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Dr. Stephanie Nau studierte Diplom-Kulturwirtschaft mit Schwerpunkt auf dem iberoromanischen Kulturraum an der Universität Passau. Sie promovierte sich mit einer Arbeit zur einheimischen Sichtweise auf das Alltagsleben in Fidel Castros Kuba im Fachgebiet Sozialgeographie und lebte zwischen den Jahren 2002 und 2005 viele Monate in Havanna. Ihr besonderes Forschungsinteresse gilt der einheimischen Sichtweise auf Veränderungsprozesse in lokal geprägten Lebenswelten. Seit 2007 arbeitet die gebürtige Ravensburgerin als Programmdirektorin an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Zusätzlich schreibt sie Beiträge unter anderem für den National Geographic und hält regelmäßig Vorträge.
Parlamentswahlen auf Kuba waren in ihrem Ablauf und Ausgang bislang so vorhersehbar wie andernorts das „Amen“ in der Kirche. Es wird immer eine rekordverdächtige Wahlbeteiligung verkündet (die Bevölkerung wird zur Teilnahme gezwungen). Es gewinnt immer die Kommunistische Partei (es ist nur diese zugelassen). Wahlsiege werden gefeiert (für jeden Sitz im Parlament kandidiert genau eine Person). Und dieses Parlament wählt dann die Mitglieder des Staatsrates, die wiederum den Präsidenten bestimmen, der seit 60 Jahren Castro heißt. Manche nennen das „Wahlsystem“, andere „Blödsinn“, „Farce“ oder „das Spiel von dem Mann mit dem Bart“.
Dabei fällt unter den Tisch, dass Kubas Parlament über die Jahrzehnte überdurchschnittlich weiblich geworden ist (53,2 Prozent), was daran liegt, dass die Abgeordneten auf Kuba zwingend die Gesellschaft widerspiegeln müssen – dazu gehören Berufs- und Altersgruppen wie Geschlechter- und Ethnienverhältnisse: So sind 40 Prozent der Abgeordneten auf Kuba afro-cubanos oder mestizos. Eine gesellschaftsgerechtere Zusammensetzung eines Parlamentes lässt sich weltweit vergeblich suchen. Und das verwundert nicht, denn die Ära Fidel Castro war genau dadurch charakterisiert, Kubanerinnen und Kubaner als egalitäre Mitglieder einer homogenisierten Gesellschaft zu betrachten. Fidel gab Kuba an die Bevölkerung zurück und machte letztere zur Angestellten seines Staates, der sich wiederum ihrem Wohle verpflichtet sah. Das funktionierte sehr gut, bis mit der Berliner Mauer die UdSSR und damit alle Subventionen entfielen, die dafür notwendig waren. Dann die Krise der 90er-Jahre – eine verpasste Chance, sich dem Weltmarkt zu öffnen.
Für Fidel Castro gab es keine Alternative zum Staatssozialismus. Die Bevölkerung taumelte in einem maroden System, während der ehemalige Befreier den Absprung verpasste und sich immer mehr dem von ihm vertriebenen Diktator annäherte. Während der Ausbau der Tourismusindustrie die Wirtschaft rettete, bröckelte die Moral der Gesellschaft. Raúls zaghafte Lockerung der Zügel in Form einzelner marktliberaler Maßnahmen bei ansonsten gleichbleibendem System konnten den moralischen Verfall genauso wenig verhindern wie die Rückkehr von Armut und sozialer Ungerechtigkeit. Im Gegensatz zu seinem Bruder verkündete Raúl jedoch schon vor Jahren seinen Verzicht auf eine weitere Amtszeit. „Viva la revolución“ also künftig ohne Revolutionär?
Miguel Díaz-Canel, der im Jahr zwei der Fidelschen Amtszeit geboren wurde, ist nach steiler politischer Karriere nun designierter Präsident Kubas. Über die Jahrzehnte waren andere seines Schlages bereits als potentielle Nachfolger der Castros hochgejubelt worden, um dann genauso schnell zu stürzen. Carlos Lage, Felipe Pérez Roque oder Carlos Valenciaga – gescheitert allesamt an den Brüdern Castro und deren Widerstand gegen Veränderungen. Der Zahn der Zeit nagte derweil an den Castros wie am System. Und so ruhen auf Díaz-Canel nun die Hoffnungen der privilegierten Politgarde, als „Ziehsohn der Revolution“ alles beim Alten zu belassen. Bislang bleibt er der Linie Castro treu: Eine Verbesserung der Beziehungen mit den USA? Gestoppt mit Trump. Eine Alternative zum Sozialismus? Mitnichten. Mögliche Reformvorhaben? Konterrevolutionär.
Bleibt der Blick auf die Bevölkerung. Nicht nur für das System ist Díaz-Canel ein Hoffnungsträger. Große Teile der kubanischen Bevölkerung wünschen sich den Wandel, hin zu mehr Meinungs- und Entscheidungsfreiheit, zu einer besseren Versorgungslage, zur Teilhabe an der Globalisierung. Einen Juan Carlos, der sein Volk in die Demokratie lenkt. Das wäre auch eine Option, die Díaz-Canel hätte, doch es deutet nichts auf diese Entwicklung hin. Derweil nimmt die Desillusion in der kubanischen Bevölkerung zu. Über „die Ankunft der Kartoffel und des Präsidenten, in der Reihenfolge der Prioritäten“ schreibt Kubas bekannteste Bloggerin Yoani Sánchez am 5. April 2018. Ihr Resümee: „Es steckt mehr Mysterium in der Lieferung eines Produktes, das seit Monaten niemand gesehen hat, als in dem langweiligen politischen Spiel um den Austausch eines Namens für einen anderen, wobei das System unveränderlich erhalten bleibt.“ Man ist geneigt zu fragen, wie lange dieser Zustand noch gutgehen kann. Dem neuen Präsidenten fehlt die Legitimation der Altrevolutionäre für ein „Weiter-wie-bisher“. Umgekehrt scheint die kubanische Gesellschaft zu lethargisch für ein „Bis-hierher-und-nicht-weiter“. Die Geschicke des Landes könnten sich in naher oder ferner Zukunft also tatsächlich an einer einzigen Kartoffellieferung entscheiden.
Titelbild:
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Bilder im Text:
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Beitrag (redaktionell unverändert): Dr. Stephanie Nau
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm