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Prof. Dr. Dietmar Schirmer ist seit August 2015 Vertretungsprofessor für Empirische Policy-Forschung. Nach dem Studium in München und Berlin sowie der Promotion in Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin, lehrte er an der Freien Universität Berlin, der Cornell University, der Universität Wien sowie der University of British Columbia und der University of Florida. Er war außerdem Fellow am Deutschen Historischen Institut in Washington D.C. und ist Mitglied der American Political Science Association und des Council for European Studies.
Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich der historisch-institutionalistischen vergleichenden Politikwissenschaft und der politischen Kulturforschung. Gegenwärtige Forschungsprojekte befassen sich mit dem Verhältnis von Nationalstaatlichkeit und regionalen Minderheitennationalismen in der EU sowie mit der Staatsarchitektur Europas seit der Renaissance.
Donald Trumps Rede vor dem Kongress wurde allgemein sehr gelobt, sowohl in der amerikanischen als auch der internationalen Presse – in Anerkennung des Umstandes, dass Trump es geschafft hatte, 60 Minuten lang keine offensichtlich absurden Behauptungen zu improvisieren, keine Beleidigungen in den Raum zu bellen und stattdessen brav vom Teleprompter abzulesen. Die öffentliche Erwartung an den Inhaber des mächtigsten Amtes der Welt scheint damit auf dem Anspruchsniveau einer Gruppentherapie für Aggressionsmanagement angekommen zu sein. Die erstaunliche Erwartungsreduktion, die sich darin ausdrückt, spiegelt die Sehnsucht nach Normalität, die diese ersten sechs Wochen – diese erschöpfenden, auszehrenden, ganz und gar unnormalen ersten sechs Wochen – Trump-Administration erzeugt haben.
Diese Normalitätssehnsucht verdeckte sogar, dass die Rede inhaltlich immer noch auf Wahlkampfniveau war: eine Wundertüte von Versprechungen ohne Programm, ohne Kohärenz, ohne einen Gedanken an die Finanzierung – dafür nach wie vor voller Halb- und Unwahrheiten. Noch immer das gleiche dystopische Bild der amerikanischen Gegenwart aus wirtschaftlichem Niedergang, unkontrollierter Einwanderung, himmelschreiender Kriminalität und politischer Korruption, und noch immer die gleichen Zauberformeln aus Mauern, Straßen, Brücken, Flughäfen, der wundersamen Rückkehr der Industriejobs und einer Gesundheitsversorgung für jedermann und praktisch für lau: „Make America Great Again“.
Was Trump programmatisch mit seinem Amt anfangen will, wissen wir immer noch nicht so genau. Er ist ein Mann des Augenblicks, der kurzen Aufmerksamkeitsspanne, nicht der Strategie und des langen Atems. Die Interpretatoren seiner Administration halten sich deshalb gerne an Steve Bannon, der wahlweise als „white nationalist“ und „economic nationalist“ beschrieben wird – er ist beides – und sich intellektuell im Spannungsfeld von Alt-Right und Neo-Reaction („NRx“ unter Insidern) bewegt. An Ideologie und politischer Philosophie mag Bannon alles haben, was Trump abgeht, aber wie groß sein Einfluss tatsächlich ist, lässt sich schwer abschätzen angesichts eines Präsidenten, von dem gesagt wird, sein Weltbild hänge sehr davon ab, was er zuletzt gesehen oder gehört habe – so, wie aus dem Trailer für einen Fox-News Dokumentarfilm über Immigranten in Schweden ein Terroranschlag wird: „You look at what’s happening last night in Sweden. Sweden! Who would believe this? Sweden!“). Wenn man nach Kohärenz in der Personalie Trump sucht, sollte man sich nicht ans Kognitive halten, an Ideologie oder Programmatik, sondern ans Emotive: sein unbändiges Geltungsbedürfnis, seine Selbstüberschätzung, die Sucht nach Aufmerksamkeit.
Insofern ist es nicht überraschend, dass die ersten sechs Wochen mit Trump von einem überbordenden Aktivismus geprägt waren: Die hastige Bestellung seines Kabinetts – nachdem in der Übergangsperiode zwischen Wahl und Inauguration das Meiste liegen geblieben war –, der endlose Strom von als Memoranden und Exekutivverfügungen verkleideten Photo-Opps und nicht zuletzt der Beginn seiner Wiederwahlkampagne 2020 – 2020! Who would believe this!. Trump selbst hält den Start in seine Präsidentschaft für den besten in der Geschichte der Vereinigten Staaten, seine Administration arbeite „like a well-oiled machine“. Sehen wir uns das genauer an.
| Bei einem guten Teil der Verfügungen und Memoranden handelt es sich um reine Symbolpolitik. Um eines der Departments seiner Administration aufzufordern, einen Gesetzesentwurf („Regulating the US Financial System“) oder Policy-Plan („Plan to defeat ISIS“) zu entwickeln, braucht es keine Executive Order, man könnte das dem zuständigen Kabinettsmitglied auch auf dem normalen Dienstweg mitteilen – aber dann käme keiner zum Fotografieren.
| Bei anderen Executive Orders – wie etwa der die Grenzmauer zu Mexiko betreffenden – braucht es ein Budget, das nur der Kongress bereitstellen kann. Die Verfügung selbst ist nichts als eine Absichtserklärung.
| Wieder andere der Trumpschen Verfügungen sind juristisch angreifbar. „Protecting the Nation“, a.k.a. Muslim Travel Ban, a.k.a. „Ban on Muslims from Countries Unaffiliated with Trump Family Business“, wurde von den Gerichten kassiert. Die Verfügungen zum Bau der Keystone XL Pipeline und Dakota Access Pipeline werden die lokalen und staatlichen Gerichte beschäftigen – unter anderem im Hinblick auf die Autonomierechte von Native Americans. Und die Verfügung zu den „Sanctuary Cities“, mit der Städte von föderalen Förderprogrammen ausgeschlossen werden können, wenn sie sich weigern, den zuständigen Bundesbehörden beim Aufspüren undokumentierter Immigranten zu assistieren, wird voraussichtlich den Test auf ihre Verfassungskonformität nicht bestehen.
Dass viele der Executive Orders heiße Luft sind, ist folgerichtig. Präsidialdekrete sind die Notfalltropfen der Exekutive, wenn sie sich einem feindseligen Kongress gegenüber sieht und die normalen legislativen Wege der Politikgestaltung verstopft sind – siehe die Barack Obama-Administration vor allem gegen Ende ihrer zweiten Amtszeit. In Trumps Fall kann davon keine Rede sein. Für einen frisch gewählten Präsidenten mit freundlichen Mehrheiten in beiden Häusern gibt es überhaupt keinen Anlass, zur Exekutivverfügung zu greifen – außer eben dem der Inszenierung von Handlungsfähigkeit.
Neben dem Verordnungsaktivismus ist es vor allem die Schaffung neuer oder die Rettung bestehender Jobs im verarbeitenden Gewerbe, auf die sich Trumps frühe Erfolgsbilanz stützt. Hier sollte er in seinem Element sein, der Dealmaker in Chief, der Kraft seines Charismas und seines Verhandlungsgeschicks die Reindustrialisierung Amerikas besorgt. In der Rede vor dem Kongress brüstete Trump sich damit, dass seit seiner Wahl namhafte Konzerne Milliardeninvestitionen und die Schaffung von Zehntausenden von Jobs in den USA zugesagt hätten. Bei näherer Betrachtung bleibt davon nicht viel übrig: ein Ford-Werk in Michigan mit 700 Beschäftigten – und das in einer Ökonomie, die in den letzten Jahren bis zu 200.000 Jobs pro Monat generierte –, alles andere sind Investitionspläne, die schon aus der Zeit vor Trumps Wahlsieg stammen.
Der erfolgreichste Beginn einer Präsidentschaft aller Zeiten ist nichts als Propaganda. Die Defizite dagegen sind real und beunruhigend:
| An der personellen Ausstattung der Administration hat Trump nach der hastigen Besetzung der Kabinettsposten anscheinend jedes Interesse verloren, weshalb etwa das Außen- und das Finanzministerium unterhalb ihrer Chefs über keine Leitungsebene verfügen – Steven Mnuchin Home Alone.
| Der geheime Plan, den Islamischen Staat zu zerschlagen ist offensichtlich inexistent – siehe Executive Memorandum vom 28. Januar, „Plan to defeat ISIS“, Sec. 2 (i): „Development of a plan to defeat ISIS (the Plan) shall commence immediately.“ Man fühlt sich an den Geschäftsplan der Unterhosen-Gnome aus einer alten South Park-Folge erinnert – hier entlang bitte.
| „Repeal and Replace Obamacare“, das Evergreen unter den republikanischen Schlachtrufen, scheint der Einsicht zu weichen, dass erstens der „Affordable Care Act“ gar nicht so unpopulär und zweitens Gesundheitspolitik gar nicht so einfach ist: „Nobody knew healthcare could be so complicated.“
| Infrastrukturplan: ein Vorhaben, das in der Tat allen Sinn der Welt macht. Die Märkte glauben daran, man sehe sich nur die Kursentwicklung der Caterpillar-Aktie an. Allerdings sind bislang weder auf der Projekt- noch auf der Finanzierungsseite irgendwelche Details ausgearbeitet, und einen staatlichen Investitionsplan an den Fiskalfalken im Kongress vorbeizubringen wird eine echte Herausforderung werden. Zum Vergleich: Obama hatte im Januar 2009 bereits zehn Tage vor seiner Inauguration einen Bericht über ein keynesianisch inspiriertes Stimulusprogramm vorgelegt, der die Grundlage für den „American Recovery and Reinvestment Act“ bilden sollte. ARRA erlangte am 17. Februar, knapp vier Wochen nach Obamas Inauguration, Gesetzeskraft.
Aus diesen unvollständigen Beobachtungen fügt sich das Bild einer unkonzentrierten, amateurhaft geführten Administration, die laut tönt, wenig Ahnung hat und noch weniger gebacken bekommt. Wenn das alles wäre, wäre es halb so schlimm – die USA haben schon andere schwache Präsidenten überstanden. Was einem Sorgen bereiten muss, ist nicht das dilettantische Regierungshandeln, sondern die strategische Veränderung des politischen Diskurses und des politischen Selbstverständnisses der USA, die im Inneren die Demokratie und im Äußeren die Pax Americana bedroht, die seit 2001 ohnehin unter gehörigem imperialem Druck steht. Außenpolitisch gehören dazu der leichtfertige Umgang mit der NATO und den alten Verbündeten in Europa, das Appeasement gegenüber Wladimir Putins Russland, die angekündigte Militarisierung der Ostasienpolitik sowie eine dramatisch aggressivere Haltung im Nahen und Mittleren Osten – einschließlich des Rückzugs von der Zwei-Staaten-Doktrin im israelisch-palästinensischen Konflikt. Kombiniert mit der auf Krawall gebürsteten internationalen Wirtschaftspolitik und Trumps Allergie gegen alles Multilaterale drohen uns das Ende liberaler Softpower-Projektion und die Rückkehr zu unverwässertem Hardpower-Realismus – und damit der Übergang von einer im Großen und Ganzen benevolenten zu einer aggressiven amerikanischen Hegemonie.
Im Inneren besteht die Spezialität der Regierung Trump in der systematischen Spaltung der Gesellschaft entlang der Linien „weiß“/„nicht-weiß“ und „common folks“/„politische Elite“. Das schließt ein „race baiting“ ein, wie man es so unverhohlen seit den 1960er Jahren kaum einmal gesehen hat – zumindest außerhalb von Alabama. Das Denken der ideologischen Kernakteure der Administration – neben Trump sind das Steve Bannon, Stephen Miller und Jeff Sessions (bei dem allerdings unklar ist, ob er zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Textes noch im Amt sein wird) – verläuft in Freund-Feind-Unterscheidungen, denen die Unterscheidung von Wahrheit und Lüge rigoros untergeordnet ist. Trumps regelmäßige Ausfälle gegen sämtliche Medien, die nicht dem rechten Biotop angehören, und insbesondere ihre Charakterisierung als „enemies of the people“, gehören zum Diskurs des illiberalen, demotischen Populismus, der sich mit einem autoritärem Caesarismus besser verträgt als mit der repräsentativen Demokratie.
Insofern ist Trump kein normaler Präsident und wird es auch nicht werden. Er ist Recep Tayyip Erdogan mit Toupet und Bräunungsspray, allerdings eingehegt durch ein Verfassungssystem, das sich in der Vergangenheit als sehr stabil erwiesen hat. Vergangene Performanz freilich ist keine Garantie auf die Zukunft. Trumps kritische Beobachter sind gut beraten, ihm nicht auf den Leim zu gehen, wenn es ihm ab und an gelingt, seine inneren Dämonen unter Kontrolle zu halten und einen wenigstens der Form nach „normalen“ Auftritt zu absolvieren. Insofern war die Bereitschaft vieler in Medien und Öffentlichkeit, die geglückte Selbstkontrolle während der Rede vor dem Kongress als Zeichen einer glückenden Sozialisation ins Amt des Präsidenten zu akzeptieren, verstörender als die von den gewohnten Unwahrheiten und Zerrbildern gezeichnete Rede selbst.
Danach dauerte es nicht lange, bis der authentische Trump wieder auftauchte. Als klar wurde, dass Jeff Sessions bei seiner Kongressanhörung unter Eid gelogen hatte, war die Wutkontrolle dahin und die Dünnhäutigkeit zurück. Am Sonnabend kam die Meldung von Trumps Twitter-Attacke auf Obamas angebliche Abhöraktion: „How low has President Obama gone to tapp my phones during the very sacred election process. This is Nixon/Watergate. Bad (or sick) guy!“ lautete der letzte der vier Tweets, die er in dieser Sache abschoss – wie immer ohne Evidenz, abgesehen vom Monolog eines Talk Radio Hosts vom rechten Rand und einem Artikel auf Breitbart, der auf den Radiomonolog Bezug nahm. Die Wiretap-Tweets sind eine Nebelkerze, um die Debatte von der Jeff Sessions-Affäre und den russischen Kontakten der Trump-Truppe abzulenken – einerseits. Andererseits sind sie Trumps Anwendung der Bannonschen Interpretation des „Deep State“ auf sich selbst: die inoffizielle, unkontrollierte Regierung hinter der offiziellen, kontrollierten, die ihre geballte und sinistre Macht in Anschlag bringt, um ihn, den Volkspräsidenten, zu sabotieren.
Aber auch das konnte seine Aufmerksamkeit nicht lange fesseln. Kurz darauf twitterte er wieder über die wirklich wichtigen Dinge: „Arnold Schwarzenegger isn't voluntarily leaving the Apprentice, he was fired by his bad (pathetic) ratings, not by me. Sad end to great show.“
Titelbild:
| DonkeyHotey / flickr.com (CC BY 2.0)
Bilder im Text:
| Gage Skidmore / flickr.com (CC BY-SA 2.0)
| US Border Patrol / Department of Homeland Security (Gemeinfrei)
| DOD Photo / U.S. Air Force Master Sgt. Jerry Morrison (Gemeinfrei)
| markusspiske / pixabay.com (CC0 Public Domain)
Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Dietmar Schirmer
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm