Politik auch zu stützen, wie der linke Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko in einem Interview vom 12. Mai 2016 mit der Tageszeitung „junge Welt“ erklärt.
Mit der Politik der nationalen Identität hat Nikola Gruevski in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, dass sich die Fronten zwischen den Lagern verhärten. Es gibt jene, die das klassizistische Bauprojekt Skopje 2014 befürworten, all die Statuen und Säulen gutheißen, den künstlichen Traum der großen Nation mitleben, aber auch solche, die mit Betongaleeren im Fluss wenig anfangen können oder einfach das Geld lieber für Sozialleistungen ausgegeben wissen wollen. Sie entladen ihren Ärger über die Regierung auf der Straße bei den unzähligen neuen Monumenten und überdimensionalen Skulpturen. Derzeit findet sich in Skopje nicht ein Regierungsgebäude, nicht eine klassizistische Brücke, nicht ein Prachtbau ohne Spuren von Farbbomben. Das weiße Gesicht der Regierung hat auf der Straße ausgedient.
Die linke Bewegung SolidarnOST, die sich gegen den Faschismus in Ex-Jugoslawien richtet, hat in Mazedonien bewirkt, dass Levica (Die Linke) als Partei Fuß fasst. Eines ihrer führenden Mitglieder Zdravko Saveski, Professor für Politikwissenschaften an der FON University in Skopje, wurde des „Hooliganismus“ beschuldigt und unter Hausarrest gestellt. Die Regierung wollte damit ein Zeichen an die Demonstranten senden, doch die links gerichteten Teile der Protestbewegung sind horizontal organisiert und nicht vertikal wie die national-konservative Partei. Darum hielten die Proteste weiter an – zwischen dem 12. April und dem 6. Juni 2016 sogar täglich außer sonntags.
Die sozialdemokratische und größte Oppositionspartei SDSM verkündete, dass sie trotz des abgelehnten Amtsenthebungsverfahrens gegen den aktuellen Ministerpräsidenten Gjorge Ivanov die Regierungsarbeit blockieren will. Sie will die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes über die Verfassungsmäßigkeit der Ermittlungen der Sonderstaatsanwaltschaft abwarten. Eine von Ivanov erlassene, später offiziell bereute Amnestie für mehr als 50 Angeklagte aus Regierungskreisen hatte die Sonderstaatsanwaltschaft de facto handlungsunfähig gemacht. Der Oberste Gerichtshof lässt sich nun schon acht Monate Zeit, um festzustellen, ob die Sonderstaatsanwaltschaft überhaupt in der Abhöraffäre ermitteln darf.
Um zumindest nach außen die öffentliche Ordnung wiederherzustellen, meint Ivanov nun vielleicht die Streitkräfte einsetzen zu müssen. Nebenbei erlangen die Sonderstaatsanwaltschaft und ihre Anwälte Ikonenstatus und am 20. Juni 2016 versammelten sich über 20 000 Menschen vor ihrem Gebäude – um friedlich und entschlossen zu demonstrieren vor der letzten Institution, der sie noch vertrauen. Apropos Vertrauen; das schenkt, den Abhörprotokollen zufolge, Nikola Gruevski auch einer Hellseherin wenn es um Regierungs- und Führungsfragen geht. Diese müsste man vielleicht befragen, um erahnen zu können wie es weiter geht in Mazedonien
Titelbild:
| Caspar von Moltke / Zeppelin Universität
Bilder im Text und Galerie:
| Casper von Moltke / Zeppelin Universität
Beitrag (redaktionell unverändert): Martin Fenz
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm